Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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lieben, denn Sie erziehen ja Ihre Kinder für diese Welt. Und somit ist meine Predigt zu Ende, möge es auch Ihr Trübsinn sein und Ihr verwünschter Zahnschmerz!“
Ach, sie hatten es beide nöthig, sich Muth und Trost zuzusprechen, denn ihre Lage war keineswegs erfreulich. Nur in ihren Kindern fand Sophie diesen Muth, und nur seine Lieder gewährten Lenau jenen Trost. Die schönsten dieser Lieder aber aus jener Zeit sind an Sophie gerichtet. Der Abschnitt in seinen gesammelten Gedichten, der „Sophie“ – in einigen Ausgaben „Liebesklänge“ – überschrieben ist, enthält wohl das Reinste und Lieblichste, was seine Muse geschaffen hat, Lieder wie „Einsamkeit“, „Wunsch“, „Traurige Wege“ u. a., die leben werden, so lange die Sprache lebt, in der sie gedichtet worden sind. An der Spitze aber dieser Sammlung steht das Gedicht an Sophie, welches die Geschichte dieser unglücklichen Liebe enthält:
„Ach, wärst du mein, es wär’ ein schönes Leben!
So aber ist’s Entsagen nur und Trauern,
Nur ein verlornes Grollen und Bedauern;
Ich kann es meinem Schicksal nicht vergeben.
Undank thut wohl und jedes Leid der Erde;
Ja! meine Freund’ in Särgen, Leich’ an Leiche,
Sind ein gelinder Gram, wenn ich’s vergleiche
Dem Schmerz, daß ich dich nie besitzen werde.“
Wenn behauptet worden ist, Lenau hätte es ja stets in seiner Hand gehabt, sich von dieser Beziehung zu lösen, so ist das wohl richtig, allein die Thatsache, daß er dies nicht gethan, ja auch nie versucht hat, spricht doch dafür, daß dieses Verhältniß nicht gerade eine so drückende Fessel für den Dichter gewesen ist. Vor allem aber ist dabei der große und wichtige Einfluß nicht in Anschlag gebracht worden, den Sophie auf Lenaus geistiges Leben, auf sein dichterisches Schaffen ausgeübt hat. Zeugnisse dieses Einflusses bietet jede Seite seiner Briefe. „Sie haben sich“ – schreibt er einmal – „mildernd und versöhnend meinem Leben angeschlossen, und es hat von Ihnen Segnungen empfangen, wie sie nur von den edelsten Naturen ausgehen können und deren dankbare Anerkennung Sie in meinem Gesicht lesen konnten, als ich zitternd an Ihrem Krankenlager stand . . .“
Höher aber steht noch die folgende poetische Anerkennung ihres Einflusses:
„Von allen, die den Sänger lieben,
Die, was ich fühlte, nachempfanden,
Die es besprochen und beschrieben,
Hat niemand mich wie du verstanden!
Des Herzens Klagen, heiß und innig,
Die, liedgeworden, ihm entklangen,
Hat deine Seele, tief und sinnig,
Getreuer als mein Lied empfangen.“
Und dennoch! Und dennoch brachte auch dieses Verhältniß Sturm und Unruhe in das Leben des Dichters. Wer das Frauenherz kennt, wird das leicht begreifen. Wer Lenaus Leben und Charakter studirt hat, wird das sogar selbstverständlich finden. Eine eigenthümliche Anziehungskraft mußte der junge, melancholische Poet für weibliche, fein empfindende Gemüther haben. Aber so groß diese Anziehungskraft, so schwer war eine dauernde Beziehung des stürmischen und hypochondrischen Mannes zu einer Frau. In der That wurden alle seine Beziehungen kurz nach der Anknüpfung wieder gelöst. Für ihn war wirkkich das Weib „des Mannes ewiger Fluch“.
Wird alles das zusammengenommen und in ruhige Erwägung gezogen, so kann man den Verlauf seines Verhältnisses zu Sophie sich wohl vorstellen. Es mußte natürlich zu einem Konflikt kommen, sobald ein Drittes in diesen Kreis trat. Zum erstenmal war dies im Sommer 1839 der Fall. Lenau lernte in Penzing bei Wien die damals sehr gefeierte Sängerin Karoline Unger-Sabathier kennen, und sein leicht entzündliches Herz fing alsbald das „singende Gewitter von Leidenschaft“ auf, das aus ihren Tönen und Blicken ihm entgegenströmte. Man kann sich denken, welchen Eindruck es auf Sophie machte, als Lenau ihr diese überschwengliche Verliebtheit schilderte.
„Sie haben mir mit Ihren paar Zeilen das Herz zerschmettert!“ so lautet seine Antwort auf ihren Brief. „Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissenen Herzen. Der Knoten ist geschürzt.“
Aber schon im September desselben Jahres war er auch gelöst. Sophie hatte Recht behalten und Lenau hatte sich wiederum einmal sehr rasch aus einem Verhältniß befreit, das seiner unwerth war. Mit allem Eifer widmete er sich nun den Studien zu seinen größeren epischen Gedichten. Vielleicht hätte er jetzt zur Ruhe und zu einem beschaulichen Leben gelangen können, hätte ihn nicht sein Dämon bald wieder in neue Wirrungen gelockt. Das Verhältniß zu Sophie bringt Sturm und Sonnenschein in buntem Wechsel. Aber stets gleich bleibt die innige Verehrung des Dichters für sie.
