Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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innen mit Watte verwahrt, um die Wärme zusammenzuhalten, so steigt ein Thermometer, dessen Kugel in die Nähe der bräunlichen Blüthenkeule gebracht wird, in bestimmten Tagesstunden um mehrere Grade über die Lufttemperatur. Eine viel bedeutendere Erwärmung beobachteten Hubert und Bory de Saint-Vincent vor vielen Jahren in den Blüthen des herzblättrigen Aron (Arum cordifolium) der Insel Bourbon, denn das Thermometer stieg hier bei einer Luftwärme von 15° auf 35 bis 39° sodaß der von dem Blüthenkolben entwickelte Wärmeüberschuß 20 bis 24° betrug! Man ist leicht geneigt, dieses Phänomen für eines jener Tropenwunder zu halten, wie sie in unserer bescheidenen europäischen Flora nicht vorkommen können, allein der ausgezeichnete deutsche Pflanzenphysiologe Professor Kraus hat sich vor nicht langer Zeit davon überzeugt, daß der gemeine italienische Aronstab den tropischen Vetter in seiner Heißblütigkeit noch beträchtlich übertrifft.
Es ist eine Pflanze, die dem gefleckten Aronstab unserer Wälder ähnlich sieht, nur noch größere, dunkelgrün glänzende Blätter besitzt, die durch eine gelbe Aderung im Landschaftsbilde bald auffallen. Alle Diejenigen, die einmal einen Winter in Mentone oder an einem anderen klimatischen Curort an der Riviera verbracht oder einen römischen Frühling genossen haben, werben sich dieser in den Olivenpflanzungen ebenso häufigen wie auffälligen Pflanze erinnern. Sie entfaltet im März und April ihre ansehnlichen mattgelben Blüthenscheiden, die nicht wie bei unserem Aron auf langen Stielen stehen, sondern Irrlichtern gleich dicht über dem grünen Rasen aufflammen.
Die Blüthenscheiden öffnen sich des Nachmittags zwischen vier bis sechs Uhr unter Verbreitung eines weinartigen Duftes, und wenn man dann den Kolben anfaßt, so fühlt man die Wärme deutlich. Am 28. März bei einer Lufttemperatur von 16° C. fand Kraus bei vier verschiedenen Kolben, die er in der Nähe von Rom untersuchte, daß das Thermometer auf 43,7°, also 27,7° über die Lufttemperatur gestiegen war; in anderen Blüthenständen betrug sie blos etwas über 40° C., das heißt, immer noch mehr, als wir im heißen Bade ertragen. Am nächsten Morgen war die Erwärmung völlig geschwunden; die Blüthenscheiden erschienen verblaßt, mehr oder weniger faltig oder ganz zusammengesunken und die Blüthenstände abgeblüht. – Unabweisbar drängt sich alsbald die Frage auf: was hat diese bei so vielen Aroideen auftretende Wärme-Entwickelung zu bedeuten? Die älteren Botaniker waren hinsichtlich dieser Frage völlig rathlos. Humboldt spricht von einer „Fieberwärme“ der Aroideen; er dachte an einen Paroxysmus des Liebesfiebers, wie ja der Vergleich der Blumen mit Hochzeitshäusern den früheren Botanikern geläufig war. Die neueren Blumenforscher haben nach den von Sprengel, Darwin und Hermann Müller gegebenen Anregungen eine viel wahrscheinlichere Deutung gefunden. Wie die Leser der „Gartenlaube“ aus meinen früheren Artikeln (vergl. besonders Jahrgang 1878, Seite 50 bis 52) wissen, bedürfen die meisten Blüthen, um keimfähigen Samen zu reifen, fremden Blumenstaubes aus anderen Stöcken ihrer Art, den ihnen entweder Luft- und Wasserströmungen oder lebende Boten (Insecten, Vögel und andere Thiere) zutragen, die sie durch lebhafte Farben, Düfte und andere Reizmittel schon aus der Ferne zu ihren Nektarquellen und sonstigen Gastspeisen heranlocken. Die Aroideen entbehren, wie wir sogleich des Genaueren sehen werden, der gewöhnlichen, in Düften, Farben und Genußmitteln bestehenden Anlockungsmittel nicht, aber sie überbieten, wie es unter den Menschen erfindungsreiche Geschäftsleute thun, ihre Collegen noch durch ein ihnen allein eigenthümliches Anziehungsmittel für ihre Gäste, sie bieten ihnen, wie der italienische Botaniker Delpino zuerst erkannt hat, ein warmes Gastzimmer und einen gemüthlichen Aufenthalt in ihrem Blüthenstande. Die meisten Aroideen der gemäßigten Zonen blühen früh im Jahre, wenn die Nächte noch sehr kühl sind, und locken daher allerlei Gethier an den warmen Ofen ihres Gastzimmerchens, wobei die Eingangsthür, um die Wärme zusammenzuhalten, sorgfältig verschlossen gehalten wird.
