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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0522.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Frau Purtschellerin! Ich kann so e junge Frau nix weinen sehen. Und will Ihnen sagen, warum! … Ich hab’ e Tochter gehabt, e brav’ Kind. Is dem Rufel all seine Freud’ gewesen! Und wie sie gehabt hat e paar Jährchen über die zwanzig … da hat sie sterben müssen! Hat nix e Freud’ gehabt in der Welt, nix e Genuß vom Leben … und jung hat se sterben müssen. Mit Geduld hat sie getragen die lange, kranke Zeit … und emal, wie ich vom Dorfgang heimgekommen bin auf ’n Abend, da bin ich wieder zu ihr gegangen ans Bett, hab’ se bei der Hand genommen und hab’ wieder emal gefragt: Veigele, mein Leben, geht’s Dir besser e bißl? … Nix e Wörtl hat se gesagt … hat mir die Hand gedrückt, e so wie Sie jetzt … lassen Se aus, Frau Purtschellerin! … und die Tröpfelche sennen ihr übers Gesicht gelaufen, e so wie Ihnen!“ Er befreite seine Hand, und mit Aerger seine Bewegung verbergend, greinte er: „Machen Se mir nix solche Sachen vor.“

Lautlose Stille war im Zimmer; nur die Wanduhr tickte und vom Hof herauf hörte man undeutlich die scheltende Stimme Purtschellers.

Langsam fuhr sich Rufel mit dem roten Sacktuch rings um den Hals, und bitter den welken Mund verziehend, blickte er von der Seite zu Karlin’ auf.

„Er braucht e Geld?“

Sie brachte kein Wort über die Lippen und schüttelte nur den Kopf.

Rufel hob die Schultern und seufzte. „Ich will Ihnen was sagen, liebe Frau … wie der große Herr Purtscheller mir angethan hat die Ehr’, mich zu bestellen in sein schönes Haus, da hat der Rufel schon mehr gewußt, als der Herr Purtscheller ihm jetzt wird sagen wollen! … Ich denk’ doch, er braucht e Geld!“

„Na! Na!“ stammelte Karlin’, während ihr das Blut in die Stirne schoß. „Aber Sorgen, mein’ ich halt, recht viel Sorgen hat er. Es muß ihm die letzten Jahr’ net ganz so ’nausgangen sein, wie er g’rechnet hat … und …“

„Und was?“

„Und da denk’ ich mir halt, er möcht’ ein’ Rat von Ihnen haben.“

„En Rat?“ Rufel wiegte lächelnd den Kopf. „Nu, den will ich ihm geben als en ehrlicher Mann.“

Karlin’ drückte ihm die Hand. „Vergeltsgott, lieber Rufel! Und …“

„Und was noch?“

„Und ich bitt’ schön, lassen Sie ’s Ihnen net gleich verdrießen, wenn er ein bißl hitzig redt! Schauen S’, er is einwendig doch wirklich ein guter Mensch. Aber so viel gache Hitzen hat er im Blut! Bös meint er ’s ja g’wiß net, aber … aber schreien thut er halt allweil gleich ein bißl!“

Rufel streichelte die Hand der jungen Frau. „Machen Se sich nix e Sorg, Frau Purtschellerin. Soll er schreien! ’s Anschreien is der Rufel gewöhnt. Und nu machen Se e schön’s Gesicht für ihn … da kommt er, ich hör’ ihn auf der Trepp’. Und lassen Se ihn nix merken, daß Se was geredt haben mit ’m Rufel! Ich schweig’ wie e Grab!“ Er schob das rote Tuch in die Tasche, setzte sich und nahm den Hakenstock zwischen die Kniee. (Fortsetzung folgt.)


Ein Reich, ein Recht!

Zur Entstehungsgeschichte des „Bürgerlichen Gesetzbuchs“
Von Ernst Wichert.


Ein Reich, ein Recht!“ So wäre denn auch diese ideale Forderung erfüllt oder wenigstens der Erfüllung einen Riesenschritt näher gebracht: der Reichstag hat das Bürgerliche Gesetzbuch verabschiedet, seinem Vorgang sind die deutschen Regierungen gefolgt, und im Jahre 1900 wird in allen deutschen Gerichtshöfen von der Nord-Ostsee bis zu den Alpen, vom Niemen bis zum Rhein das hier festgesetzte Recht als ein einiges gelten, das Reichsgericht in Leipzig eine volle Wahrheit geworden sein. Fast ein Wunder darf es uns erscheinen!

