Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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an. Karoline hütete sich auch wohl, sie ihnen durch eine Erklärung zu nehmen, welche ihr Geheimniß bloßgestellt haben würde, bewahrte aber im übrigen ihre stille, mädchenhafte Zurückhaltung. Für sie hatte dies Umwerben etwas Komisches, während der Prinz es allmählich doch lästig fand und eine Eifersucht darüber in ihm aufstieg, die zu unterdrücken ihm häufig sehr schwer wurde.
Auch in diesem Sommer nahm der Prinz seine Sommerfrische in dem Modebade Pyrmont und mit ihm natürlich die Familie des Generals. Bald jährte es sich, daß er mit Karoline vermählt war, und er dachte nun daran, bei günstiger Gelegenheit sich dem Vater seiner Gemahlin endlich zu entdecken, um der ewigen Verstellung und der eifersüchtigen Regungen gegen die jungen Freunde der Familie überhoben zu sein.
Eines Nachmittags machte eine Gesellschaft von Herren und Damen dem Prinzen William zu Gefallen einen größeren Spazierritt in den schönen Sennerwald. Auch Karoline und Lord Dutton, Alten und Busche waren dabei. Ihr wurde gar seltsam zu Muth, als die Kavalkade den Weg anschlug, den sie fast ein Jahr zuvor zur heimlichen Trauung in der alten Kapelle zurückgelegt. Es war das erste Mal, daß sie wieder in die Nähe dieser ihr heiligen Stätte kam. Der Prinz hatte es seit seinem Aufenthalt in Pyrmont vermieden, mit ihr sich dahin zu begeben; es sollte nach seinem Wunsche erst an seinem Geburtstage, dem Tage ihrer Trauung, geschehen. Warum jagte er jetzt, allen voran, dahin?
Kurz vor der Kapelle hielt er und sprang vom Pferde, was eine Aufforderung für seine Begleitung war, dasselbe zu thun. Er leistete Karoline den Ritterdienst, sie herabzuheben, und führte sie dann bis zur Thür. Da der Schlüssel fehlte, lief er selbst, ihn aus dem nahen Bauernhause zu holen. Er schloß hastig auf, stürzte in der Kapelle gegen den Altar und küßte in Ekstase die Stufe desselben. Die ihm nachfolgende Gesellschaft gerieth darüber in hohes Erstaunen. Karoline ihrerseits erblaßte und fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Lord Dutton sah es, eilte zu ihr und sagte laut, um die Umstehenden über die Ursache ihrer Bewegung zu täuschen:
„Nein, die müssen wir wieder suchen!“
Er zog sie dabei mit sich zur Thür.
„Was denn? Was denn?“ fragten ihn Alten und Busche zusammen, sichtlich erschrocken über den Anblick, den ihnen Karoline bot.
„Fräulein von Linsingen,“ log Dutton weiter, „hat unterwegs ihre Brillantnadel verloren.“
„O, die müssen wir wiederfinden!“ riefen die beiden jungen Herren und eilten auch sogleich hinaus, um sich auf ihre Pferde zu werfen und den Waldweg mit spähenden Augen abzureiten.
Inzwischen war der Prinz wieder ruhiger geworden, hatte sich vom Altar fortbegeben und war zu Karoline getreten.
„Reiten Sie nicht neben einander!“ warnte der besorgte Freund, der beobachtet hatte, welches Aufsehen der ganze Vorgang bei den Zuschauern machte. „Schon zu viel haben Sie verrathen, mein Prinz.“
William ließ sich bereden und trennte sich von Karoline, die an Lord Duttons Seite inmitten der Kavalkade heimritt. Bald trafen sie auf die beiden Herren, die in vollem Eifer nach der Nadel suchten.
„Verzeihen Sie,“ sagte Karoline, ihr Pferd anhaltend, „es war ein Irrthum. Ich habe die Nadel gar nicht angesteckt gehabt.“
Nun wandten sich die zwei zu der von ihnen Geliebten, ritten gleich Dutton neben ihr, scherzten und geriethen in einen Uebermuth, der Karoline höchlich verstimmte. Vor ihrer Wohnung sprangen die lustigen Herren flugs vom Pferde, um ihr beim Absteigen zu helfen. Aber ihnen zuvor kam der Prinz, mit geröthetem Antlitz, funkelnden Augen, bebend vor Zorn, er riß Karoline beinahe vom Pferde, indem er mit heißem Athem ihr zuflüsterte:
„O, laß heute von keiner anderen Hand Dich berühren, als von der meinigen!“
Er konnte seine Leidenschaftlichkeit nicht so beherrschen, daß Alten und Busche, die unweit von ihm standen, sein Gebahren nicht hätten auffällig finden müssen. Sie sahen sich fragend an, dann den Prinzen, dann Karoline, die vor Verlegenheit bis in die Schläfen errötet war. Sie sah, wie der Puder in den Haaren Williams, weil er sie beim Absteigen ungestüm an sich gedrückt, ihr dunkelgrünes Reitkleid mit weißen Flecken bedeckt hatte, und eilte in ihr Haus, um dies den Augen der übrigen zu Pferde haltenden Gesellschaft so viel als noch möglich zu verbergen.
