Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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nicht zum Wiedererkennen vergrößert und verschlimmert. Nach der einen Lesart sollte die alte Herzogin Claudine geboten haben, sofort das Schloß zu verlassen, die andere wußte von zurückgezogener Pension; ein dritter behauptete, die schöne Gerold habe es zu erzwingen gewußt, daß sie noch bei Tafel erscheinen durfte, und betont, daß der Herzog der Regierende und der allein Befehlende sei.
O unglaublich! Und was noch alles! Und dazu der Blutsturz der Herzogin! – Die arme Frau, die arme Frau! Vor Kummer und Aufregung natürlich!
Dem Herzog konnte man ja schließlich die Aventüre nicht einmal übelnehmen, wenn Claudine so leichtsinnig war. Man zuckte die Achseln und lächelte über die arme betrogene Frau, die geglaubt, eine Freundin an ihr zu besitzen.
„O, schauderhaft!“ klagte eine ältere Baronin; „na, das hatte der Gerold gerade gepaßt; – wie es wohl herausgekommen ist?“ –
„Wie nur Baron Gerold diese Sache auffaßt? Er sah aus wie eine Leiche, als die alte Herzogin die Gerold so abfallen ließ.“
Ein wahres Gewirr von Stimmen erhob sich auf diese Worte; aber auf einmal ward es still; irgend wer hatte gesagt. „Das ist ja die Neuhäuser Equipage!“
„Richtig! Und zwar in nächster Nähe!“
Man hatte soviel Geistesgegenwart, sich den Anschein zu geben, als ob man über irgend etwas anderes angelegentlich spreche. Die Damen wandten sich zu einander und bewegten die Fächer, aber die sämmtlichen alten und jungen Augen an diesem Tische waren dorthin gerichtet, wo das Gefährt sich näherte. Die schönen Rappen vor dem Wagen tänzelten unter den Klängen des Walzers daher; Kutscher und Diener auf dem Bock leuchteten in tadellosen blaugelben Livreen, und da im Fond? –
An der langen Tafel flogen plötzlich sämmtliche Hüte von den Köpfen; die Herren waren aufgesprungen, die Damen grüßten und nickten liebenswürdig.
Was, um Gotteswillen, Claudine von Gerold – den Arm in der Binde, neben Fräulein Beate? Und ihr gegenüber der Baron? – Langsam, sehr langsam passirte jetzt der Wagen den bevorzugten Tisch, dann hielt er vor der Thür des Kurhauses.
Zwei Herren der Gesellschaft stürzten athemlos herbei, ein junger Husarenoffizier und der schwermüthige Gesandtschaftsattaché. Der Lieutenant wollte sich nach dem Befinden der Herzogin erkundigen, seiner hohen Tischnachbarin von dem Neuhäuser Feste; und da er „wohl annehmen dürfe, Fräulein von Gerold sei am besten unterrichtet, so“ u. s. w. Der Gesandtschaftsattaché hatte andere Absichten, er kam auf den geflüsterten Wunsch Ihrer Excellenz: „Man müsse doch wissen, was das zu bedeuten habe –“
„Die Herzogin befindet sich besser,“ erwiderte Claudine freundlich dem Offizier.
„Aber gnädiges Fräulein scheinen verletzt?“ fragte der Attaché und drehte den Schnurrbart, „gewiß haben gnädiges Fräulein –?“
„Eine kleine unbedeutende Verletzung, Herr von Sanders,“ nahm Lothar das Wort. „Ich denke, meine Braut wird den Arm bald wieder – O pardon! Ich vergaß zu sagen, daß Sie hier ein nagelneues Brautpaar vor sich sehen – wir verlobten uns gestern Abend. Eine Ueberaschung, nicht wahr, meine Herren? Aber, Claudine, da kommt das Wasser, hoffentlich ist es frisch und kühl.“
Er drückte sich mit den Herren die Hände, und Gratulationen und Dankesworte flogen hin und her. Claudine trank indeß und gab das Glas zurück.
„Weiter fahren!“ befahl jetzt Lothar, zog den Hut vom Kopf und verbeugte sich tief und ernsthaft gegen die Herrschaften um den Tisch; in den nächsten Minuten hatte der jetzt rasch dahinrollende Wagen den einsamen Waldweg erreicht; nur noch die Schlußaccorde des Walzers zitterten durch die sonnendurchleuchtete tannenwürzige Luft.
Dort an dem Tische vor dem Kurhause schwiegen plötzlich sämmtliche Zungen, genau so, wie eben die Töne schwiegen nach dem mächtigen Paukenschlag, der das Musikstück schloß. Erst ganz allmählich faßte man sich. O, wie das jetzt anders klang!
