Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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beweisen. Amerika ist weit. Es ist allerdings, als habe man ein Verbrechen begangen, dessen Geheimniß man dorthin flüchten müsse. Aber einerlei – wo Du Dein Glück suchst, dort werde ich’s auch zu finden wissen. Das Glück, das gut genug für Dich ist, genügt auch für mich! – Was – was hattest Du Dir eigentlich von mir gedacht? Ich bin doch Dein Weib – ich bin doch Dein Weib …“
Aus ihren Augen brachen leidenschaftliche Thränen.
„Sag’, liebtest Du – liebtest Du mich denn nicht mehr?“ Ein so flehendes Schluchzen, in dem sich all’ die Noth dieser Tage löste. Abermals sank sie in den Sessel.
„Mein Weib! Mein einziges – einziges Weib!“
Zu ihren Füßen lag er hingestürzt, ihre Hände umklammernd. „Verzeihung! O verzeih!“ rief er. „Ich war so klein und nichtig. Das war an Allem schuld. Es hat mich gelähmt bis ins Herz hinein. Ich hatte mich selbst verloren. Und Dich – Dich, Melitta! Aber da bist Du! Du bist gekommen! Nun ist Alles gut! Ah, nun ist Alles, Alles gut!“
Er senkte das Haupt in ihren Schoß und sie legte sanft ihre beiden Hände darauf.
„Du siehst daraus, mein lieber Walther, daß Deine Tante immer Recht hat. Ich sagte Dir gleich, daß Dich der neue Name, den ich übrigens nie richtig zu schreiben gelernt hätte, nicht glücklich machen würde. Der Name Eff, den wir alten Leute in Ehren getragen, hätte es wahrhaftig nicht verdient, daß man ihn zu den alten Kleidern warf.“
Es war die unvermeidliche Glosse der „Autorität“. Nach einigen Monaten, während deren Walther und seine Frau vor Verwandten und Freunden gleichsam Versteck zu spielen schienen, war ein Brief mit einer bunten ausländischen Briefmarke eingetroffen, der den Erfurtern Walther’s neue Adresse mittheilte. Das war zu aller Erstaunen das alte, gute, biedere, trauliche Eff – dahinter der Schweif eines Titels, der in den Augen der „Autorität“ vollkommen den Freiherrn wie den übrigen Krims-Krams aufwog. Also: „Generaldirektor der vereinigten Eisenbahnen von M. und N.“ – (Namen von gewissen östlichen, noch in den Flegeljahren staatlichen Wachsthums befindlichen Duodezstaaten.)
Auch hier war es „um den Namen“ gegangen. Fast wäre Walther’s Wahl, die er einem glücklichen Zufall, unterstützt durch vortreffliche Empfehlungen, zu verdanken hatte, daran gescheitert, daß er plötzlich, als sein Abschied aus der Armee herauskam, sich als simpler Eff vorstellte. Verblüffung und Abkühlung auf Seiten der „Vereinigten Eisenbahnen“. Wird denn der lächerliche Götze auch dort hinten verehrt? Ja, hatten sie es denn nur auf das Schild mit dem freiherrlichen Namen abgesehen? Oder wollten sie einen Mann haben, der mit Energie und Tüchtigkeit seine Stellung ausfüllt?
Zuletzt siegte dennoch der Mann über den Namen.
Und die „Vereinigten Bahnen von M. und N.“, wie deren Aktionäre, sollten die resignirende Großmuth ihres Verwaltungsrathes, der sich schließlich mit einem Buchstaben, statt eines so schönen volltönenden Namens begnügte, später nicht zu bereuen haben.
Auch die Belzigs waren vor dem Namen geflüchtet. Sie verbrachten den Winter in Nizza. Frau Belzig ertrug den „Weltuntergang“ mit einem äußerlichen Gleichmuth, über den sie innerlich selber staunte. Es war das Beste so! Es haftete kein Segen an dem Namen … Doch die Winkel ihres Mundes hatten einen so resignirten Zug nach abwärts genommen, sie war weich und leicht zur Rührung geneigt, besonders wenn ihr Blick über die Familiennachrichten der Zeitung streifte. Nun, leuchtete denn nicht der Stern Lolo? „Die schöne Berlinerin“ ging immer wieder aus all’ den glänzenden Festen der Nizzaer Saison als siegreiche Königin hervor. Es umschwirrte sie ein Schwarm von Namen und Krönlein und brillanten Partien – zur Verzweifelung ihrer Mama: diese entsetzliche Wahl! Man ist ja so grauenhaft vorsichtig geworden!
