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Seite:Die Gartenlaube (1887) 219.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

es war ein eigenthümliches Lächeln lüsterner Verlegenheit: ein Kind, dem eine bunte Kostbarkeit gezeigt wird und das gerne zugreifen möchte.

Nein, nicht das! Eff sah in dieser Röthe und in diesem Lächeln nichts Anderes als Glück, Hoffnung, das Bewußtsein, daß sie Beide zusammengehörten und nicht von einander lassen würden. Seine Augen strahlten.

„Na, ich weiß nicht,“ fuhr das enfant terrible mit bekannter Zähigkeit fort. „Wenn Einer kommt und mir solchen Braten anbietet, ich genire mich nicht, ich greife einfach zu. Mühüller – man hätte in der Wahl seines Namens vorsichtiger sein können – Müh – hüller, ich bitte Sie, meine Herrschaften, nicht Müll – err! ich bitte das nicht zu verwechseln!“ Er rief es gedämpft, im komischen Ausruferton. Dann die Unterarme flach auf die Kniee gelegt, mit gesenktem Kopf vor sich hinmurmelnd: „Ich weiß, es klingt so wie Müller, und es liegt mir nicht viel daran, daß es so klingt. Wenn einer käme und mich gründlich von dieser Müllerei kurirte, ich wäre ihm sehr dankbar.“

„Aber Herr Lieutenant!“ rief Lolo lachend.

„Sie sind ein entsetzlicher Mensch!“ jammerte Frau Belzig gleichfalls lachend, mit dem Fächer einen Schlag durch die Luft nach ihm hinführend.

Natürlich ließ er erst recht nicht nach und sagte noch lauter: „Ich weiß nicht, ob ich nicht die allererste Gelegenheit ergreife und mich auch adoptiren lasse! Wer will mich denn haben? Gesund, immer fidel, springe über vier Kasten, Hechtsprung, Todtensprung, was Sie verlangen – beiße Ihnen ein Stück aus einem Bierseidel oder, wenn Sie’s riskiren wollen, auch die Tischecke da ab -“

Er grinste und wies dabei die großen, breiten, wie aus zwei massiven Elfenbeinstücken geschnitzten Zähne.

„Genug, genug, halten Sie ein!“ wehrten die Damen. Alles lachte. Die alte Tante Mala (nach der Edition Mühüller „Via Mala“ genannt), ein kostbares, nach Gold klingendes Familienstück, übertönte die allgemeine Heiterkeit mit ihren hohen, kreischenden Lachausbrüchen, sie hörte so gut wie nichts, aber Lieutenant „Müller“ (das einfache derbe „Müller“ – und sie blieb dabei) hatte jedenfalls wieder etwas besonders Köstliches losgelassen.

„Na, also der Mü – hü – hüller ist zu haben! (in dem Ton der Jahrmarktsschreier fortfahrend:) Wer, meine Herrschaften, hat Lust? Sie vielleicht, Herr Graf?“

Der Angeredete hob den mit wolligem Flaum bedeckten Kugelkopf, wie aus einem jener müden und stummen Anfälle erwachend, empor. Er schlug mit nervöser Hast ein Bein über das andere und schlenkerte den schmalen, mit einem Lackschuh bekleideten Fuß. Er fühlte sich nicht ganz behaglich unter dieser „Müllerei“.

„Man muß diesen Bajazzo mit in Kauf nehmen: er spielt eine Rolle hier im Hause,“ wollte sein Lächeln sagen; aber er brachte es nicht zu einem solchen. „Es würde mir eine große Ehre sein,“ erwiederte er matt und vornehm abweisend, die langen, überaus zarten und blüthenweißen Finger der Rechten nach der weit ausgezwirbelten Spitze des dunklen Schnurrbartes erhebend, ohne diese zu berühren.

Mühüller enthob ihn der Verlegenheit. „Ah Pardon, Herr Graf, es geht ja nicht – die Frau Gräfin, wenn Sie eine solche haben werden –“ er machte eine bedeutsame Pause, die Augen schelmisch zu Boden geschlagen, beim Aufblicken vermied er Lolo, und dann gedämpfter: „– die Frau Gräfin würde sich schönstens dafür bedanken.“

Eff trachtete vergebens, durch einen strafenden Blick solcher Produktion Mühüller’scher Cirkuskünste Einhalt zu thun.

Und dann, ohne die Wirkung dieses kleinen Ausfalles abzuwarten, schnellte Jener auf dem Sitz herum: „Herr Perkisch, Sie? – Ah Pardon, das lohnt nicht! Für solche Kleinigkeit haben Sie natürlich keine Verwendung!“

„Aber, Herr Belzig, Sie vielleicht?“ Diesmal geschah die Frage mit der leichten Karikatur einer ceremoniösen Verbeugung.

Die hagere Gestalt des Hausherrn erwiederte zerstreut und linkisch schmunzelnd die Verbeugung. „Gern, sehr gern!“ rief er.

