Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Ein Milchbaum. Bäume und Gewächse, die einen milchartigen
Saft geben, finden sich in allen Zonen, doch besteht das Milchartige
meistens in der Farbe und im Dickflüssigen; an der Küste von Venezuela
aber giebt: es eine Art von Brotfruchtbaum, dessen Saft mit der tierischen
Milch in jeder Hinsicht die größte Ähnlichkeit hat. Durch Anbohrung
seiner Rinde erhält man eine Milch von balsamischem mandelmilchartigen
Geruch und Geschmack die dabei gesund und nährend ist,
Sogar lange Zeit als alleinige Nahrung genossen werden kann, wie dies
von den Negern in den Zuckerplantagen geschieht. Selbst im heißesten
Sommer, wenn die Blätter alle verdorrt sind giebt der Stamm noch
reichlich Milch. Der Saft enthält ähnliche Bestandteile wie die Milch,
nur Gummi und Zucker, der sich auch gesondert gewinnen läßt, in
dreifach größerer Menge. Wenn man die Milch mit Aether behandelt,
so läßt sich ein wachsartiger Stoff aus ihr darstellen.
Das Ende der Niagarafälle. Seit wann besteht der donnernde Niagara und wie lange wird er noch die für Naturschönheiten schwärmenden Touristen entzücken? Schon seit lange haben sich die neugierigen Menschen diese Fragen vorgelegt und sie auch neulich zu beantworten gewußt. Das Riesenbett des Niagara ist eigenartig geschichtet, zu oberst liegt in ihm eine an 25 m mächtige Schicht von Kalksteinfelsen und unter ihr befinden sich weiche Schiefermassen.
Die letzteren werden von den tosenden Wassern fortgespült und der Kalksteinfelsen am Wasserfalle wird unterwaschen; er hängt eine Zeitlang frei vor, bis mächtige Stücke von ihm abbrechen und niederstürzen, infolgedessen weichen die Fälle zurück, d. h. nähern sich immer mehr dem Eriesee. Dieses Zurückweichen ist allerdings äußert langsam, es beträgt nur etwas über einen Meter im Jahre, aber wenn der Wasserfall diesen Krebsgang so weiter fortsetzt, dann wird er in 7000 bis 8000 Jahren den Eriesee erreichen und in diesem verschwinden. In siebentausend Jahren! Was für Völker werden wohl Zeugen des prophezeiten Naturereignisses sein? Ob wohl noch dann der elektrische Funke über den Atlantischen Ocean eine Meldung vom Ende des Niagara tragen wird? *
Hoffnung. (Zu dem Bilde S. 65) Als die „ältere gesetztere Schwester“ der ewig beweglichen Phantasie hat Goethe die Hoffnung bezeichnet und, während er jene als „seine Göttin“ pries, diese „seine stille Freundin“ genannt –
„O daß die erst
Mit dem Lichte des Lebens
Sich von mir wende,
Die edle Treiberin,
Trösterin, Hoffnung.“
Feuriger hat Schiller sie gefeiert; ihn hatte in entbehrungsreicher
Jugend die Erfahrung gelehrt, sie auch als mächtige Führerin durch des Lebens Wirrnis
zu schätzen, welche dem Verzagenden Kraft und Mut verleiht, die lichtlose Gegenwart im
Ausblick in lichtere Zukunft zu ertragen. Seinen kühnen schönen Dichterträumen von Völkerglück und Menschenwürde, die noch heute als Fortschrittsideale der Menschheit wirken, lieh sie den beglückenden
Glauben an ihre Erfüllbarkeit. Der Maler unseres Bildes, der in München lebende Schöpfer so vieler fein und tief empfundenen Bilder, George von Hößlin, schildert die Hoffnung als Trösterin in tiefem Herzeleid; die schönen Augen, die sich hilfesuchend nach oben richten, sind noch vom Schimmer vergossener Thränen umflort. In den gramvollen Zügen des schönen bleichen Weibes lesen wir: sie hat schweren Verlust zu betrauern, Unersetzliches hat sie verloren; aber ihr Herz richtet sich schließlich doch auf, gehoben vom milden Zuspruch der treuen Freundin der Trauernden, der Hoffnung, die auch aus Gräbern neues Leben hervorzuzaubern vermag. J. P.
