Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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und, wenn er es haben wollte, um ihn und Karoline, mit der er Zwiesprach suchte. Seine in die Seele bohrende, lange schweigende Leidenschaft konnte endlich nicht mehr in Zaum und Zügel bleiben. Sie brach wie eine gewaltsam zurückgehaltene Fluth desto ungestümer hervor, als die Schranke gefallen. Seine Geständnisse und seine Schwüre überraschten das Mädchen nicht, noch setzten sie sie in Verwirrung, sondern sie riefen volle Erwiderung von ihren bebenden Lippen. Kein Bedenken auch, kein Ernüchtern danach, nur bei jeder Gelegenheit neu wiederholte Schwüre, daß sie beide für das Leben sich angehören wollten. Der Prinz war auch sogleich entschlossen, seinen Schwur zu erfüllen. Vor seiner Begeisterung dafür verstummten Lord Duttons freundschaftliche Versuche besonnener Vorstellungen. Er selbst wurde von dieser Begeisterung angesteckt und empfand in der Nähe Karolinens etwas von dem, was William den "unentrinnbaren Zauber“ nannte. Einen neuen, ihm nicht minder zugethanen Freund hatte der Prinz in dem jüngeren Bruder Karolinens, Ernst, gefunden, der seine Schwester wie ein höheres Wesen verehrte und in seinem feurigen Ungestüm entzückt über Williams Absicht war, sich mit Karoline zu vermählen. Diese selbst gab dazu ihre Einwilligung in der traumhaften Seligkeit, in der sie unter der Liebe Williams lebte, und ein junger schottischer Priester Namens Parsons erklärte sich aus Ergebenheit für den Prinzen, in dessen Gefolge er war, zur Vollziehung der Ehe bereit. Alles wurde im tiefsten Geheimniß dazu vorbereitet und der Aufenthalt in Pyrmont, wo der Geburtstag Williams festlich begangen werden sollte, zur Ausführung des Planes bestimmt.
Mehr als ein Jahr war bereits versflossen, seit der Herzog von Clarence sich im hannöverschen Lande befand, und in den heißen Augusttagen war es, daß er nach dem reizvollen Bade von Pyrmont sich begab. Sein älterer Bruder, der Herzog von York, wollte ihn dort besuchen; große Gesellschaften sollten gegeben werden. William aber lebte nur der Erwartung, dort seine heimliche Ehe mit Karoline einzugehen. Dutton und Ernst trafen mit Parsons alle Vorbereitungen dazu, und der Prinz selber fand auf seinen Ausritten in die Umgebung zufällig eine einsam gelegene Waldkapelle, die ihm für die Trauungsfeier geeignet erschien. In der Frühe seines Geburtstages, am 21. August, ehe noch die Gesellschaft von Pyrmont aus dem Schlafe war, sollte die Vermählung vollzogen werden.
Am Abend zuvor besuchte die ganze feine Welt des Badeorts die Theatervorstellung. „Don Carlos“ wurde gegeben. Der Prinz William wohnte mit Karoline und all seinem Gefolge der Aufführung bei. Er konnte sich in der Aufregung, in die ihn die nahe Erfüllung seines so stürmisch ersehnten Glücks versetzte, kaum beherrschen. Seine trunkenen Blicke hingen an den Augen der Geliebten, die nicht minder bewegt war. Jedes von der Bühne herabfallende Wort, das sie auf sich und ihr Verhältniß zu William beziehen konnte, erhöhte den Schlag ihres Herzens.
Zum Glück waren Lord Dutton und Ernst neben ihnen, um sie zu rechter Zeit in dem Selbstvergessen das über sie kam, dadurch zu beschützen, daß sie durch eine Bewegung die Blicke der Gesellschaft auf sich und von den unvorsichtigen Liebenden ablenkten.
Für den Abend war Tanz angeordnet, Karoline kehrte in ihre Wohnung zurück, um dafür Toilette zu machen. Sie kleidete sich ganz in Weiß; ihr einziger Schmuck war ein grüner Kranz mit Perlen durchflochten und das Ordenskreuz ihres Fräuleinstiftes, das sie nur bei feierlichen Gelegenheiten zu tragen pflegte. Auf dem Balle stellte sich ihr der inzwischen angekommene Herzog von York vor, der, locker in seinen Sitten und an Eroberungen galanter Art gewöhnt, ihr den Hof zu machen Lust hatte. Aber Prinz William drängte ihn hastig ab und stellte ihm Karolinens ältere Schwester Julchen vor, die er zum Tanz sich auch erkor und nach englischer Sitte für den ganzen Abend als Tänzerin behielt.
Der Etikette gemäß führte der General seine Tochter Karoline dem Prinzen William zu. Der ehrwürdige, gütige Greis legte lächelnd, als wolle er ihnen ausdrücken, wie glücklich er sie damit mache, ihre Hände in einander. Sie zitterte unter dem Geheimniß, das sie vor ihm verbarg, und verwirrt beugte sie sich nieder, um ihres Vaters Hand zu küssen.
„Du giebst mich ihm für das Leben!“ hauchte sie hin und ihr leuchtendes blaues Auge hob sich so sprechend auf ihn, daß er, wie ihre Gedanken errathend, in Rührung zu ihr sagte: „Wären doch Eure Wünsche zu erfüllen! Aber es geht ja nicht.“
Er wandte sich ab.
