Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
|
ausreichenden Mitgift erwähnte, riß Lenau zu einer Zeit, wo an einen Rücktritt nicht mehr zu denken war, aus seiner Hoffnung auf eine vollkommen gesicherte Zukunft.“ So berichtet Karl Evers, der Zeuge jener Brautfahrt des Dichters gewesen ist und der gleichfalls von dessen wechselnden Stimmungen in jener Zeit zu erzählen weiß. Hatte ihn doch am Verlobungstage die Frage eines Frankfurter Kaufmanns, eines Verwandten der Braut, was er denn eigentlich für eine Art Dichter wäre, ob ein Theater- oder Romanschreiber oder was sonst derlei, aufs tiefste und empfindlichste verletzt.
Dazu kam aber noch ein anderes und zwar das Wichtigste: die Furcht vor Wien. Es war eine recht traurige Reise, die der arme Bräutigam bald nach seiner Verlobung antreten mußte. Am 14. August war er in Wien und ging sofort zu Sophie. Ihre erste Frage lautete: „Niembsch, ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden?“
„Ja!“ erwiderte er, „doch wenn Sie es nicht wünschen, verheirathe ich mich nicht, ich erschieße mich dann aber auch!“
Es dauerte mehrere Tage, während welcher Lenau mit Sophie und ihrer Familie in Lainz bei Wien lebte, ehe eine Verständigung erzielt wurde. Nachdem er aber diese erreicht, war er von einer wahrhaft „funkelnden Freudigkeit“, die den Freunden allerdings schon befremdend erschien. Es blickte manchmal durch, als wäre die Lust und Laune etwas erzwungen. Er schien entschlossen, alle Hindernisse der Religion (Marie war protestantisch), des Vermögens etc. gewaltsam zu beseitigen. Als ihm ein Freund die verschiedenen Bedenken gegen diese Ehe vorhielt, stampfte er mit dem Fuße auf und rief: „Ich will aber glücklich sein!“
Und dann kam die Scheidestunde von Wien, von Sophie. Alle Zurückhaltung, alle guten Vorsätze fruchteten nichts. Der endlose Jammer der Trennung überwältigte die beiden so treu verbundenen Herzen. „Mir ist’s, als sollt’ ich Sie nie wiedersehen! Eins von uns muß wahnsinnig werden!“ rief Sophie aus. Lenau aber ermannte sich und mit dem feierlichen Schwur: „Dein fest und ewig!“ ging er von dannen.
Schon in seinem ersten Brief vom Schiffe aus giebt er den wehmüthigen Trennungsgedanken poetischen Ausdruck: „Wenn man von was recht Liebem geschieden ist und um das Verlorene trauert, so ist es gut, in einen Strom zu schauen, wo alles wogt, rauscht und schwindet, wie das Beste des Lebens. Diese Wehmuth hätte sich mir zu bitterer Qual gesteigert, wäre mir nicht mit den Wellen auch der Gedanke zugeschwommen, daß ich ja selbst bald auch so verrauschen werde und vergehen!“ Es ist seltsam, daß Lenaus letztes Gedicht genau denselben Gedanken ausdrückt. Da heißt es:
„Sahst du ein Glück vorübergeh’n,
Das nie sich wiederfindet,
Ist’s gut, in einen Strom zu seh’n,
Wo alles wogt und schwindet.
O, starre nur hinein, hinein,
Du wirst es leichter missen,
Was dir, und soll’s dein Liebstes sein,
Vom Herzen ward gerissen.
Blick’ unverwandt hinab zum Fluß,
Bis deine Thränen fallen,
Und sieh durch ihren warmen Guß
Die Fluth hinunterwallen.
Hinträumend wird Vergessenheit
Des Herzens Wunde schließen;
Die Seele sieht mit ihrem Leid
Sich selbst vorüberfließen.“
Man darf wohl ohne weites annehmen, daß dieses schwermüthige Lied das Empfinden des Dichters nach seiner Trennung von Sophie ausspricht; es trägt in der letzten Cottaschen Ausgabe das Datum des 25. Septembers, des Geburtstags Sophiens. „Die Leiden sind gesellig wie die Raben; sie kommen in schwarzen Scharen,“ schrieb er kurz darauf – in der That, eine seltsame Stimmung für einen Bräutigam, der der Erfüllung seines Lebensglücks entgegenreist.
Allerdings schien dieses Lebensglück, je näher er ihm zu sein glaubte, in immer weitere Ferne zu rücken. Verdrießlichkeiten der seltsamsten Art, Klatschgeschichten alter Blaustrümpfe, Schwierigkeiten bei Feststellung des Vertrags mit Cotta verbitterten die Stimmung des Dichters in bedenklicher Weise und beschleunigten den Ausbruch der Katastrophe, die alle gefürchtet, die er selbst geahnt und die nun mit Sturmesgewalt über Lenau hereinbrach.
