Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Und sie entschied. Sie sandte ihm den Brief, den er wie sein Urtheil von ihr begehrt.
„So mußtest Du,“ schrieb sie ihm, „das heilige Wort brechen, das Du der verehrungswürdigsten Mutter gabst – so mußtest Du noch einmal alle Wunden meines Herzens aufreißen, in dem Du ewig leben wirst! – Hier steht mein Bekenntniß, hier hast Du die Wahrheit. Aber nun höre auch meinen festen, meinen unerschütterlichen Entschluß, den mir der Tod, aber keine Macht der Welt ändern kann. Was Dir Ernst schrieb, ist wahr, und indem Du dies liest, bin ich schon das Weib eines andern. Vielleicht hätte ich nicht so schnell gehandelt; aber Dein Brief sagt mir, daß ich eilen muß. Der Mann, der mein Leben rettete und dem ich es nun weihe, liebt mich mit einer Leidenschaft, die der Deinigen gleich sein würde, wenn unserer Liebe je etwas gleichen könnte. Elend auf immer würde sein Leben sein, wenn ich mich weigerte, die Seine zu werden. Er ist edel, brav, gut, aber er hat nicht die Kraft, nicht die Stärke, nicht das Feuer meines verlorenen Williams; er ist nicht Held wie Du im schönsten Sinne des Wortes. Ohne mich ist er verloren, verbunden mit mir erhalte ich ihn der Welt, den Seinigen, der Tugend. Ja, er hat mein Herz erwärmt – ich liebe ihn mit der innigsten Frenndschaft und ich bin bereit, ihm alle die Kleinigkeiten zu opfern, die die Welt Glück nennt. O William! Wie kannst Du mich an den Adelsstolz meiner Landsleute erinnern, wie kannst Du glauben, daß der mich hindern wird, etwas zu thun, was ich als recht erkenne! Ist Dir das Herz und der Sinn Deiner Karoline schon so fremd geworden? Was opfere ich denn dem Manne, dem ich leben will? Stand ich denn nicht weit tiefer unter Dir, wie er unter mir? Und ich entscheide nicht, wen von uns das Schwerste trifft. Nie – oder sehr spät hörst Du wieder von mir; ich bin todt für Dich und will es sein. Ich erleichtere Dein Schicksal, wenn Du mich für unwiederbringlich verloren hältst …
Jetzt scheide ich von allen Ansprüchen auf Glück. Ich lebe nur noch für andere und in ihnen. Ich trete ab und bin von heute an todt für Dich. Lebe wohl! Mann meiner einzigen, meiner ewigen Liebe – William, Heinrich, Bruder, Gatte, Freund – o, es giebt keinen Namen, Dich zu nennen, wie mein Herz Dich nennt. William, nichts trennt unsere Seelen. Aber zum letzten Male – Himmel, zum letzten Male! – sagt es Dir Deine Karoline.“
Der Prinz hatte mit Thränen in den Augen diese Antwort gelesen. Er fühlte, daß sie ihm verloren war für diese Welt, daß nun für immer alles vorbei! – –
Es folgten sich viele Jahre. Unter den napoleonischen Kriegsstürmen eröffnete sich ein neues Jahrhundert. Sie stürzten den Kurfürstenthron in Hannover, warfen Oesterreich und Preußen zu Boden, und England wurde von der europäischen Welt durch den Ingrimm des Eroberers abgesperrt, der es zu Tode treffen wollte. Die Beziehungen zwischen dem Herzog von Clarence und Karoline hatten vollständig aufgehört, und so hätte nach menschlichem Ermessen in beiden die Gluth endlich ersterben, ihr Liebesroman sich mehr und mehr in schwindenden Erinnerungen verflüchtigen müssen.
Vollends unter der Prosa des Lebens für Karoline. Sie hatte durch ihre Verheirathung mit Doktor Meineke sich aus der vornehmen Welt in die bürgerliche, aus dem luxuriösen Leben in ein höchst bescheidenes und anspruchsloses begeben. Der Vater hatte ihr bei der Menge seiner Kinder nur eine geringe Mitgift geben können und Doktor Meineke, so tüchtig er war in seinem Beruf, erstrebte doch vergeblich in Hannover eine einträgliche Praxis als Arzt. Er siedelte deshalb, auch um sich und seine junge Frau den peinlich werdenden Gesellschaftsbeziehungen mit der Linsingenschen Familie und deren vornehmen Bekanntenkreise zu entziehen, nach Berlin über, ohne indessen dort mehr Glück zu haben. Die unruhigen Zeiten, dann der unglückliche Krieg Preußens trugen das Ihrige dazu bei, daß er mit seiner inzwischen durch zwei Kinder vermehrten Familie nicht aus den Sorgen um die Existenz herauskam. Unter solchen Umständen nahm er eine Stellung als Direktor einer nett angelegten Kohlenbrennerei des Grafen Salms zu Blansko in Mähren an, um dort seine chemischen Kenntnisse zu verwerthen. Das Gehalt, welches er bezog, betrug nur 700 Gulden, aber es gab doch als sicheres Einkommen dem verzagt und mißmuthig gewordenen Mann eine gewisse Beruhigung.
