verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
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Kapidschis bewacht, einer Leibgarde, aus Söhnen von Paschas und Beis zusammengesetzt, die in reichen Uniformen prangten. Ringsum standen die Massen des türkischen Volkes, bewundernd, erwartungsvoll, erschrocken, oder passierten, ein Gebet für den Padischah murmelnd, die Pforte, um scheu einen Blick in das Innere des weiten Hofes zu werfen, welchen nur Bevorzugte betreten durften.
Ganz wie früher zeigt dieser „Janitscharenhof“ genannte Platz einzelne Baumgruppen und nahe der in ein Arsenal verwandelten altgriechischen Kirche der heiligen Irene auch jene ungeheure Platane, unter welcher die Enthauptungen stattgefunden haben (vergl. die untenstehende Abbildung). Ihr kaum von zehn Männern zu umspannender Stamm ist gespalten, und sie mag aus der Zeit des griechischen Kaiserreichs stammen, aber ihre Krone ist frisch und reichbelaubt. Ist doch der Boden, auf dem sie steht, mit so viel Blut gedüngt worden!
Neben der ehrwürdigen alten Irenenkirche befindet sich die kaiserliche Münze, und früher erhoben sich rings um den heute verwahrlosten, einsamen Hof die kaiserlichen Stallungen, in welchen Hunderte der prachtvollsten Rosse aus silbernen Krippen fraßen; die Bäckerei mit zweihundert Bäckern, welche das Brot für die Tausende von Hofangestellten bereiten mußten; die Wohnungen für die Sklaven, das Hospital des Serail und die Kasernen der wachthabenden Janitscharen. Den ganzen Tag über herrschte hier das regste Leben, ein fortwährendes Kommen und Gehen, vom frühen Morgen an, da zweiunddreißig in reiche Gewänder gehüllte Muezzins auf den Minarets des Serails das Allah il Allah sangen, bis zum späten Abend, da die prächtigen Janitscharenwachen die Thorschlüssel den Offizieren überbrachten. An der gegenüberlegenden kahlen niedrigen Mauer des Janitscharenhofes zeigen zwei feste Türme die Pforte an, welche in den zweiten Hof des Serails führt und, wie früher so auch noch heute, nur jenen offen steht, die mit einem kaiserlichen Firman versehen sind. Von Hausoffizieren und Adjutanten des Großsultans empfangen, durchschritt ich das von Militärwachen besetzte Thor, das Jahrhunderte hindurch so viele Minister und Großwürdenträger des Reiches erbeben machte (vergl. Abbildung S. 242). Bab-el-Salaam, „Pforte des Heils“, wird es genannt; aber fürwahr, von den Tausenden und aber Tausenden, die es durchschritten haben, ist nur den wenigsten wirklich Heil widerfahren. Die Hände in den weiten Aermeln versteckt, gesenkten Hauptes, stumm und zitternd begaben sich an den großen Diwantagen die zu den Ministern oder zum Padischah Befohlenen durch diese Pforte, wußten sie doch nicht, ob sie dieselbe wieder lebend verlassen würden!
Hier an dieser Pforte befand sich auch die Wohnung des Scharfrichters und gleichzeitig eine geheime Richtstätte. Heute noch bildet sie eine Art Tunnel, dessen Ausgänge auf beiden Seiten durch schwere Thore geschlossen werden, und unter dem Thorweg befindet sich ein mit einer Fallthüre bedecktes Verließ, das durch einen unterirdischen Gang mit dem Diwanssaal in Verbindung steht. Häufig wurden Persönlichkeiten, die bei den Mächtigen in Ungnade gefallen waren, hier beim Verlassen des Diwans festgenommen; die beiden Thore fielen in das Schloß, in der Dunkelheit fühlten die Gefangenen plötzlich eine Schnur um den Hals und binnen wenigen Augenblicken waren sie ins Jenseits befördert, ohne daß ihr Leichnam jemals zum Vorschein kam. Die Gesandten und Hofchargen und Offiziere, welche draußen angsterfüllt warteten, bis sie zur Audienz befohlen wurden, hörten wohl die Angstrufe der Sterbenden, aller Augen wendeten sich nach den geheimnisvoll geschlossenen Thoren, aber wenn diese wieder geöffnet wurden, war alles vorbei.
Jenseit des Bab-el-Salaam dehnt sich der zweite Hof des Serails aus, heute ebenso einsam und verlassen wie der erste; ein breiter, von ungeheuren alten Cypressen beschatteter Weg durchschneidet die weiten Rasenbeete und führt in gerader Linie zu dem dritten Thore, dem Bab-es-Seadet, „Thor der Glückseligkeit“. Rings um den weiten Platz ziehen sich Bogengalerien mit Säulen aus weißem Marmor und überhöht von einer Reihe kleiner Kuppeln. Einige Thüren in diesen zierlichen, mit Mosaik und Malereien reich geschmückten Galerien führen zu weitläufigen, aber niedrigen Gebäuden, in welchen sich früher die Archive, die Depots für die Ceremonientrachten, die Zelte und Waffen, sowie die Wohnung des schwarzen Großeunuchen befanden. Zur Rechten gewahrte ich den Eingang zu den kaiserlichen Küchen, in welchen heute noch die Mahlzeiten für die Harems der verstorbenen Sultane bereitet werden. Im Hofe selbst steht nur noch ein geräumiger Pavillon, welcher den Diwanssaal, d. h. den Sitzungssaal des obersten Staatsrats, enthält.
Welche Scenen hat dieser Diwanssaal nicht noch vor einigen Jahrzehnten gesehen! Noch ist heute dort alles so wie damals. Derselbe Diwan zieht sich die Wände dieses mit vergoldeten Arabesken geschmückten Saales entlang, und über dem Sitz des Großveziers gewahrte ich in der Dämmerung das kleine vergitterte Fenster, an welchem Soliman der Große und nach ihm die ganze Reihe von Padischahs die Verhandlungen ihrer Minister anhörten. Ein geheimer Gang führte von dort nach den kaiserlichen Gemächern.
Der Diwan wurde hier fünfmal in jeder Woche mit echt orientalischem Pomp abgehalten. Um den Großvezier nahmen die anderen Minister und Staatsräte Platz, während hinter ihnen Sekretäre und die Scharfrichter standen, die bei keiner dieser Gelegenheiten fehlen durften – alle waren in ebenso malerische wie kostbare Gewänder gehüllt, mit gewaltigen weißen Turbanen auf den Köpfen und reichgeschmückten Säbeln oder Dolchen im Gürtel. Die Verhandlungen dieses schrecklichen Tribunals wurden mit leiser, einförmiger Stimme geführt, niemand wagte eine Bewegung, und selbst dem Unschuldigsten, der in diesen halbdunklen Saal vor seine Richter geführt wurde, mußte bei dem Anblick dieser ernsten, starren Gestalten unter dem Kreuzfeuer von hundert Augen der Mut sinken. Das Verhör war kurz, und obschon das Todesurteil ebenso leise gesprochen wurde, fiel es häufig doch wie ein Donnerschlag auf die Anwesenden. Ein Zeichen, und die Schergen stürzten sich wie der Blitz auf die Opfer – Janitscharenagas und Spahigenerale, Kaimakans und Emire fielen unter den Dolchstichen ihrer Mörder oder zuckten unter dem Würgen mit seidenen Schnüren, während die Minister ruhig und unbeweglich das schreckliche Schauspiel mit ansahen. Die Leichname wurden auf den Vorplatz geschleppt, das Blut abgewaschen, die Schergen traten wieder auf ihre Posten, der
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0243.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2021)