Die Überschwemmung in Hamburg, die am 22. und am 23. Dezember
vorigen Jahres infolge einer Sturmflut daselbst so bedeutenden Schaden
angerichtet hat, ist der Gegenstand der lebensvollen Skizzen H. Ambergs,
die wir auf S. 53 und nebenstehend zur Abbildung bringen. Nach den
Hamburger Tagesblättern hat die furchtbare Wirkung des jäh ausbrechenden
Sturmes, der an der deutschen Nordseeküste in jenen Tagen sein verheerendes
Unwesen trieb, in Hamburg diejenigen der Sturmflut des Jahres
1881 noch übertroffen. Am Sonnabend vor Weihnachten erfolgte der Ausbruch
des Sturmes von Südwesten her, in der Nacht auf den Sonntag
sprang er in Nordwest um. Nun wurden die hochgehenden Fluten der Elbe
gegen die Wasserkante der Stadt getrieben. Mit rasender Schnelligkeit stieg
das Wasser und begann die niedrig gelegenen Stadtteile unaufhaltsam zu
überschwemmen. Während im Hafen selbst und auf der Elbe Jollen und Barkassen
gleich Nußschalen zum Spiel der aufgepeitschten
Wellen wurden, und ihren Führern nur zum Teil
mit dem höchsten Aufwand der Kraft die schließliche
Bergung am Ufer gelingen wollte –, während das
schrille Pfeifen der den Strom befahrenden Dampfer
vom Kanonendonner der Warnungsschüsse überhört
ward, ergoß sich am Johannisbollwerk, an den Vorsetzen,
dem Stubbenhuk, dem Neustadter Neuenweg
und vielen anderen Stellen die
Flut in die Straßen und füllte
die Keller: dort arme Leute aus
ihrer Wohnung vertreibend, hier
die aufgestapelten Waren der
Geschäftsleute zu deren schwerer
Schädigung verderbend.
Bis mittags 1¼ Uhr stieg das Wasser und erreichte am Flutmesser der St. Pauli-Landungsbrücke die außerordentliche Höhe 17 Fuß 11 Zoll. Aber obwohl der Sturm schon vorher nachgelassen hatte, war die von ihm verursachte Wassersnot mit dem Rückgang der Überflutung noch nicht überwunden. Auch die eifrige Thätigteit der Feuerwehr, deren sämtliche Spritzen zur Entwässerung der betroffenen Wohnungen und Keller benutzt wurden, konnte nur teilweise, obgleich sie die Nacht zum Montag durcharbeitete, den an sie gerichteten Ansprüchen genügen. Zum Glück sind Menschenleben nicht zu beklagen, aber der erwachsene Schaden ist außerordentlich groß. Kohlenfahrzeuge, Jollen und Leichter sind in größerer Anzahl gesunken, bedeutende Mengen Nutzholz waren von den Lagerplätzen, Fässer mit wertvoller Ladung in großer Zahl fortgespült worden. Eine Vorstellung von dem aufgeregten Wogengang auf der Elbe nach Ausbruch des Sturms gibt unser erstes Hauptbild. Ein Fährdampfer sucht sich gegen den wilden Anprall der weißaufgischtenden Wellen zu behaupten und ein Ewer, dessen Segel der Sturm heftig niederdrückt, kämpft eifrig mit ihnen, um den Hafeneingang zu gewinnen. Die kleinere Vignette oben zeigt eine Partie vom Hamburger Stintfang mit einem beflaggten Sturmsignal der Seewarte und zwei Kanonen, welche Warnungsschüsse abgeben. Das hier nebenstehende Hauptbild stellt eine der überschwemmten Straßen dar. Der den Straßenzug begleitende Fleet ist übergetreten und der Verkehr ist nur noch auf Booten möglich. Der Spitzhund auf einem der schwimmenden Warenballen hat gegen den unheimlichen Feind, der seines Herrn Gut bedrohte, freilich nichts ausrichten können, aber auch die Übermacht des Elementes hat ihn nicht von seinem Wachtposten auf dem Ballen zu vertreiben vermocht. Die untere Vignette zeigt, wie eine Restauration, deren Keller mit Wasser gefüllt ist, mit Bier aus trocken gebliebenen Kellern versorgt wird. Wie bei mangelnden Booten auch die starken Arme und Rücken handfester Hafenarbeiter sich hilfsbereit fanden, zarter veranlagte Passanten durch das Wasser zu tragen, das ihnen den Weg verlegte, vergegenwärtigt uns schließlich die obere kleine Vignette.
[ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen der Wochen-Nr. 4/1895. ]
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_068.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)