„Es geht ja nicht!“ klang es in ihren Ohren nach, und in ihrem Herzen antwortete es jubelnd darauf: „In wenig Stunden wird es sich dennoch erfüllen!“
Und gleichwohl wirkte es traurig nach, was ihr Vater zu ihr gesprochen.
Der Prinz bemerkte den leisen Schatten, der auf ihr Antlitz gefallen. „Karoline!“ rief er aus und preßte mit Ungestüm ihre Hand heimlich an sich. „Was ist Dir? In Deiner Seele liegt etwas, was ich noch nicht kenne. Fühlst Du Reue? Hast Du Bangen, Mißtrauen, trübes Ahnen?“
„Nein, nein, William,“ erwiderte sie ihm. „Es muß ja alles gut werden!“
„Ja, bei Gott! Kann mein Schwur und Wille es bewirken, so wirst Du glücklich werden, wie Du es erträumst, indem Du mir vertrautest. Du wirst glücklich werden, Karoline, weil ich es durch Dich werde, einzig durch Dich nur werden kann.“
In diesem Augenblick trat der Herzog von York mit sonderbarem Lächeln zu dem Paare heran und sagte zu seinem Bruder:
„Aergert Dich etwas, William? Du bist ja so aufgeregt. Ei, ei, ich glaube, Fräulein von Linsingen ist schuld daran! Ah, mein Fräulein, wie reizend sind Sie! Könnte man sich das Bild der Unschuld vollkommener denken?“
Da blitzte es wild auf in Williams Auge, und eben sollte ein zorniges Wort den Spötter treffen, als Karolinens Bruder zum Glück dazwischen kam und den Prinzen fragte, ob der Tanz beginnen solle.
Dieser nickte und sofort spielte die Musik. York schwang übermüthig seine Dame im Reigen, und auch William schwebte mit Karoline dahin. Aber er grollte noch in hervorgestoßenen Worten seinem Bruder und sie hatte Mühe, ihn so weit zu beruhigen, daß sein Benehmen nicht größeres Aufsehen erregte, als bei einigen Personen schon geschehen war.
York indessen schien es boshafterweise darauf abgesehen zu haben, sich eifersüchtig auf seinen Bruder wegen dessen Tänzerin zu zeigen. Nach dem Tanz äußerte er so laut, daß William und Karoline es hören mußten, zu Julchen:
„Könnte man nicht wähnen, daß mein Bruder sich stolz wie ein Bräutigam am Arme Ihrer Schwester fühle? Sehen Sie doch! Und wie verschämt sie erglüht! Ah, das ist ja reizend!“
Der Prinz zog, um nicht seinem Jähzorn zu verfallen, schnell die in der That tief erröthete Geliebte mit sich zu der offen stehenden Thür des Saales, welche in die Allee des Parkes hinausführte. Jeder Herr geleitete wohl während der langen Pausen, die zwischen den Tänzen stattfanden, seine Dame in die würzige und erquickende Luft des Parkes, so daß auch die Entfernung des Prinzen nicht auffallen konnte. Er freilich entzog sich dem Gewühl und lustwandelte abseits mit seiner Braut; der Zorn in seiner Brust verhallte bald und das seligste Entzücken hielt beide umfangen.
Ernst und Dutton hielten sich als getreue Eckarts in ihrer Nähe. Der Prinz rief sie unter einer alten Linde heran und in der Ueberschwänglichkeit seiner Gefühle drückte er sie an sein Herz und ließ sie schwören, treu in aller Weise zu ihm zu halten, zu ihm und seinem Weibe.
„O,“ rief er, „denkt immer an diese Stunde, wenn Ihr straucheln solltet! Ich kann es nie im Arme dieses Engels; aber Ihr beiden - wenn das furchtbare Schicksal mir einst dieses Weib entreißen sollte, dann seid mir Posas, und ich will Euch der dankbarste Carlos sein!“
Er kniete im Dunkel der breiten, tief hängenden Blätterkrone nieder und hob die schönen, großen Augen zum Sternenheer, als rufe er die göttliche Macht zur Zeugin seines Eides an. Dann sprang er auf, drückte die Geliebte an sich und schritt mit ihr in einen Seitenweg.
„Wenn es möglich wäre, Theure,“ zitterte es noch aus seiner heißen Brust heraus, „daß Trennung jemals uns beschieden sein sollte, dann ist Kummer, Elend und Jammer unser Los, so lange wir leben. Glaube mir, Karoline, wir werden uns ewig lieben, auch dann; weil es zwischen Dir und mir nur eine Liebe giebt, die sich in einem ewig dem anderen entgegensehnt.“
Innig umschlungen blieben sie schweigend eine Weile stehen.
Bald nachdem sie den Ballsaal wieder betreten, trennte sich die Gesellschaft. Als Karoline dann zu Hause ihren Eltern „gute Nacht“ gesagt, sah sie den Vater in sein Zimmer gehen, um dort irgend etwas vor Schlafengehen noch zu besorgen. Sie eilte ihm nach.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_798.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2018)