Es war am 29. September, an einem Sonntag. Lenau saß mit seinen Stuttgarter Freunden beim Frühstück und las die eben aus Frankfurt und Wien eingelaufenen Briefe. Da fiel ihm das Gewicht seiner Lage schwer aufs Herz. Mit einem Aufschrei des höchsten Zorns und Kummers sprang er auf und im selben Augenblick fühlte er einen Riß durchs Gesicht. Er trat vor den Spiegel und sein verzerrtes Bild starrte ihm entgegen; der linke Mundwinkel war in die Höhe gezerrt und die rechte Wange war gänzlich starr und gelähmt bis ans Ohr. Dieser Schlaganfall war jedoch nur der Anfang des Leidens, das mit reißender Schnelligkeit den Geist des armen Lenau zerstörte.
„In meiner jetzigen Lage kann ich an ein Heirathen kaum denken,“ schreibt er fünf Tage später an Sophie. „Beinahe bin ich schon entschlossen – es fehlt nur noch sehr wenig – entschieden zurückzutreten. Wenn ich mir vorstelle, daß ich jetzt bald nach Frankfurt gehen soll, um dort von neuem über tausend Widerwärtigkeiten, die wie ein Gebirg von Glasscherben vor mir liegen, hinüberzuklettern, so schaudert mir.“
In den nächsten Briefen änderte sich allerdings wieder die Stimmung. Bald ist er voll freudiger Hoffnung auf ein volles Eheglück, bald von düsteren Ahnungen und schwarzen Gedanken erfüllt; heute will er endgiltig abschreiben, morgen geht ein zärtlicher Liebesbrief an die Braut ab. Nur in hellen Stunden fühlt er es klar: „Ein schlechter Ehekandidat bin ich jedenfalls!“
Aber diese hellen Stunden wurden immer seltener. Und in der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober brach die Tobsucht aus. „In dieser Nacht hab’ ich in einer schauerlichen Beleuchtung des Schicksals bis auf den Grund meines Herzens gesehen, daß meine ganze Seele Ihnen gehört auf ewig,“ schrieb er am folgenden Tag an Sophie. Soviel Kraft hatte er noch, den Anfall zu bewältigen. Freilich, auch diese Kraft nahm immer mehr ab und der Wahnsinn trat ein, der entsetzliche Wahnsinn, der nur selten noch lichteren Zwischenpausen Platz machte. In einem solchen lichten Augenblick, unmittelbar nach einem Aderlaß, rief er ein paarmal aus: „Heute kommt meine Braut!“ Niemand konnte daran denken, denn die Aerzte hatten wegen der befürchteten Aufregung davon abgerathen, der Braut irgend welche Mittheilung zu machen. Aber wie seltsam! Am selben Abend traf die Braut mit ihrer Mutter in Stuttgart ein. Auf die Kunde von Lenaus Erkrankung war sie im Eilwagen von Frankfurt abgereist. In Heidelberg mußte der Wagen auf die von Karlsruhe kommende Post warten, die Damen gingen in den Gasthof, Marie nahm eine Zeitung zur Hand, und ihr erster Blick fiel auf die lakonische Mittheilung: „Der Dichter Lenau ist wahnsinnig geworden und liegt in der Zwangsjacke.“
Am folgenden Morgen bestand Lenau darauf, seine Braut sehen zu wollen, obwohl ihm niemand deren Ankunft mitgetheilt hatte. Die Aerzte verboten jedoch entschieden, sie zu ihm zu lassen, weil sie von seiner Erregung das Aeußerste befürchteten. So weilte Marie einige Tage in Stuttgart, ohne ihren Bräutigam anders – als durch das Schlüsselloch gesehen zu haben! Und dieser Anblick soll ein so fürchterlicher gewesen sein, daß sie den Eindruck ihr Leben lang nicht verwinden konnte.
Alle, die Marie sahen, brachten ihr natürlich die wärmsten Sympathien, das innigste Mitgefühl entgegen. Alle stimmten auch darin überein, daß Lenau an der Seite dieser Frau sicher das Glück gefunden hätte, das er im Leben vergeblich gesucht hatte. Emma Niendorf beschrieb ihre damalige Erscheinung folgendermaßen: „Eine zarte Gestalt voll Anmuth; ein Oval, etwas Madonnenhaftes im Antlitz. Im Wesen sehr sanft und ruhig. Achtzehn Tage hatte sie Lenau im ganzen gekannt – achtzehn Tage und dann das ganze Leben einsam, zerstört, vernichtet . . . Lange faßten sie den Gedanken gar nicht, sie und ihre Mutter, die eine gar gute Frau sein muß. Jetzt meinte Marie, sie möge gar nicht hoffen, denn sie wolle diesen Schmerz nicht noch einmal durchringen; sie habe auf alles verzichtet, sie getraue sich nicht mehr, an Glück zu glauben.“
Und sie hatte recht. Vor ihrer Abreise aus Stuttgart war ihr noch der entsetzliche Anblick beschieden, von einem Fenster des Reinbeckschen Hauses aus ihren geliebten Lenau in einer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_830.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)