Die Forderung ist älter als das Reich. Sie geht zurück bis in die Zeit vor achtzig Jahren, als nach den Befreiungskriegen dem deutschen Volke, das die napoleonische Zwingherrschaft abgeworfen hatte, die Hoffnung erwuchs, es werde nun die politische Einigung der deutschen Staaten und Stämme zu einem mächtigen nationalen Körper gewonnen sein. Damals war es ein deutscher Rechtslehrer, Professor Thibaut in Heidelberg, der „die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechtes für Deutschland“ erkannte und es öffentlich aussprach, „daß die Deutschen nicht anders in ihren bürgerlichen Verhältnissen glücklich werden können, als wenn alle deutschen Regierungen mit vereinten Kräften die Abfassung eines, der Willkür der einzelnen Regierungen entzogenen, für ganz Deutschland erlassenen Gesetzbuches zu bewirken suchen“. Sonderbarer Schwärmer! Seine Mahnung wäre überhört worden, auch wenn nicht sein großer Gegner Savigny unserer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen hätte. Erst 1848 gelang es, die Allgemeine deutsche Wechselordnung, 1861 das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch zustande zu bringen und dadurch den schreiendsten Mißständen abzuhelfen. Der Entwurf einer Verfassung des Norddeutschen Bundes (1867) wollte der Gesetzgebung des Bundes nur die gemeinsame Civilprozeßordnung und das gemeinsame Konkursverfahren, Wechsel- und Handelsrecht überweisen; ein Antrag von Miquel, die gemeinsame Gesetzgebung über das bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren an die Stelle zu setzen, drang nicht durch soweit das bürgerliche Recht in Frage kam, dafür wurde nach Laskers Vorschlag das Obligationenrecht, also nur ein kleiner Teil desselben, eingestellt. Weiter wollte man sich damals noch nicht wagen.

Aber der Antrag Miquel, nun von Lasker selbst aufgenommen, kehrte im Reichstage des Norddeutschen Bundes und dann nach Gründung des Deutschen Reiches 1871 im Deutschen Reichstage immer wieder und wurde jedesmal mit großer Mehrheit angenommen. Die Regierungen widerstanden nicht länger. Unter dem 20. Dezember 1873 erschien das ewig denkwürdige Gesetz, dessen einziger Paragraph die Verfassung des Deutschen Reiches dahin abänderte, daß zu seiner Kompetenz gehören solle:

„Die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren.“

Alle partikularistischen Strömungen waren überwunden, alle – immerhin schwerwiegenden – sachverständigen Bedenken gegen die Ausführbarkeit des gewaltigen Werkes beseitigt!

So bestand nun die gesetzliche Möglichkeit, die lange ersehnte deutsche Rechtseinheit zu schaffen. Man ging auch sogleich an die Arbeit. Aber mehr als zwanzig Jahre mußten darüber hingehen, bis sie – ohne jede Verzögerung – in dem Bürgerlichen Gesetzbuch zum vorläufigen Abschluß gebracht werden konnte. Es ist hier nicht der Ort, ins einzelne die unendlichen Mühen der werkthätigen Arbeiter zu schildern. Ein kurzer Hinweis möge genügen! Zunächst wurde eine Vorkommission von fünf hochgestellten Juristen mit der Aufgabe betraut, über Plan und Methode, nach welchen bei Aufstellung des Entwurfes zu verfahren sei, gutachtliche Vorschläge zu machen.

Nach Fertigstellung dieses Gutachtens beauftragte der Bundesrat eine Kommission von neun ausgezeichneten Juristen aus den verschiedenen Rechtsgebieten mit der Ausarbeitung des Entwurfes. Vierzehn Jahre brauchte dieselbe, nach Bewältigung der notwendigen Vorarbeiten den Entwurf fertig zu stellen. Ihre Arbeit wurde darauf der öffentlichen Kritik überwiesen, aber von dieser, bei aller Anerkennung des wissenschaftlichen und praktischen Wertes, doch so vielfach bemängelt, daß 1890 die Einsetzung einer neuen Kommission zum Zwecke einer zweiten Lesung erforderlich erschien. Dieselbe bestand aus 21 Mitgliedern, unter denen außer angesehenen Rechtslehrern und praktischen Juristen auch Vertreter der verschiedenen wirtschaftlichen Interessen sich befanden. Dieser neuen Kommission ist es nach fünf Jahren angestrengtester Thätigkeit gelungen, die wesentlichsten Mängel des Entwurfes zu beseitigen, die Materie zu vereinfachen und die Formulierung gemeinverständlicher zu gestalten. So erhielten endlich Bundesrat und Reichstag eine brauchbare Grundlage für das nunmehr von ihnen endgültig festgestellte Bürgerliche Gesetzbuch, dessen Segnungen wir uns sicher lange Zeit erfreuen werden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0522.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)