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Seite:Die Gartenlaube (1890) 066.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Es fiel kein Thau, kein Regen,
Die Donner rollten fern,

15
Es war kein Heil, kein Segen,

Kein Glück für uns, kein Stern.

Und durch die regungslose,
Gewitterschwüle Luft
Ergoß die wilde Rose

20
Allein noch süßen Duft.“

Wie melodisch und die Komposition herausfordernd klingen die Strophen des Liedes „Julinacht“, das die zweite Sammlung enthält:

„Schwüle, schwüle Julinacht –
Südwind küßt die Zweige.
Was dich so stolz und elend macht,
Schweige, mein Herz, verschweige!

5
Ueber den See, der stille ruht,

Wehen die Wolkenschatten,
Ueber die stille schlafende Fluth,
Ueber die schimmernden Matten.

Hörst du’s, wie zur Hochzeitnacht

10
Flöte tönt und Geige?

Was dich so stolz und elend macht,
Schweige, mein Herz, verschweige!“

Aber nicht bloß Liebeslieder und Stimmungsbilder, auch Lieder von weiterreichender Bedeutung und volkstümlichem Gepräge hat Lingg gedichtet; Lieder mit einem mehr genrehaften Zug, wie das „Lied an die Armen“, dessen erste Strophen lauten.

„Ihr Armen mit dem dürren Stab,
Der nimmer grünt und blühet,
Ihr geht die Erde aus und ab,
Verzehrt und abgemühet;

5
Ihr hoffet keinen Sonnenschein

Und fürchtet keinen Regen;
Gedeiht das Korn, geräth der Wein,
Für euch ist’s doch kein Segen.
Das Jahr sei noch so früchtereich,

10
Bleibt euer Elend doch sich gleich.


Wann esset ihr euch satt an Brot?
Ja, wenn die Steine blühen! –
Ihr säet Müh’ und erntet Noth
Und euer Feld sind Mühen.

15
Mit Distel, Dorn und Hagebutt

Blüht’ euer Garten immer,
Und euer Weinberg steht auf Schutt
Und euer Gold ist Glimmer;
Mit Wolken deckt die Nacht euch zu,

20
Und Staub und Thau sind eure Schuh.“

So erscheint das Bild des Lyrikers Hermann Lingg unstreitig als ein vielseitiges. Auch wo er sich der größeren epischen Schöpfung zuwendet, bleibt er ein Gedankendichter, der großartige Fresken man im Kaulbachschen Stil.

So in den drei Büchern seines Epos „Die Völkerwanderung“ (1866–1868), welches allerdings keinen künstlerischen Damm gegen die Ueberfluthung der geschichtlich gegebenen Stofffülle errichtet, Völker und Helden in der Reihenfolge, wie sie auf der Weltbühne auftraten, an uns vorüberführt, so daß weder der epischen Schilderung, noch der verweilenden Betrachtung Zeit gelassen wird. Der Grundton bleibt derjenige einer Chronik in Versen, und der unermüdliche Vorbeimarsch der Gestalten erinnert an die Schattenwelt einer „nächtlichen Heerschau“. Es ist mehr das Auge des Denkers, der die Jahrhunderte umfaßt, als der Blick des Dichters, der liebevoll die einzelne Gestalt, das einzelne Begebniß ausspäht und in künstlerischer Harmonie gestaltet. Gleichwohl hebt sich auch hier aus dem beklemmenden Sturm und Drang der Völkerbewegung manches geschlossene Bild ab von fesselndem Reiz, und diese Episoden, die wie funkelnde Edelsteine an das weithinwallende, oft staubaufwühlende Gewand der Dichtung geheftet sind, werden denjenigen volles Genügen gewähren, welche nur ungern dem raschen Flug der erzählenden Muse durch die Jahrhunderte folgen.

Von Linggs Dramen hat „Catilina“ (1864) wohl den bedeutendsten Eindruck gemacht, auch von der Bühne herab, da das Münchener Hoftheater dies Römerschauspiel zur Aufführung brachte. Es pulsirt Römerblut in diesem Drama; wir wissen ja aus den römischen Balladen, daß Linggs Muse den dichterischen Takt zu dem eisernen Schritt der Legionen in ihrer Gewalt hat. Einzelnes wie die erste Scene des zweiten Aktes ist von trefflicher Haltung, und schwunghaft sind auch viele Reden Catilinas. Doch ist die Handlung etwas zersplittert und die Vorliebe für das Sagenhafte giebt einzelnen Austritten durch Einführung derartiger Gestalten einen alterthümelnden Zug. „Violante“ (1871), ein in Süditalien spielendes Stück aus der letzten Hohenstaufenzeit, hat eine blassere Färbung; schwunghafter ist vieles in den „Walküren“ (1864), einer allerdings auf dem Boden der Sage stehenden Dichtung. Die Erfindung in dem Schauspiel „Der Doge Candiano“ (1873) trägt ein dramatisches Gepräge und ist nicht ohne anmuthende Romantik. Der Doge hat sich in seiner Jugend, als ihn der Vater verbannt hatte, den Seeräubern angeschlossen, als Doge zieht er gegen dieselben zu Felde. Darin liegt ein Verhängniß, das wohl einen tragischen Ausgang herbeizuführen vermag. In einem ganz anderen Stil, in Faustversen, ist das Schauspiel „Berthold Schwarz“ (1874) gehalten, mit einem dem schlicht Voksthümlichen zugekehrten Streben. In dem mehr historienhaften Drama „Macalda“ (1877) kehrt Lingg noch einmal zur Hohenstaufenzeit zurück. Die Tochter Manfreds, sowie diejenige Carls von Anjou spielen darin mit; die Hauptheldin aber, Macalda, ist mit der sicilianischen Vesper eng verknüpft. „Die Bregenzer Klause“ (1887) behandelt Verwickelungen aus der letzten Zeit des Dreißigjährigen Krieges, ein anziehendes Stück von schlichter und natürlicher Sprache und ungezwungener Steigerung der Handlung.