„Nun,“ erklärte die alte Excellenz würdevoll, „ich habe es ja gleich gesagt, an all dem Gerede war nichts!“
„Ach Gott, es wird so viel gesprochen,“ seufzte die gefühlvolle Baronin. „Wer hat es denn eigentlich aufgebracht?“
„Antonie von Böhlen hat es mir heute geschrieben,“ sagte eine der hübschen Komtessen Pausewitz, „doch ich sollte nicht darüber sprechen.“
„Aber so erzähle doch!“ rief die Gräfin-Mutter, ärgerlich über diese Diskretion.
„Claudine Gerold hat sich die Pulsader aufschneiden lassen, weil die Herzogin dem Verbluten nahe war, und da ist ihr Blut in die Adern der Herzogin geleitet worden,“ berichtete die Komtesse. „Antonie schreibt, ohne das wäre die Herzogin gestorben. O Gott, o Gott, es ist schauderhaft; ich hätte es nicht gekonnt.“
„Himmel, wie schrecklich!“ riefen sämmtliche Damen.
„Wie muthvoll! Das ist Rasse!“ sagte der kleine Offizier mit funkelnden Augen.
„Tausend Wetter, das ist zum Verlieben!“ rief Se. Excellenz und bekam dafür einen verweisenden Blick von Frau Gemahlin.
„Sie sah wunderbar schön eben aus,“ flüsterte der Schwermüthige, noch melancholischer als gewöhnlich. „Der Tausend, warum hat man nicht auch zwei Güter! Dieser beneidenswerthe Gerold!“
„Er hat übrigens seinen Abschied eingereicht,“ erzählte der Husarenoffizier, „er will seine Güter selbst bewirthschaften.“
„Was weißt Du noch, Lolo?“ ermunterte die Gräfin ihre Tochter.
„O, sie hat so viele Brillanten bekommen,“ erzählte eifrig die Komtesse, „und die alte Hoheit hat sie gepflegt wie eine Tochter und sie geherzt und geküßt.“
„Ah, charmant!“
„Wann sie wohl heirathen werden?“
„Sie leben jedenfalls im Winter in der Residenz.“
So ging es weiter. Im innersten Herzen gönnte keiner dieser Claudine das Glück, aber keiner wagte, mit einem Wörtchen den Ruf von Baron Gerolds Braut anzutasten. Es rauschte so ganz anders jetzt in den Bäumen der Waldfrische, und die Damen beschlossen einmüthig, der jungen Braut einen prachtvollen Blumenkorb zu spenden als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit für die Rettung der geliebten Herzogin.
Indessen war das Brautpaar vor dem Eulenhause angelangt. Gärtchen und Gebäude lagen friedlich im Abendsonnenschein, und die durchbrochenen Rosetten der Klosterruine schimmerten rosig angehaucht. Claudinens schönes Gesicht ward plötzlich von einer peinvollen Angst belebt; dort war ja die alte rundbogige Hausthür bekränzt mit Guirlanden aus Spargelkraut und Rosen!
„Lothar,“ flüsterte sie und berührte leicht seinen Arm beim Aussteigen „ich bitte, nein ich verlange von Ihnen – kehren Sie heim mit Beate, ich will Joachim erst vorbereiten. Sie werden Nachricht bekommen, wann ich Sie sehen will; ich kann hier nicht Komödie spielen, es geht über meine Kräfte.“
Er kämpfte sichtlich mit einem Entschluß, aber ein Blick in die halb verzweifelten blauen Augen hieß ihn nachgeben; sie mußte sich in der That noch leidend fühlen. Er erwiderte kein Wort; er wandte sich nur und bat Beate, sitzen zu bleiben. Bis zur Hausthür, wo die kleine Elisabeth ihr jubelnd entgegen lief, begleitete er sie und küßte ihr die widerstrebende Hand.
„Wann wünschen Sie den Wagen nach Altenstein, heute Abend?“ fragte er. „Sie gestatten selbstredend, daß ich Sie hinüber begleite?“
Sie drehte sich eben in der Hausthür um und nickte Beate abschiednehmend zu; sie hatte in ihrer Erregung die Gute völlig vergessen. Aber die sah es nicht, sie blickte zum Thurmfenster empor.
„Ich danke Ihnen, Lothar,“ klang es nun leise, aber bestimmt, „ich kehre nicht nach Altenstein zurück; ich bleibe hier. Ich werde die Herzogin hiervon benachrichtigen. Sie glauben es nicht?“ fuhr sie müde lächelnd fort, „ich versichere Sie, ich habe tatsächlich nicht die Kräfte zu diesem Spiel. Ich versuchte ja heute tapfer meine Pflicht zu thun, nicht wahr? Haben Sie Mitleid mit mir!“
Sie neigte ernst den Kopf und ging ins Haus.
Fräulein Lindenmeyer kam ihr entgegen. Die Alte fiel in freudiger Hast beinahe über ihre Stubenschwelle; sie hatte die rothbebänderte Haube auf und breitete beide Arme aus.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_359.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)