Es war nicht anders möglich, als daß Karoline schwer unter dem Opfer litt, das sie aus Dankbarkeit gegen ihren Lebensretter gebracht. Aus der Stille ihres Zimmers sandte sie, wenn sie mit ihrem Sohn Heinrich und ihrer Tochter Jettchen allein war, oft ihre stummen Klagen gen Himmel. Der Gegensatz zwischen dem beseligenden Traum, in dem sie sich einst gewiegt, und der nüchternen Wirklichkeit, von der sie sich fort und fort umfangen sah, war zu groß, und gegen die mürrische Launen des Gatten immer wieder anzukämpfen, überstieg ihre Kräfte nur zu häufig. Dennoch beschäftigte diese Sorge sie unaufhörlich , und mit dem schmalen Wirtschaftsgelde verstand sie so gut hauszuhalten, als sei sie einst nicht allen solchen kleinlichen Rechnungen entrückt gewesen.
Niemand mehr war auf der Welt, dem sie ihr volles Vertrauen schenken konnte, als ihr Bruder Ernst, der Mitwisser ihres Herzensgeheimnisses. In treuer Liebe hielt er nach wie vor zu ihr. Ihre Eltern waren todt, ihre Geschwister in die verschiedensten Lebensverhältnisse übergetreten und ihr meist durch die langjährige Trennung entfremdet geworden. Ernst allein, der in militärischen Diensten Englands ehrenvoll emporgestiegen, suchte sie, wie in Berlin, so auch einmal in dem entlegenen Blansko auf. Er war es auch, der während seines bleibend gewordenen Aufenthaltes in England und bei seinem ungetrübten Freundschaftsverhältniß zum Prinzen William Andeutungen an sie gelangen ließ, daß derselbe ihr das lebhafteste Andenken bewahrt habe und seine Liebe zu ihr noch nach mehr als einem Jahrzehnt ihn völlig erfülle. Es beglückte sie diese Mittheilung, ohne sie zu überraschen.
Ihr Bruder hatte eine auffallende Aehnlichkeit ihres zehnjährigen Sohnes Heinrich mit dem Prinzen William gefunden und wollte denselben nach England geschickt haben, um für ihn zu sorgen. Offenbar steckte dahinter ein Wunsch des Prinzen, ebenso wie hinter dem brüderlichen Bedrängen Karolines um das Bild des schönen Knaben. Sie errieth dies und schlug deshalb sowohl die eine wie die andere Bitte ab. Sie wollte sich streng vor einer That der Pflichtverletzung bewahren. Ihre Kinder waren ihr außerdem der Inbegriff ihres Lebens. Heinrich zumal, eben wegen seiner großen Aehnlichkeit mit Prinz William, war ihr Liebling. Von ihm sich zu trennen, wäre ihr unmöglich gewesen, mindestens so lange er noch im Kindesalter stand. Im Sommer 1810 starb er aber und mit ihm senkte sie die höchste Freude ins Grab, die ihr das Leben noch vergönnt hatte.
Ihre Sorge und ihre Liebe drängte sich jetzt auf ihre Tochter Jettchen zusammen, die schon zur Jungfrau heranreifte. Bald warb auch ein junger Bergverwalter in der Nähe von Blansko, Namens Teubner, um das treffliche Mädchen, und es war ein Tag des Glücks im Dasein der Mutter, als die Hochzeit der beiden jungen, sich liebenden Leute stattfand. Aber in das heimliche Entzücken, mit dem sie gleichsam die Wirkungen ihres Segens zu dieser Verbindung beobachtete, mischte sich nun auch auf einmal die Ahnung, daß sie nicht mehr lange Zeugin davon sein werde. Der Tod nagte fühlbarer in ihrer Brust; gefaßt sah sie, nun sich in ihrem Leben nichts mehr, woran ihr lag, erfüllen konnte, der Ruhe des Grabes entgegen.
In den Stunden, in den Nächten, in denen sie mit ihrem schleichenden Leiden allein war, überließ sie sich mehr als je den fernen Erinnerungen ihres Liebeslebens und feierte jeden der ihr unvergeßlich gebliebene Gedenktage in demselben. Bald daß sie in Briefen an ihren Schwiegersohn Teubner, bald daß sie in langen Ergüssen an ihren Bruder Ernst in England ihre Seele von dem befreite, was sie in anffluthenden Erinnerungen bewegte.
Einem Antwortschreiben ihres Bruders fand sie einmal einen Brief beigelegt, der sie in einen wonnigen Schrecken versetzte. Auf den ersten Blick erkannte sie, wer der Absender war. Mit zitternden Händen hielt sie den Brief und betrachtete ihn mit strahlenden Augen, wie einst in jenen Tagen, da sie im Himmel ihrer Liebe, in den Hoffnungen ihrer Jugend schwelgte. Es war ein Brief von Prinz Williams Hand. Er wagte es, ihn zu senden, und nach siebzehn Jahren! Er konnte es versuchen, noch in die melancholische Idylle ihres Matronenlebens mit seiner im Herzen erhaltenen Liebe zu ihr einzubrechen! Sie vermochte ja deutlich durch das feine Papier seine Schrift zu lesen, einen abgebrochenen Satz nur, aber welchen Inhalts!: „Weib meiner Jugend, sind wir denn ganz getrennt? Soll ich –“
Schnell legte sie den Brief aus der Hand, um nicht mehr dem Zauber desselben zu verfallen. Unerbrochen sandte sie ihn ihrem Bruder wieder zurück.
Prinz William hatte sich kurz zuvor, im Jahr 1811, unter dem Druck der Vorstellungen der königlichen Familie und um die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_835.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)