Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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schrankenlosen Zügellosigkeit des Weltbadelebens weiden, um den letzten Schluß des Don Juanthemas mit all’ der Freiheit und Kühnheit dichten zu können, die diesem Vorwurf entspricht. Und siehe da, welch ein Gegensatz!
Auf seinem Wege erblühte die Blume der Liebe in reiner Holdseligkeit. „Der Dichter,“ so sagt Auerbach sehr schön, „der die Folgenreihen des fessellosen und pflichtlosen Genusses, den bewußten Taumel der Sinnenlust darstellen wollte, stand unversehens in allen süßen Schauern der reinen Liebe; Friedsamkeit und wohlig umhegtes Heim bauten sich vor ihm auf.“
Aber aus der Ferne tönten die Erinnerungen einer Vergangenheit an sein Ohr, die eben nicht Vergangenheit sein wollte. Und das war Lenaus trauriges Verhängniß . . .
So romantisch und seltsam jedoch des Dichters Schicksal war, die Geschichte seiner Brautwerbung ist eine recht prosaische, ja zum theil sogar noch darüber hinaus eine geradezu philisterhafte. Nicht im Waldesdunkel und nicht im Blitzeszucken, sondern an der Table d’hote im „Englischen Hof“ lernte Lenau Marie Behrend kennen. Und sie war keine Schwärmerin, kein phantastisches Mägdelein, sondern eine ernste, sinnige und sanfte Dame, schon über die ersten Mädchenjahre hinaus und im Kampfe des Lebens durch eine trübe, an dem Krankenbett des geliebten Vaters verbrachte Jugend erfahren und gefestigt. Der erste Eindruck, den sie auf Lenau machte, war gleichwohl – oder vielleicht gerade darum – ein ausgezeichneter. Wonnestrahlend kam er am andern Morgen zu Auerbach und erzählte ihm sein Abenteuer. Er hatte erfahren, daß die Damen – Mutter und Tante des Mädchens – schon am selben Tag abreisen wollten, und während Auerbach im Garten auf und ab wandeln mußte, schrieb Lenau auf seinem Zimmer jenes Gedicht an Marie Behrend in ein schnell herbeigeschafftes Exemplar seiner Dichtungen, das später aus dem Nachlasse veröffentlicht wurde:
„Mich ließ die Gunst des Augenblickes,
Ein flüchtig Lächeln des Geschickes,
Wie bis ins Herz Du schön, erkennen;
Leb’ wohl! Ich muß mich von Dir trennen!
Doch mildert’s mir Dein frühes Scheiden,
Wenn ich vom Glück, das mir entschwunden
– So schnell wie Du! – die heitern Kunden,
Und wenn ich darf den Ruf der Leiden,
Die singend mir das Herz zerrissen,
In Deinen lieben Händen wissen.“
Es war das letzte Liebeslied Nikolaus Lenaus. Und der Erzähler gesteht, daß er nie den Ton habe vergessen können, mit dem Lenau im Umschlag seiner frohen Stimmung am Abend desselben Tages plötzlich zu ihm sagte: „Brüderl! Das Licht geht aus!“ Er saß in sich zusammengekauert, hatte die beiden Hände zwischen die Kniee gepreßt und rief: „Das Licht geht aus!“
Aber ehe das Licht gänzlich verlosch, strahlte ihm noch einmal die Sonne vollen Liebesglückes und umglänzte mit ihrem letzten milden Abendroth das Haupt des schwermüthigen, unglücklichen Sängers.
Er hatte die Gewißheit, daß seine Liebe erwidert wurde, erlangt; und nun sproßte ein neuer Blüthenfrühling in ihm auf. Er machte Pläne für die Zukunft und schwärmte im Ausmalen eines still abgeschlossenen Lebensglückes. Alles Vergangene schien hinter ihm versunken; nur hier und da huschte noch ein Schatten vorüber, um rasch wieder zu verschwinden; sein ganzes Sinnen und Trachten war auf die künftige Gestaltung seines Lebens gerichtet. Es ist aber bezeichnend, daß bei all’ diesen Plänen eine durchaus verständige, ja fast nüchterne Berechnung vorherrschte. Lenau schien geradezu praktisch geworden zu sein. Wer ihn nicht schon gekannt, hätte ihn am Ende gar für geizig halten müssen. Denn neben der Freude an dem neu gefundenen Liebesglück spielte das Behagen eine wesentliche Rolle, nunmehr einen festen Halt und eine materiell gesicherte Lebensstellung zu erlangen. Ja, so klug war Lenau diesmal, daß er in seinen Briefen nach Wien – namentlich an Sophie – auch nicht ein Jota von seinen Plänen schrieb. Er handelte diesmal rasch und entschlossen, er berechnete alle Umstände geschickt und vernünftig – aber es war schon zu spät. Und er selbst fühlte es, als er nachher sagte: „Mein ganzes Unglück ist ein verfehltes Rechenexempel. Ich habe mich verrechnet. Ich wollte noch glücklich sein, und als ich das Glück erkannt, es mir schnell sichern . . . aber die alten Bande lassen mich nicht los.“
Schnell hatte Lenau, wie gesagt, den Entschluß gefaßt, sich zu verloben und die Freundin in Wien mit einer vollendeten Thatsache zu überraschen. Er reiste nach Frankfurt und dort fand die Verlobung statt. „Ueber mein ganzes Leben ist ein freudiger Friede gekommen,“ schrieb er von da aus an seine Stuttgarter Freunde, „wie ich ihn diesseits nicht mehr zu gewinnen hoffte.“
Aber dieser Friede war leider nur von kurzer Dauer, das Abendroth vor Sonnenuntergang. Zuerst war es die Sorge um die Zukunft, die seinen Liebesfrieden störte. Zwar hatte er mit Georg v. Cotta einen Vertrag abgeschlossen, der ihm 20 000 Gulden Honorar für seine Gedichte sicherte. Aber diese Summe reichte doch nicht hin, einen geordneten Hausstand zu begründen. Da war denn alle Hoffnung auf das Vermögen der Braut gerichtet. Leider erwies sich diese Hoffnung nur zu bald als trügerisch. „Eine Eröffnung der Brautmutter, welche einer unter gewöhnlichen Umständen reichlichen, unter den obwaltenden aber keineswegs
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_829.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)