Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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bitte Sie sogar darum. Nehmen Sie sich meiner Braut etwas an, sie ist furchtbar angegriffen.“
„Comment?“ fragte die alte Französin und sah ihn verständnißlos an.
Er reichte ihr die Hand herüber. „Lucie ist wieder mein,“ sprach er.
„Mais non – ich meine – ich denke, Sie sind verlobt?“
„Ja freilich! Gute Nacht, Mademoiselle.“ Er küßte die kleine runde Hand und ging hinaus.
Die alte Dame stand ganz fassungslos, dann stieg sie die Treppe empor und kam in Luciens Zimmer. Das Mädchen saß wieder im Sessel neben dem Bette und blickte auf das schlummernde Kind; sie hatte die Hände gefaltet: über ihrem Gesichte lag ein seliger Schimmer.
„Lucie, quelle surprise!“ rief Mademoiselle. „Ich träume wohl, wie ist es möglich?“
Lucie legte den Finger auf den Mund und ging leise zu der alten Dame hinüber.
„Mademoiselle,“ flüsterte sie und nahm die Hände der Erstaunten, „wollen Sie ein glückliches, dankbares Menschenkind sehen? Schauen Sie mich an –.“
„In Wahrheit, Lucie? Mais je ne comprend pas – warum erst jetzt? Sie konnten ja schon längst so glücklich sein! Wie wunderlich seid Ihr deutschen Frauen!“
„O Mademoiselle, mein Herz war so schwach und krank. Haben Sie nie gehört, daß kranke Leute die Welt anders betrachten als gesunde?“
„Und nun ist die Krise vorüber?“
Das Mädchen fiel, statt zu antworten, ihr um den Hals und küßte sie auf das gute Gesicht.
„Wunderlich!“ murmelte die alte Dame. „Aber legen Sie sich; er will es; Sie müssen frisch sein morgen. Wenn es nicht ansteckend ist – wahrhaftig nicht? – so will ich wachen.“
„Nimmermehr!“ erklärte Lucie, „das Sofa ist bequem; lassen Sie mich, Mademoiselle. Ich habe so Vieles gut zu machen, auch hier.“
„O, und ich will mich nur noch recht schön bedanken, liebe Adlern,“ sagke Selma’s Mama, die plötzlich gar nicht mehr verschlafen aussah, während sie ihren Mantel und ihre Kapuze in der Wohnstube der Frau Steuerräthin des Morgens um vier Uhr ablegte – sie waren eben vom Balle gekommen; „schön bedanken, daß Du so gut auf Selma Acht gegeben hast.“
Frau Adler sah verwundert ihre Freundin an; sie war schon so ärgerlich über des Sohnes Verschwinden vom Balle. Was sollte denn nun noch kommen?
Fräulein Selma saß in ihrem zerdrückten grünen Kleide schluchzend in der Ecke am Ofen.
„Ja, weine nur,“ schalt die Mutter, „der Vater wird schon dafür sorgen, daß Du Deine Thränen trocknest, Du undankbares Kind.“
„Ich kann doch nichts dafür,“ schluchzte das Mädchen.
„Verlobt hat sie sich, Klara!“ wandte sich die zürnende Frau zu der sprachlosen Steuerräthin, „verlobt mit diesem Herrn Provisor da. Hast Du denn gar nichts bemerkt? Du bist doch sonst so schlau in dergleichen Dingen? Und das ist Alles fix und fertig und abgemacht! – O, und wir denken, sie ist hier in den besten Händen!“
„Selma!“ rief Frau Adler, „pfui! Schämst Du Dich denn nicht?“
„Du hättest nur besser aufpassen sollen,“ fiel die Mutter ein. „Ich denke, es wird ein schöner Tanz werden mit meinem Mann. Zieh’ Dich an, mein Kind, und packe Deine Sachen ein; sobald es hell ist, wird gefahren.“
„Der Vater könnte ihm doch eine Apotheke kaufen,“ tönte es weinend hinter dem spitzenbesetzten Battisttuche des Mädchens hervor.
„Apotheke kaufen? Als ob es ein Pfefferkuchen wäre! Was weißt Du von Geld! So stehen die Angelegenheiten jetzt: Verlobt hast Du Dich – von Heirathen ist keine Rede, mein Kind!“
Das kleine Dienstmädchen brachte Kaffee; aber es mußte ihre Herrin erst dreimal um den Schlüssel zur Zuckerdose bitten, so verdonnert stand diese da –. Alles umsonst, Alles; dieses undankbare Mädchen!
