Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
|
Sofa. Er bestrich ihr kaltes Antlitz – und, gottlob! sie schlug die Augen auf und bewegte sich. Eine lange Ohnmacht war es, aus der sie endlich erstand.
Er war fort, der mit seiner Gegenwart einen magischen Zauber auf sie ausgeübt, wie sie auf ihn. Vorbei, vorbei! hatte sie im Herzensschrei ausgestoßen, als er sie verlassen. Das Rechte zu thun, hatte sie sich vorgenommen, als sie den Brief der Königin an sie gelesen, und ihr Entschluß war gefaßt unter all den Liebesbetheuerungen, die sie mit dem Prinzen austauschte. Ihn lieben, das war ein höheres Gesetz als ihr Wille; ihn ewig lieben, das war ihr Glaube, ihre Religion. Aber auf seinen irdischen Besitz verzichten, um seinem Aufsteigen zum Throne kein Hinderniß zu sein, seiner Person entsagen, um das höchste Opfer für ihn zu bringen – das war das Rechte, was sie thun mußte. Ihr Ideal sollte er bleiben – den Menschen, der es verkörperte, wollte sie aufgeben, festen Sinnes, unbedingt, um alles für ihn und für sich klar zu machen.
So erklärte sie ihrem Vater ihren Entschluß, so schrieb sie selbst der Königin ihre Entsagung der Rechte an den Herzog von Clarence. Vorbei! Jeden Brief, den sie seit der Trennung von William aus London erhielt, sandte sie unerbrochen zurück. Lord Dutton, der wieder nach Hannover zurückgekehrt war und den der Prinz gleichsam zu seinem Gesandten bei ihr bestellt hatte, versuchte, ihr dann Briefe desselben aufzunöthigen und, des Schwures in jener Augustnacht eingedenk, ein getreuer Posa seines Carlos zu sein. Aber auch des Freundes Vermittlung war umsonst. Karoline wies ihn sanft und bestimmt zurück.
„Dutton,“ sagte sie zu ihm, „erschweren Sie meine Prüfung nicht. Sprechen Sie seinen Namen nicht mehr aus zu mir; schreiben Sie ihm, daß er keine Briefe mehr an mich achte. Ich erbitte es von seiner Liebe. In meinem Herzen lebt er weiter, aber für die Welt ist er mir ein Todter, muß er es sein.“
Und der junge Lord ehrte ihren Willen, suchte er gleich, wo er nur konnte, ihr zu nahen und um sie zu sein.
Derweil betrieb die Königin in London unter ihres Gemahls strenger Aufsicht die gerichtliche Scheidung. Bei ihrer Kenntniß des Charakters Georgs III. war unmöglich anders zu handeln, und wenn sie die Angelegenheit in der Führung behielt, so war sie wenigstens im Stande, dabei so schonend als möglich zu verfahren. Der König hatte einen besonderen Gerichtshof für den Fall eingesetzt und demselben die Entsagungsurkunde Karolinens und die Zustimmung ihres Vaters übergeben. Das mußte genügen, denn mit Prinz William war in keiner Weise über die Sache zu reden. Er weigerte sich mit aller Entschiedenheit seines heftigen Charakters, in die Scheidung zu willigen und durch die Entsagungsurkunde Karolinens sich bestimmen zu lassen. Er wußte, daß die Arme von seiner Mutter bedrängt worden war und aus Liebe zu ihm das Opfer zu bringen sich entschlossen haben mußte. Seine Proteste, nahm sie dieselben auch nicht an, erhielt er auch alle seine Briefe an sie ungelesen zurück, hielt er dafür desto trotziger gegen seine Eltern aufrecht. Er hoffte unerschütterlich, zu siegen und dem geliebten Weibe doch die allein würdige Stellung an seiner Seite zu verschaffen, sobald die Verhältnisse sich nur günstig dafür gestalteten. Und dies konnte so jeden Tag möglich sein. Der König litt immer wieder von Zeit zu Zeit an Geistesstörung und seine grenzenlos starrsinnige Politik erhielt mehr und mehr Züge eines Despotismus, der in England verhängnißvoll werden konnte. Man sprach daher schon wieder von Einsetzung einer Regentschaft. Würde dieselbe dem Prinzen von Wales übertragen, so konnte William sicher sein, daß ihm sein Bruder nicht wehren würde, zu thun, was er selber gethan. Lebte der doch noch immer, trotz Fluch und Grimm des Vaters darüber, in seiner Ehe mit der schönen Fitzherbert. Zeit gewonnen, war also für ihn alles gewonnen.