Dies Schauspiel hat der Dichter nach einer Erzählung in seiner Novellensammlung „Von Wald und See“ (1883) für die Bühne bearbeitet; denn auch als Novellist ist Lingg aufgetreten, besonders in den „Byzantinischen Novellen“ (1881), und es bewährte sich auch in dieser Prosaform das Talent des Balladendichters, geschichtliche Stimmungsbilder von oft düsterer Beleuchtung zu schaffen.

So tritt das Bild des greisen Dichters am Ehrentage seines siebzigsten Geburtsfestes vor uns hin, bedeutsam in seiner Eigenart, dem Höchsten zugewendet im Denken und Dichten, in einer Zeit, in welcher leichtflüssige Gewandtheit allzusehr das Talent und glückliche Mache die schöpferische Kunst zu ersetzen vermag. Dem Nationalschatze deutscher Dichtung gehören einzelne seiner Gedichte für alle Zeiten an; denn sie haben das dauernde Gepräge, welches ein unter dem Antriebe echter Begeisterung schreibender Dichter seinen Schöpfungen aufdrückt.

Rudolf v. Gottschall.




Blätter und Blüthen


Ein Hospiz für Verirrte. An den Westmarken des Reichs, zwischen den Quellen der schon dem Stromgebiet der Maas angehörenden Flüsse Roer (Ruhr), Vesdre (Weser) und Amblève breitet sich meilenweit ein ungastlicher öder Landstrich aus, das „hohe Venn“ („Venn“ oder „Veen“ = Moor, französisch „les hautes fagnes“), der ungefähr zu gleichen Theilen an die beiden hier zusammengrenzenden Staaten Preußen und Belgien fällt. Die Straße von Eupen nach Malmedy durchschneidet dieses nur spärlich bewohnte Hochmoor an seiner höchsten und gefährlichsten Stelle. Wehe dem Wanderer, der hier oben von einem Schneewetter überrascht wird! Im Nu ist Weg und Steg verschneit; keine Hand ist vor den Augen zu sehen; spitze Schnee- und Eisnadeln machen jeden Ausblick unmöglich und schlagen Gesicht und Hände blutrünstig, während ein durchdringender eisiger Wind das Blut beinahe ins Stocken bringt. Der Aermste ist verloren, wenn ihn nicht ein günstiger Zufall die einzige menschliche Wohnung in dieser Wüste erreichen läßt: die Baracke Michel.

Opferwillige Menschenliebe ist es, die Verirrten hier ein Asyl bereitet hat. Freilich, keine Bernhardiner werden hier ausgeschickt, um die Erstarrten aufzusuchen; aber stets während eines Unwetters wird man durch das Heulen des entfesselten Windes den Ruf eines Glöckchens vernehmen; der ermattete Wanderer strengt seine letzten Kräfte an, er folgt dem Glockenton und findet sich endlich angesichts einer Kapelle; es ist die Kapelle Fischbach gegenüber der Baracke Michel.

Die Baracke ist hart an der Grenze auf belgischem Boden erbaut. Einige ländliche Gebäude, von denen ein Theil vergangenen Herbst niedergebrannt ist, und ein Aussichtsthurm, das ist alles. Die Kapelle Fischbach liegt schon in Preußen.

Gegründet wurde die Baracke vor etwa 50 Jahren von einem Deutschen Namens Michael Schmitz, und noch heute ist das Anwesen im Besitz von dessen Familie, deren gegenwärtiges Oberhaupt sogar Angestellter des Brüsseler Observatoriums ist, da sich bei seinem Besitz, auf der höchsten Erhebung des belgischen Landes, 672 Meter über dem Meere, ein topographisches Höhenzeichen befindet. Besucht wird die Baracke, nach Fertigstellung der Bahnlinie Aachen-Malmedy, meist nur noch im Sommer von Touristen aus Spaa, Malmedy oder Aachen. Eine fast unbegrenzte Fernsicht genießt man von dort; mit einem guten Glase soll man die Helmspitzen des Domes von Antwerpen sehen können.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_066.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)