verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Blätter und Blüten.
Der Ausbruch des Lammbaches bei Kienholz. (Zu den Bildern S. 647 und 648.) Am oberen Ende des reizenden von hohen Bergen überragten Brienzer Sees im Berner Oberland liegen die freundlichen Ortschaften Brienz, Tracht und Kienholz. Sie stehen auf einer alten Kulturstätte, deren Kirche bereits im Jahre 1219 urkundlich genannt wird. In ihrer Nähe lag auch ein Schloß, in welchem die Berner im Jahre 1353 den Bund mit den Urkantonen geschlossen hatten. Es war aber ein unruhiger Boden, auf dem die Menschen sich hier angesiedelt hatten. Die Berge über Kienholz, aus welchen der Lammbach und der Schwandenbach kommen, waren seit uralten Zeiten von Wind und Wetter zernagt und häufig ereigneten sich in ihnen größere und kleinere Bergstürze. Kamen anhaltende Regen, so setzten sich die durchweichten Trümmermassen in Bewegung und dann stürzte mit unwiderstehlicher Gewalt ein Strom von Schlamm und Felsblöcken zu Thal und vernichtete alle Werke menschlichen Fleißes, die in seinem Wege lagen. Ein solcher gewaltiger „Murbruch“ ereignete sich vor beinahe 400 Jahren (1499) und vernichtete das Dorf Kienholz und das durch den Bundesschluß der Berner denkwürdige Schloß. Auf den wüsten Bergtrümmern siedelten sich jedoch von neuem Menschen an, aber die Murbrüche gaben ihnen keine Ruhe. Der Lamm- und der Schwandenbach brachen von Zeit zu Zeit aus und fügten Feldern und Hütten Schaden zu. In den jüngsten Tagen ereignete sich endlich eine gewaltige Katastrophe, die dem Unglück von l499 gleichzukommen scheint. Infolge starker Regen setzte sich Ende Mai ein Murgang im Bette des Lammbaches in Bewegung und erreichte nach einem Lauf von 1200 m Länge den Brienzer See. Damit waren aber die aufgerührten Bergmassen nicht zur Ruhe gekommen. Die Untersuchungen von Fachleuten führten zu der Erkenntnis, daß über kurz oder lang eine weitere Katastrophe zu befürchten sei und daß nunmehr die Orte Kienholz und Schwanden hart von ihr bedroht werden könnten.
Schon Ende August gingen diese Befürchtungen in Erfüllung. Am 21. August setzte sich der 300 m breite mit Steingeröll gefüllte Lammbach in Bewegung. Oben in den Bergen, wo das Gefälle steiler war, schossen die Geröllmassen mit rasender Geschwindigkeit vorwärts und rissen die steilen turmhohen Ufer des Murganges ein. In der Nähe des Dorfes Kienholz verlangsamte sich der Lauf der furchtbaren Geröllmasse und diesem Umstande verdanken die Einwohner die Rettung ihres Lebens. Die Bevölkerung zu Brienz wurde alarmiert und es gelang, die bewegliche Habe aus den Häusern und einen Teil der Ernte auf den Feldern zu retten. Nun aber ergossen sich die Massen gegen die Häuser. Von ihrer Wucht möge ein Beispiel zeugen. Ein Nebengebäude des Gasthauses „Wilhelm Tell“ wurde von dem Murbruch mit dem Fundament bis zum Seeufer fortbewegt, wo es schiefgeneigt stehen blieb. Der Bach zerstörte ferner den Damm der Brünigbahn und ergoß sich schließlich in den See. Gegen 200 Menschen sind bei dieser Katastrophe obdachlos geworden und haben ihre gesamte Habe verloren. Von unseren Abbildungen zeigt die eine die landschaftliche Lage von Kienholz, in der Mitte der Berge sieht man (bei L) die Schlucht, aus welcher der Lammbach hervorbricht, auf dem anderen Bilde die Geröllmassen des Murgangs und einen Teil der von ihm angerichteten Verwüstungen. Die Bilder sind nach Photographien hergestellt, die im Auftrage eines zur Linderung der Not in Brienz gebildeten Hilfskomitees aufgenommen wurden und zu Gunsten der so hart betroffenen Einwohner von Kienholz verkauft werden.
