Verschiedene: Die Gartenlaube (1886) | |
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Als ein solches möchte ich zunächst den Eisfuchs angesehen
wissen. Ihn beherbergt die Tundra, soweit sie sich erstreckt; ihm
gewährt sie mindestens im Süden neben unserem Fuchse und
anderen Arten seiner Sippschaft Unterhalt und Nahrung; er trägt
auch ihre Farben: im Sommer ein Felsen-, im Winter ein
Schneekleid; denn felsengrau oder graulichblau entsprießen die
Haare seines überaus dichten Felles, und schneeweiß färben sie sich im Winter. Schlecht und recht nach anderer Füchse Art
schlägt er sich durchs Leben, und doch ist sein Wesen und
Gebahren gänzlich verschieden von dem Auftreten und Treiben unseres
Reineke und seiner ihm ebenbürtigen Verwandtschaft. Ihm thut
man schwerlich Unrecht, wenn man ihn als ausgeartetes Mitglied
einer ausgezeichneten, ungewöhnlich veranlagten, geist- und erfindungsreichen Familie bezeichnet. Von der findigen Klugheit,
berechnenden List und nie versagenden Geistesgegenwart seiner
Sippschaft bethätigt er kaum die Anfänge. Plumpdreist ist sein
Auftreten, zudringlich sein Wesen, unklug sein Gebaren. Als
frecher Bettler, als unverschämter Strolch, nicht aber als listiger,
alle Umstände wohl erwägender und alle ihm irgendwie möglichen
Hilfsmittel nutzender Dieb oder Räuber tritt er auf. Unbesorgt
schaut er dem Jäger in das Feuerrohr; ungewarnt durch die
ihm geltende, dicht über seinem Leibe dahinsausende Kugel, folgt er seinem furchtbarsten Feinde; unbedenklich dringt er in das Innere der Birkenrindenhütte des wandernden Renthierhirten; sorgenlos
naht er sich des Nachts dem im Freien schlafenden Menschen,
um von diesem erbeutetes Wild zu stehlen oder sinnlos nach einem
entblößten Gliede desselben zu schnappen. Mir selbst ist begegnet,
daß ein Eisfuchs, nach welchem ich in der Dämmerung mehrere
Male vergeblich schoß, wie ein Hund meinen Schritten folgte:
mein alter Jagdfreund Erik Swenson vom Dovrefjelde mußte
erfahren, daß ihm ein solcher Nachts die Wilddecke, auf welcher
er ruhte, anfraß, und der alte Steller berichtet wahrheitsgetreu
noch von ganz anderen Streichen des Thieres, von Streichen, welche Jedermann für unmöglich erklären würde, wären sie nicht durch übereinstimmende Beobachtungen hinlänglich verbürgt. Wohl mag ungenügende Kenntniß des in der Tundra nur spärlich auftretenden Menschen eine wesentliche Ursache des wundersamen Gebarens dieses Fuchses sein; der alleinige Grund aber ist jene Unkenntniß nicht. Denn weder der Rothfuchs noch irgend ein anderes Säugethier der Tundra benimmt sich so unklug wie jener; nicht einmal der Lemming kommt ihm in dieser Beziehung gleich.
(Fortsetzung.)
Nun waren schon Wochen verstrichen, die Meubel gekommen und die Wohnung eingeräumt; Gardinen verhüllten die Fenster, Teppiche lagen auf dem Parkett und Großmütterchens roth verhangenes Himmelbett stand in einer tiefen Nische ihres Zimmers, als wäre diese extra für das riesige Meubel geschaffen. In dem Ofen brannte ein Holzfeuer, auf dem Nähtischchen lag meine Handarbeit, Großmutter strickte am Fenster, Lotte saß an ihrer Staffelei, und Schnips lag blinzelnd im Korbe am Ofen. Es ist alles wie in Berlin, und doch so anders, so viel schöner, dachte ich, und das Herz begann mir stürmisch zu klopfen, denn draußen ächzte die Holztreppe unter schweren Tritten und bald darauf klopfte es an die Thür.
Lotte sah von ihrer Leinwand auf. „Großer Gott, da ist er schon wieder!“ murmelte sie.
Dann öffnete sich die Thür, und Fritz Roden trat über die Schwelle.