Wunder konnte es nach diesen Scenen nicht nehmen, daß die Zeugen derselben ihre Gedanken darüber gegenseitig äußerten. Es ging den Abend ein Gewisper und Gezischele durch die Gesellschaft; die Herren von Alten und v. d. Busche bezähmten sogar ihren Aerger so wenig, daß sie als Gäste des Generals selbst vor dem Prinzen und Karoline ihre Glossen machten. Der Prinz vernahm einige Worte des Herrn von Alten zu seinem mitleidenden Freunde, die ihm anzüglich erschienen und ihn derartig in Aufregung versetzten, daß er zu Lord Dutton lief und mit diesem wegen einer Forderung an Alten sprach. Karoline hatte es bemerkt und ahnte, was da im Werke. Sobald es ohne Aufsehen geschehen konnte, eilte sie zu dem Prinzen und Dutton, um den ersteren zu bitten, nichts zu übereilen, wenn ihm ihr Leben lieb sei. Auch Dutton beschwor seinen Freund, sich zu beruhigen und von seinem Vorhaben abzustehen, um Karolinens Ruf nicht durch einen solchen Skandal zu kompromittiren. Dies entschied. Er warf nur einen stolzen, strafenden Blick auf Herrn von Alten, als dieser ihm wieder in den Weg kam, und der junge Mann mochte ihn zu deuten wissen.
Unmöglich konnte jetzt mit der Enthüllung des Geheimnisses vor dem General noch gezögert werden, da die Gerüchte, die von Mund zu Mund gingen, auch zu ihm und seiner Familie gedrungen sein mußten. Nach einer leidenschaftlichen Erneuerung ihrer Schwüre, wozu sie bei einem Alleinsein im Zimmer des Generals, der ausgegangen war, eine glückliche Gelegenheit fanden, entschloß sich der Prinz, den verhängnißvollen Schritt zu thun und sich dem General zu vertrauen.
In demselben Moment kam dieser zufällig auch nach Hause. Er hatte eine fast verstörte Miene und beim Anblick der bestürzt vor ihm Stehenden schwoll die Ader auf seiner Stirn.
„Ich treffe Eure königliche Hoheit gerade recht,“ redete er ihn bei aller schuldigen Ehrerbietung mit Strenge an, "um endlich aus väterlichem Pflichtgefühl die Bitte an Sie zu richten, den Umgang mit meiner Tochter gänzlich zu vermeiden“
„Zu spät,“ fiel ihm der Prinz hier ins Wort und seine Blicke baten um Verzeihung. „Wir sind vermählt, unauflöslich.“
„Ist es möglich!“ stammelte der Greis entsetzt.
Seine Tochter fiel ihm zu Füßen und hob ihre Hände flehend zu ihm empor. Thränen rollten über ihre bleichen Wangen.
„Seit einem Jahr bereits,“ setzte William hinzu.
„Prinz! Prinz! Was haben Sie getan!“
„Was mir mein Herz gebot. Es wird ewig für Karoline schlagen. Vernichtung droht nur allem Endlichen, meiner Liebe nicht. Kein König wird mich von diesem meinem Weibe reißen können.“
„O mein Vater!“ schluchzte sie. „Ich bin eins mit ihm. Ohne ihn müßte ich vergehen.“
„Nein, nein!“ fuhr der General auf. „Diese Ehe ist ungültig, sie muß getrennt werden, Du mußt ihr entsagen.“
„Dann verantworten Sie die Folgen!“
Mit diesen wild ausgestoßenen Worten stürmte der Prinz aus dem Zimmer.
„O mein Gott! Was wird geschehen?“ schrie sie und wollte hinter ihm hereilen.
„Halt!“ gebot der Vater, der todtenblaß geworden war. Er griff nach seinem Hut und verließ das Zimmer, dessen Thür er abschloß, um Karoline gefangen zu halten.
Von furchtbarer Ahnung erfaßt, eilte er nach den Zimmern, die William in demselben Hause bewohnte. Die Thüren standen offen; der Prinz hatte nur einen Vorsprung von einigen Minuten. Und hierher war er in der That geflohen. Die Ahnung des Generals betrog ihn auch nicht. Er fand den Prinzen, wie er eben eine Pistole emporrichtete, um sie auf sich abzufeuern. Mit einem Satz fiel der Greis in den Arm des Verzweifelten; der im selben Augenblick krachende Schuß traf nicht mehr den Prinzen, sondern abgelenkt streifte er die rechte Hand des Retters. Der junge Mann stand beschämt vor seinem Mentor, aus dessen Wunde das Blut auf den Boden tropfte. Dienerschaft brach schreckensbleich herein; die Frau des Generals stürzte aus ihrer Wohnung herzu und vor ihrem Gemahl auf die Kniee, jammernd unter Händeringen:
„Ein Zweikampf! Du und Prinz William! Und Du getroffen!“
„Ruhig!“ sagte der Greis, der sich gefaßt hatte und die Pistole in seiner Hand hielt. „Eine Unvorsichtigkeit meinerseits, nichts weiter! Redet keinen Unsinn, das bitte ich mir aus! Am besten, es wird überhaupt nicht weiter von dieser Sache gesprochen. Die Pistole ist zufällig losgegangen und die Schramme an meiner Hand ist nicht der Rede wert.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_800.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)