Das Gericht handelte unterdessen nach dem Gebot des Königs. Eines Tages erhielt Prinz William das Urtheil einfach zugefertigt. In seiner Wuth zerriß er das Aktenstück und warf die Fetzen davon ins Feuer. Das Urtheil hatte keinen Werth für ihn. Aber diese Entscheidung regte ihn so sehr auf, daß er in dem Ungestüm seines Wesens sich durch ein wildes Genußleben zu betäuben suchte. Eine unglückliche Liebe ist leicht geneigt, in einer anderen Ersatz und wenigstens den Trost des Mitgefühls zu erstreben. William kannte seit der Zeit, daß er wieder in London lebte, die anmuthige junge Schauspielerin Dora Jordans. Jetzt übertrug er seine vom Ziel gewaltsam abgelenkte Leidenschaft auf sie. Aber weder der König noch die Königin beunruhigten sich deshalb; ein solches loses Verhältniß des Prinzen hatte nicht die folgenschwere Bedeutung einer Ehe, wie mit Karoline von Linsingen, und war unter Umständen sogar von Werth. Am liebsten hätte die Königin nun auch Karoline anderweitig gebunden gesehen, um die ihr dornenvolle Angelegenheit dadurch völlig ausgetragen zu wissen und keine Rückschläge mehr befürchten zu brauchen. Sie meinte es in dieser Hinsicht gut und aufrichtig mit der Tochter ihres alten Freundes und suchte auf diesen, nachdem er von dem richterlichen Scheidungsspruch unterrichtet worden, dahin einzuwirken, daß er eine andere Vermählung Karolinens vermittle, wofür sie so zartfühlend als möglich ihre Erkenntlichkeit in Aussicht stellte.
Karoline errieth diese Absichten, wie edel sich ihr Vater auch in seinen Versuchen benahm, sie schnell einer Wiedervermählung geneigt zu machen. Sie ahnte, daß er hierbei die Wünsche der Königin von England befolgte. Das Mißtrauen aber, welches diese damit gegen ihre freiwillige und großherzige Entsagung verrieth, empörte sie. Sie dachte auch nicht daran, einem der Bewerber um ihre Hand, deren es noch verschiedene gab, Gehör zu schenken. Die beiden früheren Verehrer von ihr, Alten und von dem Busche, waren freilich infolge der Entdeckung des Liebesverhälnisses zwischen Karoline und Prinz William zurückgetreten und auch nicht mehr die täglichen Gäste im Hause des Generals, aber nicht minder vornehme Partien waren es, die sich, trotz der Gerüchte über ihre unglückliche Liebe, Karoline darboten. Lange glaubte man, daß Lord Dutton auch zu diesen Bewerbern gehöre, und Karoline begünstigte sogar durch ihr Benehmen gegen den Mitwisser ihres Geheimnisses diese Täuschung über seine Absichten, weil sie dadurch andere Freier zurückhielt.
War es die Energie des Willens, welche Karoline für die Trennung von William aufgeboten hatte, sie erstarkte auch körperlich sichtlich, während doch die seelische Heimsuchung geeignet gewesen wäre, eine so zarte und sensitive Natur völlig zu zerrütten. Erst nach Jahr und Tag ergriff die still wuchernde Krankheit ihrer Seele auch den Körper. Ein schleichendes Fieber zehrte an ihr. Somnambule Zustände stellten sich dazu ein, die ihre Umgebung in Erstaunen und Furcht versetzten. Immer mehr griff die Schwäche um sich und niemand bezweifelte, daß sie bald durch den Tod erlöst sein werde.
Rathlos standen die Aerzte um ihr Krankenbett. In der That, sie sahen nur ihre Auflösung vor ihren Augen sich langsam vollziehen. Der Athem wurde schwächer und hörte dann auf. Bleich, regungslos lag sie da, das rührende Bild einer edlen Dulderin, die ausgelitten. Auf ihrem Todtenbett weinten Vater und Mutter, die Geschwister, die Freunde des Hauses. Die Anzeige ihres Hinscheidens wurde an Prinz William gesandt und an ihren Bruder Ernst, der zur Zeit den Feldzug in Frankreich mitmachte.
Man bahrte sie auf und bedeckte ihren offenen Sarg mit Blumen und Kränzen. Das feierliche Begräbniß sollte am Mittag stattfinden. Einer der Aerzte, der junge Doktor Meineke, hatte sich vorher in das Todtengemach begeben, um noch einmal die Verklärte zu betrachten. Seit ihrem Tode war er voller Unruhe, als mahne ihn sein Gewissen an eine Schuld. Er hatte den letzten Blick der Sterbenden gesehen und wie über diese großen, hellen, eigentümlich aufblitzenden Augen plötzlich die Lider sich zum Verschluß gesenkt. Warum, hatte er sich nachträglich gefragt, waren diese Augen nicht, wie immer bei Sterbenden, gebrochen, ehe sie sich schlossen? Dann erinnerte er sich seltsamer Erscheinungen in den letzten Nächten vor ihrem Tode, während er allein bei ihr gewacht. Im Bett der Kranken hatte er ein Knistern vernommen, ein Rauschen, während sie doch unbeweglich dalag. Es war dann still geworden; nachher aber vernahm er an der Wand, wo das Bett stand, wieder ein Rauschen und Scharren, ein Klopfen sogar, wie schwache Hammerschläge, bis er sich mit seinem Gesicht über die Schlummernde beugte, sein Athem unwillkürlich sie anhauchte. Dann hörte das gespenstische Geräusch auf. Doch da er keine vernünftige Erklärung für das Vernommene fand, so grübelte er nicht weiter darüber nach. Erst am Tage, der für die Beerdigung bestimmt war, kamen diese Erinnerungen wieder über ihn und beschäftigten ihn so lebhaft, daß er sich zu der Leiche begab, um seine angestiegenen Zweifel darüber zu beschwichtigen, ob sie denn wirklich todt sei. Und indem er sie lange aufmerksam betrachtete, glaubte er es nicht mehr.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_816.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)