Bei dem gewöhnlichen italienischen, wie bei dem deutschen Aronstab sind es allerlei kleine Fliegen und Mücken, die eingeladen werden, in die warme Stube einzutreten, und die dabei als Gastgeschenk Blumenstaub von ihrem letzten Quartier mitbringen. Bei mehreren südeuropäischen und ausländischen Arten sind Blumenscheide und Kolben zart rosa fleischroth, trüb braunroth oder fast schwärzlich braun gefärbt und verbreiten einen täuschenden Aasgeruch, wodurch sie Aasfliegen herbeilocken, die sich auf ein Stück faulenden Fleisches niederzulassen glauben und ihre Brut darauf, zum Verderben derselben, absetzen. Bei den oben genannten Arten ist der untere kesselartig erweiterte Theil der Blüthenscheide durch einen Ring von längeren Haaren abgeschlossen.
Diese Haare sind innerhalb der Blüthenscheide schräg nach unten gerichtet und lassen die von oben her anfliegenden Besucher leicht in die warme Stube hinabsteigen, aber nicht ebenso schnell wieder heraus kommen. Sie bleiben in der kesselförmigen „Mausefalle“ zum Danke dafür, daß sie den Stempelblüthen fremden Blumenstaub mitbrachten, so lange gefangen, bis die später aufbrechenden Staubblüthen desselben Kolbens ihren Staub entsenden können, der dann theils von selbst auf die unten gefangen sitzenden Insecten hinabfällt, theils von ihnen beim Verlassen des Gefängnisses abgestreift wird. Denn zugleich vertrocknen die Haare des schließenden Ringes und die Insecten wandern davon, um den angenommenen Blumenstaub neuen Stöcken zuzutragen. Wer wollte ihnen verdenken, daß sie ein solches „fideles Gefängniß“ immer von Neuem aufsuchen, denn in dem warmen, duftenden Kämmerchen wurden sie außerdem mit Nectar bewirthet, welchen die verblühten Stempelblüthen absonderten. Nur der einen südlichen Art, dem haarigen Aronstab, sagt man nach, daß sie die angelockten Aasinsecten zum Danke dafür, daß sie ihr fremden Blumenstaub brachten, nachher zum großen Theile verzehre. Die Blüthenscheide ist hier nämlich auf der Innenseite mit abwärts gerichteten klebrigen Haaren besetzt, welche einen sauren Saft ausscheiden, mit dessen Hülfe die in dem Kessel verendenden Insecten ebenso ausgesogen und verdaut werden, wie es beim Sonnenthau und anderen insectenfressenden Pflanzen der Fall ist (vergl. „Gartenlaube“ 1875, S. 166).
Noch seltsamer sind die Gäste einer ganzen Anzahl anderer Aroideen, für welche die warme Herberge ganz speciell aufgethan
zu sein scheint, nämlich Sumpfschnecken, die den Aronstab von unten her erklettern und daher auch unten an der Blumenscheide eine schmale Spalte, die sich später schließt, zum Eintritte vorfinden. Die Aroideen sind vorzugsweise Bewohner von Sümpfen und feuchten Wäldern, und bei einer größeren Anzahl derselben konnte sich Delpino durch den Augenschein überzeugen, daß ihr Gastzimmer von kleinen Schnecken ausgesucht wird, bei anderen ausländischen Arten unserer Gewächshäuser deutet die ganze Einrichtung auf dieselbe Gastfreundschaft. Auch die Calla unserer Sümpfe bietet den Schnecken in ihrer halboffenen Düte Zuflucht.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_347.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)