Auf dem Wege von Nizza nach Berlin verdichteten sich natürlich die Eintagshuldigungen zu wirklichen Anträgen und entsprechenden Körben. Der verbrecherische Adolf Eff nickte verständnißvoll: „Sie hat Recht – sie behält von nun an, nach all’ den Abschweifungen, ihr Ziel im Auge – ich bleibe dabei: sie hat es auf einen der Söhne Bismarck’s abgesehen!“
Olga von Gamlingen flüchtete nach England, wo sie die bewußte Stellung endlich antrat. Als heimliches Bräutchen flüchtete sie, in diesen schwülen und verhängnißvollen Zeiten wollten sie doch nicht ihr junges Glück glitzern lassen. Und an eine Hochzeit wagte sie noch gar nicht zu denken, soweit lag diese noch in dämmernder Ferne. Mühüller hatte früher einmal ausgerechnet, daß er bei diesem „oberfaulen“ Avancement und wenn kein gehöriger Eisgang in den oberen und mittleren Chargen einträte, genau zweiundvierzig Jahre auf den Hauptmann zu warten haben würde. Und trotzdem hatte er sich in das „Elend“, das er immer so beschworen, hinabgestürzt?
Wann hatte der Oberboxer diesen kühnsten Sprung seines Lebens denn ausgeführt?
Es kam Alles so glatt und sanft und selbstverständlich, keine Spur von einem Anlauf. Sie hatten den armen Dicks begraben. Der „Unzerreißbare“, der auf dem Heimwege den Wagen – nicht die Belzig’sche Equipage, um ein Aufsehen zu vermeiden, mit Olga und Mühüller getheilt, empfahl sich nach der Ceremonie am Eingangsgitter des Kirchhofes, weil er noch im Interesse seiner Gesundheit sein Quantum abzulaufen hätte. Da saßen nun die Beiden, steif und still, jedes in einer Ecke des weiten, schwarz ausgeschlagenen Wagens. Durch das Vorderfenster sahen sie die Gestalt des Kutschers in seinem vom Wetter grünlich angehauchten Traueranzug hin- und herschwanken bei dem Wiegen der in altmodischen Federn hängenden Karosse.
Und kein Wort. Mühüller, der kein Wort fand, der nicht einmal seinen Blick von dem Kutscher nach ihrem Gesichtchen zu wenden wagte!
„Der arme Junge!“ hauchte sie endlich wie für sich hin.
Er nickte, froh, daß das Schweigen ein Ende hatte.
Nach einer Weile begann sie ihm zu erzählen, wie sie Dicks zuletzt gesehen. Als wenn er sein Schicksal vorgefühlt! Wie er von ihr Abschied nahm und sie geküßt. Warum sollte sie das nicht gestehen? War sie doch seine Tante. „Er nahm mir den Kopf zwischen seine beiden Hände und küßte mich auf die Lippen.“
Warum sollte sie deßhalb roth werden? Die Röthe ihres vom Crêpe des Trauerschleiers umhauchten Gesichtes rührte doch gewiß nur vom rauhen Wetter und den vorhin am Grabe vergossenen Thränen her.
„O!“ sagte er, ein wenig zusammenfahrend vor Ueberraschung. „Er hätte es wohl können bleiben lassen!“ schien das O! zu bedeuten.
Aber gleich faßte er sich. Welch’ eine dumme Eifersucht! „Ein guter Junge!“ rief er laut, die Augen groß aufreißend, „ein famoser Junge!“
Mühüller konnte sich später nicht mehr erinnern wie das geschehen: – plötzlich lag in der großen, breiten Höhlung seiner weißbehandschuhten Rechten etwas Schwarzes, Winziges – ihr Händchen! War es ein Anflug der Theilnahme, die ihn das Händchen von Dicks’ Tante ergreifen hieß – war es ein ganz seltsames Gefühl von Beschämung, daß er sich erst von einem Dicks den Weg zu seinem Glücke weisen lassen mußte? …
Natürlich wollte der Generaldirektor nichts von den zweiundvierzig Jahren wissen, die Mühüller bis zum Hauptmann und somit das Brautpaar zur Hochzeit zu harren hätte. Ist Olga doch nach wie vor seine Schwester! Gottlob, daß er nun aus eigener Kraft zu helfen im Stande ist. „Sind wir dem braven Mühüller nicht das Schmerzensgeld dieser Heirathszusage schuldig?“
Melitta fiel ihm überglücklich um den Hals.
An einem Sommermorgen desselben Jahres stand das Brautpaar vor dem mit südlicher Blumenpracht geschmückten Altar in dem großen Empfangssaal der Generaldirektion zu B.
Auf die Frage des Predigers, die so feierlich durch den Saal hallte, hauchte Olga das „Ja“ hin, das ihr Geschick mit dem Mühüller’s fürs Leben verband, leise, vom Knistern der Wachskerzen fast übertönt.
Und in dem seligen Hauch dieses Jawortes erstarb der Name.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_424.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)