Nur durch kostspielige und lange Zeit in Anspruch nehmende Arbeiten dürfte es vielleicht möglich sein, ähnliche Katastrophen für die Zukunft zu verhüten. Bis dahin werden wohl die Einwohner der bedrohten Ortschaften ihre Wohnstätten räumen müssen. In die Lage der Unglücklichen können sich die Leser der „Gartenlaube“ wohl versetzen; ist doch der Kampf gegen das furchtbare Naturereignis des „Laufenden Berges“ dem trefflichen Hochlandsroman Ganghofers zu Grunde gelegt. *
Der Tod des Brunelleschi. (Zu dem Bilde S. 633.) Der kürzlich verstorbene englische Maler F. Leighton, dem die Bewunderung seiner Königin den Lordstitel verlieh, führt in dem Bilde, das unsere heutige Nummer schmückt, ein geschichtliches Ereignis von ergreifender Wirkung vor. Es ist das Verscheiden des großen Baumeisters Filippo Brunelleschi, der am Tag vor Ostern, inmitten der Festvorbereitungen seine verlöschenden Blicke noch auf dem Werk seines Lebens, der florentinischen Domkuppel, ruhen läßt. Ghiberti, der Schöpfer der berühmten Erzthüren, umgeben von trauernden Freunden, hält seine Hand – der Tod beendet die lange Nebenbuhlerschaft der beiden, von welchen doch Brunelleschi der weitaus gewaltigere und größere war. Denn ihm gelang, das zu finden, um was seine ganze Zeit sich vergebens mühte: die Gesetze der Kuppelwölbung, und hiermit ein völlig Neues in die Baukunst zu stellen, das allen Späteren, selbst Michelangelo, als Grundlage diente.
Der Dombau zu Florenz, begonnen 1310 von Arnolfo di Cambio, fortgesetzt von Giotto 1334, stand lange unvollendet. Erst 1426 wurde eine Konkurrenz für den Kuppelabschluß ausgeschrieben, an welcher sich alle ersten Namen der an Künstlern so reichen Stadt beteiligten. Man hatte schlechte Erfahrungen mit Einstürzen der unrichtig gestützten Gewölbe gemacht, und in der allgemeinen Ratlosigkeit waren die sonderbarsten Projekte aufgetaucht, z. B. die Kuppel über einen Berg von Erde emporzuwölben und diese Erde, in welche Gold vergraben werden sollte, später freiwillig durch das Volk herausholen zu lassen! Da kam Brunelleschi, welcher früher in Rom, wo er Goldschmiedsarbeit zum Lebensunterhalt verrichten mußte, die antiken Bauten, besonders das Pantheon, den einzig erhaltenen Kuppelbau der Alten, studiert hatte, und siegte durch die Genialität seines Entwurfes über Ghiberti und alle anderen. Zur Ueberspannung eines Oktogons waren ganz neue, am Rundbau des Pantheons nicht angewandte Prinzipien zu finden, es war also ein Sieg der übermächtigen Geisteskraft, welcher jetzt Brunelleschi als ersten Baumeister die Vollendung des Domes in die Hand gab. Er führte sie, der stolze, ernste, in sich verschlossene Mann, lange Jahre durch einen Dornenweg von Hindernissen und Intriguen und sah die Wölbung der Kuppel in tadelloser Reinheit emporsteigen und sich runden. Die völlige Fertigstellung sollte er nicht mehr erleben: die „Laterne“ wurde erst nach seinem 1446 erfolgten Tode nach den von ihm gezeichneten Plänen ausgeführt. – Um seinen Ruhm zu sichern, brauchte es nicht des Standbildes, welches ihm die Florentiner errichteten und das ihn nahe dem Dom, zu seiner Kuppel aufschauend, darstellt. Diese selbst ist das schönste, am gewaltigsten redende Monument für ihren großen Erbauer.
Das Original des Bildes, das Leighton 1852 als Schüler Steinles in Frankfurt a. M. malte, wurde von ihm seinem Lehrer als Tribut der Dankbarkeit gestiftet und ist erst neuerdings aus Steinles Nachlaß an die Oeffentlichkeit gelangt. Der Güte des jetzigen Besitzers, Herrn Dr. v. Steinle, und Leightons Erben verdanken wir unsere Abbildung. A.
Die Münchner Frauenarbeitsschule. Unter den vielen Bildungsanstalten der bayerischen Hauptstadt nimmt diese 1873 von dem „Verein für Volksbildung“ gegründete und seither stets erweiterte Schule einen hohen Rang ein; denn hier wird schon lange in That umgesetzt, was sich neuerdings durch die Frauenbewegung immer mehr als Bedürfnis herausstellt: die Erziehung zum ganz gründlichen Können, zur vollkommenen Bewältigung eines ganzen Arbeitsgebietes. Was früher der unablässige Hausfleiß sich allmählich erwarb, das muß heute eine systematische Schulung ersetzen, damit auf dem natürlichsten und größten weiblichen Arbeitsfelde wieder die sichere Praxis und Gewandtheit erworben werde, ohne welche keine gute berufsmäßige Leistung möglich ist. Da nun weitaus die meisten arbeitsuchenden Mädchen sich doch immer der wirtschaftlichen Thätigkeit widmen müssen, so erhellt ohne weiteres, wie wünschenswert es wäre, in jeder größeren Stadt eine Schule nach Art der Münchner Anstalt zu besitzen.
Im Erdgeschoß des großräumigen schönen Gebäudes am Anger befindet sich eine große saubere Wäscheküche mit prachtvollen Kesseln und Bütten. Hier wird die gesamte Feinwäsche gelehrt; nebenan ist der
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0647.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)