„Guten Tag, meine Damen! Guten Tag, Frau von Werthern!“ Er betrachtete aufmerksam drei Rosen, die vom letzten Nachtfrost etwas angekränkelt erschienen, reichte eine der Großmutter, eine Lotte und eine mir. „Das sind die Letzten,“ sagte er dabei, „ich fand sie an einer geschützten Stelle – und nun, wie geht es Ihnen?“ Er zog einen Stuhl in die Nähe des Fensters, nahm Platz und beantwortete sich die Frage selbst, indem er hinzufügte: „Gut natürlich, wie könnte es auch anders sein in diesem behaglichen Stillleben?“
„Wir sind rasch heimisch geworden, lieber Roden,“ erwiderte die Großmutter freundlich, „und das danken wir Ihnen und Ihrer Mutter, meiner guten Friederike.“
Er wurde verlegen, machte eine kurze Verbeugung und schwieg. Er vertrug einmal keine Komplimente.
„Sie haben so treu geholfen bei unserer kleinen Einrichtung,“ sagte trotzdem auch ich.
„Wie ist’s denn mit dem Küchenherd?“ fragte er ablehnend, „raucht er noch?“
„Nein! Danke; ich werde ganz gut damit fertig.“
Lotte’s Staffelei erhielt eben einen kleinen Ruck; sie ward immer ungeduldig, kam die Rede auf Wirthschaftsangelegenheiten.
„Was malen Sie denn jetzt, Fräulein von Werthern?“ erkundigte er sich und betrachtete die kleine Landschaft auf der Staffelei. „Die obligaten Gletscher? Warum denn nicht ein Motiv aus unserer Gegend, zum Beispiel die alte Stettenburg, die so trotzig auf ihrem steilen Felsen liegt?“
„Das ist Geschmackssache,“ gab sie unartig zur Antwort, und ihr feines Näschen blähte sich auf.
„Was machen Sie denn mit all den Bildern, die Sie malen?“ fragte er unbeirrt weiter.
Sie wurde purpurroth, und ein Zornesblitz streifte ihn. Er bemerkte es nicht; sein Blick flog über unsere mit Bildern von Lotte allerdings reich dekorirten Wände. „Ah!“ sagte er, „welch eine Fülle! Beinah wie drüben in den Zimmern des Prinzen Otto.“
„Sind gute Bilder darunter?“ fragte Lotte in einem völlig veränderten Tone.
„Ich verstehe zu wenig davon,“ erwiderte Fritz Roden und nahm wieder Platz, „aber ich hörte einmal das Urtheil eines Düsseldorfer Malers. Er sagte, es seien drei oder vier wirklich werthvolle Gemälde drüben, das Meiste wäre unbedeutend. Es sind eben viele Dilettantenarbeiten dazwischen, Prinz Otto selbst hat Einiges gemalt während der zwei Jahre, die er hier verbrachte – verbringen mußte.“
„Wer ist Prinz Otto?“ fragte Großmutter.
„Der jüngste Sohn unseres Regierenden,“ berichtete Fritz Roden, „der Verzug seiner fürstlichen Mama, und sonst – ein wenig der Schreck seiner Umgehung.“
„Was thut er denn?“ erkundigte sich Lotte.
Fritz Roden überhörte diese Frage und wandte sich mit einem andern Gesprächsthema zur Großmutter. „Wie gefällt Ihnen unser Prediger, Frau von Werthern?“
Lotte aber sah starr zu den Fenstern des Schlosses hinüber, hinter denen die verhüllenden Vorhänge schimmerten. „Sind es diese Zimmer?“ fragte sie dann in unser Gespräch hinein.
„Welche meinen Sie?“ sagte er, „die, wo die vielen Bilder hängen?“
„Ja. Ich vermisse das Berliner Museum bitter, wo ich kopiren konnte,“ setzte Lotte plötzlich hinzu und stand auf.
„Dafür haben Sie ja die herrlichste Natur hier herum, Fräulein von Werthern. Sie glauben nicht, welch köstliche malerische Punkte sich in nächster Nähe befinden, und noch so wenig ausgenutzt.“
Sie schüttelte den schönen Kopf.
„Ich kopire lieber. Würde – dürfte ich jene Bilder wohl einmal sehen?“
„Sicher! Das Schloß wird gezeigt. Wollen Sie, so gehe ich hinüber mit Ihnen.“
„Ja, gleich! Ich bitte!“ rief sie lebhaft.
„Gleich?“ meinte er lächelnd. „Es ist drei Uhr, und es wird zeitig dunkel.“
„Bitte, gleich!“ wiederholte sie, flog lebhaft in das Schlafzimmer und kam bald im Mantel zurück, ein Spitzentuch um den Kopf geschlungen. „Gehen wir!“ rief sie munter.
„Wollen Sie uns nicht begleiten?“ fragte Fritz Roden, als er schon die Thür in der Hand hielt, um sie hinter sich zu schließen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_052.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)