„Wo habt Ihr Euch kennen gelernt?“ examinirte die Mutter, „heraus mit der Sprache!“
„Auf dem Schützenfest, im Sommer.“
„Wie denn das?“
„Im Cirkus. Ich saß zufällig neben ihm, und dann – ich war mit Postmeisters da – sind wir noch, die Liese und ihr Vetter, und er und ich, Karoussel gefahren, und da hat er mich nach Hause gebracht.“
„Recht hübsch! Und das hast Du erlaubt, Klara? – Wo habt Ihr Euch noch sonst gesehen?“
„Auf der Straße und in der Apotheke.“
„Aha! Daher die vielen Bedürfnisse an Talkum, Cold Cream und Brausepulver! Und wann hat er es Dir gestanden?“
„Schon lange, schon vor acht Wochen –“
„Empörend!“ sagte Frau Steuerräthin und schob ihre Kaffeetasse zurück. „Selma, Du bist eine ganz falsche Person! So lohnst Du mir alle Freundlichkeit?“
„Ich bin nicht falsch,“ vertheidigte sich das Mädchen weinend, „ich habe niemals geheuchelt, daß ich mich für den Herrn Doktor interessire.“ Wenn er das gedacht hat, so –
Da richtete sich Frau Steuerräthin in ihrer ganzen Höhe auf „Mein Sohn?“ fragte sie, „mein Sohn? Was hat denn mein Sohn mit dieser ganzen Angelegenheit zu thun? Du hast Dir doch nicht etwa eingebildet, daß er Dich –? Lächerlich!“
Und sie rauschte in ihrem Grauseidenen majestätisch nach der Schlafstube, und als sie zurückkam, trug sie ihren Schlafrock und ein Lächeln um ihre Lippen, und nöthigte zum Kaffee.
Als eben der Tag graute, brachte das Dienstmädchen des Herrn Doktors einen Brief an die Frau Steuerräthin. Die alte Dame hatte sich nicht gelegt, denn ihr Besuch rüstete zur Abfahrt; sie saß und sah in die graue Morgendämmerung und in ihrem Herzen war eitel Zorn und Weh.
Da kam das Schreiben. „Mein Gott, was will er denn? Und wie lang!“ Sie holte die Brille hervor, ging zum Lichte und las.
Wie? Das that er ihr? Regungslos verharrte sie – war denn die Welt aus den Fugen gegangen?
„Ich hoffe, die Mutter wird sich bemühen, das Mädchen, an dem des Sohnes ganzes volles Erdenglück hängt, lieb zu haben so sehr sie kann, und sie mag versichert sein, daß dann zwei innig dankbare Herzen sich bestreben werden, den Abend ihres Lebens hell und freundlich zu gestalten.“
Also: „Beide – oder Keines!“ las sie zwischen den Zeilen. O, und es gab doch eine ganze Welt voll hübscher, reicher Mädchen! Zornig knitterte sie den Brief in der Hand. Da fiel ihr Blick auf ein kleines Daguerreotyp, das an der Fensterwand über ihrem Nähtisch hing, ein lockiger Bub’ im karrirten Kittelchen mit treuen guten Augen. So war er, als er noch auf ihrem Schoße saß und die Aermchen um ihren Hals schlang und sie mit heimlicher Lust an die Zukunft dachte. Sie hatte die ganzen Jahre hindurch nur den einen Gedanken gehabt, den Abend ihres Lebens in seiner Familie zu verbringen, geehrt und geliebt und um Rath befragt, in Küche und Keller und Kinderstube.
„Meine liebe Mutter!“ hörte sie den Klang der hellen Kinderstimme von damals. – Er war kein Kind mehr, er war ein Mann geworden, ein rechter Mann mit stärkem Willen, war ihr Stolz, ihr Einziger! Wie hatte sie vor ein paar Stunden erst wieder im Ballsaal so viel des Lobes über ihn eingeerntet! Da hatte eine dankbare Mutter ihr die Hand gedrückt, der er Trost zugesprochen am Krankenlager der Kleinen; hatte ein Mann, dem er die Gattin erhalten, gesagt: „Wie glücklich müssen Sie sein, diesen Sohn zu besitzen!“ Und die Frau eines kränkelnden nervösen Mannes war in begeistertes Lob ausgebrochen: er sei nicht allein Helfer dem kranken Körper, er richte auch die gebeugten sorgenbeschwerten Herzen auf. Und sie wollte diesem Sohne ein Glück mißgönnen?
Wenn’s nur eines wäre!
Aber die Frau sucht sich jeder tüchtige Mann allein aus – nein, so Einer läßt sich keine aufschwatzen. Und diese Selma, diese –
Eben kam sie herein mit ihrer Mutter. Wie sah sie doch aus, so grau der Teint, so plump die Figur in dem dicken Mantel, und so mürrisch! Luciens leichte zierliche Gestalt, ihr süßes Kindergesicht tauchte vor ihren Augen auf „Hübsch ist sie und fein, ja, ja – hm –“
„Adieu, Adlerchen,“ sagte die Mutter. „Das Wiederkommen kann ich Dir nicht versprechen; ich bin zu böse auf Dich.“
„Ich will Dir Etwas sagen,“ begann die Frau Steuerräthin, „rede Deinem Alten zu – wenn die Selma nun einmal den
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_284.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)