Man nimmt an, daß am Ende des 1. Jahrhundert schon etwa 100000 Christen im römischen Reich vorhanden waren. Und welcher gewaltige Fortschritt trat ein, als der römische Kaiser Konstantin selber von 312 an sich dem Christentum zuwandte. Nun kamen die Massen in die Kirche herein und sie nahm bald eine herrschende Stellung ein in der Welt. Es folgte einige Jahrhunderte später, früher schon vorbereitet, die Aufnahme der germanischen Völker in die Christenheit und wieder nach Jahrhunderten die mächtige Ausbreitung der Christenheit in den fremden neu entdeckten Weltteilen! Denken wir an die große Missionszeit vom Jahre 1795 ab, wo die protestantische Christenheit hauptsächlich in dies Werk eintrat mit so mächtigem Fortschritte, daß man freilich von etwas übereifriger Seite sich zum Ziel setzte noch zu dieser Zeit, in unserer Generation die Vollendung der Heidenpredigt in der Welt zu erleben.
In diesem Fortgang der Gemeinde Christi hat sich das Gleichnis erfüllt, das der Herr sagte vom Senfkorn, das das kleinste ist unter allen Samen, wenn es aber erwächst, so ist es das größte unter dem Kohl und wird ein Baum, daß die Vögel des Himmels kommen und wohnen unter seinen Zweigen. Wir wissen, daß er damit ein anderes Gleichnis verband, das Gleichnis vom Sauerteig, um zu zeigen, daß sein Reich zugleich die Aufgabe hat von innen nach außen wirkend die große Masse des Volkslebens zu erneuen und zu durchdringen. Wir haben auf diese machtvollen Wirkungen des Reiches Gottes und der Kirche oftmals Anlaß hinzuweisen; wenn etwa die Wunderfrage besprochen und die Frage gestellt wird, warum jetzt keine Wunder mehr geschehen. Es kann darauf mit Recht gesagt werden: deshalb, weil auf andere Weise jedem, der es sehen will, entgegentreten kann, daß in dem Wort von Christo eine Gotteskraft liegt, das Leben der Völker zu durchdringen. Auch andere Religionen haben sich ausgebreitet, oftmals durch Gewalt der Waffen, aber sie haben alle einen gewissen Höhepunkt erstiegen, um alsdann wieder abzunehmen und nachzulassen. Das Christentum nur hat die Kraft der Erneuerung immer wieder in sich selbst gehabt und so darf gesagt werden: An dem einzelnen Christenmenschen muß sich die erneuernde Macht des Evangeliums zeigen und sie offenbart sich auch in dem Leben der Völker, weil dieselben in ihrem Lebensstand erneuert und verändert sind im Gegensatz zur Heidenwelt. Jetzt freilich müssen wir beschämt dastehen, wo der Weltkrieg leider zeigt, wie groß auch unter den christlichen Völkern die Macht des sündigen Wesens, des Hasses und der Eifersucht noch ist. Und dennoch wagen wir es zu sagen, es ist eine ewige Kirche vorhanden. Denn was ist die Kirche? Sie ist die Gemeinde der Heiligen, die Gesamtheit aller derer, die durch den Glauben in Verbindung stehen mit Christo, mit dem erhöhten Herrn. Sie ist, wie Melanchthon sagt, die Gemeinschaft des Glaubens und des heiligen Geistes in den
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. Neuendettelsau 1919, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_014.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)