Melitta hörte nur mit kurzen gelegentlichen Wendungen des Kopfes und mit einem mechanischen Lächeln nach Mühüller hin. Eff war zu ihr getreten und unterhielt sich mit ihr, den Arm auf die Lehne des Fauteuils gestützt, den Kopf zu ihrem Antlitz herabgebeugt. Anscheinend sprachen sie über Gleichgültiges: über das Theater, über ein Buch, oder was war es doch? – Worte gaben nur die Begleitung, die Hauptmelodie wurde von ihren Augen gespielt. Wie bestrickend, wie zauberisch sie ihnen erklang!

Endlich konnte das kostbare Familienstück dem Gelüste nicht widerstehen, den Grund des eigenen Lachens, unter dem fort und fort die unzähligen Bänderchen ihrer Salonhaube erzitterten, zu erfahren. Das Ungethüm ihres guttapertschauen Hörapparats emporhaltend, geraden Wegs in die Gesellschaft hinein für irgend wen, der ihr antworten wollte, fragte sie: „Wovon ist denn die Rede? Lieutenant Müller ist doch zu drollig!“

Sofort war Mühüller an ihrer Seite, erfaßte mit einer Verbeugung das trompetenartige Rohr und begann laut und accentuirt hineinzurufen: „Man will mich adoptir – enn, mein gnä – di – ges Fräulein! Sie woll – enn mich All – e hab – enn! Ich weiß nicht – wen ich nehm – enn soll!“

Und das Horn immer noch in der Hand haltend, blickte er mit einer köstlich unglücklichen Miene in das begierig horchende Gesicht der alten Dame. Diese nickte überfroh: immerhin hatte sie doch die Worte verstanden, wenn auch der Sinn ihr unverständlich schien.

Wieder allgemeine Heiterkeit. Frau Belzig aber rückte ungeduldig auf ihrem Sitz – es war etwas zu viel! Dieser Müller mit dem H, wie er sich oft in selbstironisirender Weise vorstellte, ist ein guter Bursch und sie möchte einen solchen guten Komiker in ihrem Salon nicht missen – aber zuweilen kann er kein Ende finden. Hat er nicht mit seiner Parodie die ganze Wirkung ihrer Bemerkung über den Haufen geworfen und ins Lächerliche gezogen? Dieser Eff – sie stolperte jedesmal darüber – mein Gott, welch ein Name! Noch nie war dessen nichtssagende Häßlichkeit ihr so aufgefallen! – Dieser Eff schien die ganze Angelegenheit wirklich nur als einen Scherz aufzufassen. Der fascinirende Glanz des anderen Namens schien nicht einmal einen Eindruck auf ihn zu machen. In naivster Sorglosigkeit tändelte er mit Melitta! Ah, entweder – oder!

„Melitta!“ rief sie fast streng.

„Mama!“

Und sofort wandte sich die Gerufene wieder zu Eff zurück. „Ja, Dahn ist mir auch tausendmal lieber als Ebers. Ich liebe Dahn furchtbar. Einiges von Ebers ist ja wundervoll … ich komme gleich, Mama!“

Es war schwer, sich aus solcher „furchtbar“ interessanten literarischen Unterhaltung loszureißen.

„Mein gutes Kind,“ sagte Frau Belzig, und die Maske der erheuchelten Freundlichkeit, die anfangs ihre Verstimmung decken sollte, ging allmählich in eine aufrichtig strahlende Miene über, wie ihre Augen sich an der herrlichen Schlankheit ihrer Jüngsten zu weiden schienen – der Mutterstolz verwischte jede Unmuthsfalte. „Mein gutes Kind, bitte, sorge dafür, daß der Wagen für das Theater rechtzeitig bereit ist. Wir haben ein tüchtiges Stück zu fahren. Auch müssen wir noch eine Droschke dazu haben.“

Melitta nickte, es fiel ihr schwer, ihre freudige Hoffnung zu verbergen: vielleicht bedeutete das Supplement dieser Droschke, das man der eigenen Equipage zufügte, daß Lieutenant Eff mit von der Partie sein werde.

Herr Belzig kam mit drei Cigarrenkisten bepackt herbei, um die Herren zum Rauchen einzuladen: ein anderes Zeichen zum Aufbruch.

„Ich kann Ihnen diese dunkle da empfehlen – früher mein Lieblingskraut. Leider rauche ich selbst nicht mehr. Ich kann es nicht mehr vertragen.“

„O wie schade,“ sagte der Oberstlieutenant, mit seiner leicht bebenden Hand in der Kiste tastend; „ich leiste mir eine am Vormittag, eine am Nachmittag.“

„Ich schösse mich todt, wenn ich nicht den ganzen Tag rauchen sollte wie ein Schornstein! Sie müssen turnen, Herr Belzig,“ meinte Mühüller, griff herzhaft ist die Kiste und prüfte, in den Knieen wippend, die Cigarre mit kurzem dreisten Kennerblick. „Es giebt nichts Gescheiteres als Freiübungen.“

„Ich laufe,“ erwiederte Herr Belzig. „Jeden Morgen noch vor acht Uhr renne ich den Thiergarten ab. Ich trinke Brunnen.“ Es gab wenige Monate des Jahres, wo Herr Belzig nicht Brunnen trank.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_219.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)