„Sie, theure Freundin,“ heißt es in einem seiner Briefe, „haben, was an einem Talent das beste ist, Sie haben mein Herz gebildet. Soll ein Baum kräftig und sicher zum Himmel gedeihen, so muß er fest und beharrlich im Boden wurzeln. Ich stehe und wachse in Ihrer Freundschaft. Jedes hochwallende grüne Blättlein an mir zeugt von einer heimisch und wohlgeborgenen Wurzel. Einst scheide ich von dieser Welt mit dem freudigen Bekenntniß, daß Sie, theure Frau, es waren, die mir den Wurm des Zweifels geknickt und den Sturm des Hasses gestillt, die (an Geist und Herz mächtig wie wenige Ihres Geschlechts) in einem höheren Lebenskreis das für mich gethan, was jene längst modernde andere theure Frau so gern gethan hätte.“
Man sollte sich wohl hüten, eine Frau, an die ein Dichter wie Lenau so geschrieben hat, einseitig zu verurtheilen oder auch nur anzuklagen. Ich habe oben von dem Dämon des Dichters gesprochen: dieser Dämon war aber der Wahnsinn, und es erscheint durchaus nicht zweifelhaft, daß eine erbliche Anlage hierfür schon in ihm vorhanden war und ihn durchs ganze Leben geleitete. Je älter er wurde, je schwerer die Sorge um die Zukunft ihn drückte, desto näher trat die Katastrophe. Freunde, die ihn oft und lange zu beobachten Gelegenheit hatten, erzählen, daß er in Wien oder in Ischl – also immer im Bannkreis der Freundin – ruhig und heiter, ja so sanft und lenksam wie ein Kind war, während er, von der Reise, etwa von Stuttgart kommend, ihnen stets durch seine Wildheit, durch seinen jähen Stimmungswechsel, durch seine schwarze Melancholie auffiel.
Das Jahr 1844 brachte endlich die Katastrophe. Wieder war es ein weibliches Wesen, das Lenau mächtig gefesselt hatte, ein engelgutes, edles Geschöpf, dem er sein ganzes Leben weihen wollte. Zu spät! Die furchtbare Aufregung, in die ihn dies neue Verhältniß versetzte, ertrug er nicht mehr. Berthold Auerbach, der Lenau in seiner Bräutigamsperiode zu Baden-Baden besonders nahestand, erzählte mir wiederholt, daß die excentrische Stimmung des Dichters in jenen Tagen schon auf ein ausbrechendes Gehirnleiden hätte schließen lassen. Gleichwohl hätte er ihm entschieden gerathen, sich um die Hand Mariens, so hieß das Mädchen, schleunigst zu bewerben, da sonst schon damals die Katastrophe ausgebrochen wäre. Lenau war überglücklich. Nur zuweilen auf dem Gipfel seines Glücks blieb er stehen, schlug sich vor den Kopf und rief erschrocken aus: „Was wird aber Sophie sagen!“
Auerbach erzählte, daß diese Stimmungen auf ihn einen überaus trüben Eindruck hervorgebracht hätten. Dennoch habe er die Ueberzeugung gehabt, daß der Einfluß Sophiens auf Lenau ein durchaus heilsamer gewesen sei. Er habe nicht sowohl ihre Eifersucht, als vielmehr ihren Scharfblick und ihre Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gefürchtet.
Im August traf Lenau in Lainz ein, wo die Familie Löwenthal damals ihre Sommerwohnung hatte.
„Niembsch, ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden?“ fragte ihn Sophie.
„Ja!“ erwiderte er, „doch wenn Sie es nicht wünschen, verheirathe ich mich nicht; ich erschieße mich dann aber auch!“
Unzweifelhaft hätte es nun in der Macht der Freundin gelegen, Lenau auch von diesem Plane abzubringen. Sie hat es nicht gethan; sie hat ihr eigenes Herz zum Opfer gebracht und Lenau zur Heirath gerathen. Das wird ihr stets zur Ehre gereichen. Nur im letzten Moment, im Augenblick des Abschieds, fiel ihr plötzlich das Gewicht der Entscheidung so schwer aufs Herz, daß sie, alle mühsam erkämpfte Ruhe und Fassung vergessend, die Worte ausrief: „Mir ist’s, als sollt’ ich Sie nie wiedersehen! Eins von uns muß wahnsinnig werden!“ Er aber schied von ihr mit dem Schwur: „Dein fest und ewig!“
Zwei Monate später war Lenau wahnsinnig … In der Nacht seines Geistes legte er stürmische Selbstbekenntnisse seiner Liebe ab.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_555.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)