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Seite:Die Gartenlaube (1883) 854.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

aus der Stadt und aus der Schanze vor dem Elbbrückenthore völlig ausmarschirt sei, kein Ueberläufer in die Reihen der Feinde aufgenommen werden solle. Mit gutem Grunde hatte Wolffersdorff auf diesem Punkt bestanden. Er wußte, daß unter seinen Truppen viele Ueberläufer und solche waren, die als Kriegsgefangene Dienste genommen hatten, und es war ihm nicht verborgen, was er von einem Theile derselben bei dem Abzug zu erwarten hatte.

So zog denn am 15. August 1759 Morgens 8 Uhr die Besatzung von Torgau mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen aus, ihren Weg über die Elbe nach Wittenberg nehmend. Jenseits der Elbe waren auf der großen Wiese zwei Bataillone Kroaten des österreichischen Generals Luczinsky zur Rechten und Linken zur Parade aufgestellt, zwischen denen hindurch die abziehenden preußischen Truppen marschirten. Ebendort, unweit des Ausganges der Elbschanze, hielt auch Prinz von Stolberg mit seinem Stabe.

Nicht ohne Achtung konnten der Prinz und sein Gefolge die preußischen Truppen vorüberziehen sehen, die so rühmliche Beweise ihres Muthes und ihrer Tapferkeit gegeben hatten.

Der Oberst von Wolffersdorff hatte, während die Tambours den preußischen Grenadiermarsch schlugen, den ersten Zug des Regiments Hessen-Kassel an dem Prinzen Stolberg vorübergeführt und stellte sich nun, nach dem üblichen Gebrauch, neben dem Prinzen auf, um den Vorbeimarsch selbst beobachten zu können. Da wurde dieser plötzlich durch einen schlimmen Vorfall unterbrochen. Als nämlich das Bataillon von Grolmann in die Nähe des Prinzen kam, rief ein Adjutant des Letzteren mit lauter Stimme den Mannschaften zu:

„Wer unter Euch ein Reichskind oder ein Kaiserlicher ist, der trete aus! Seine Durchlaucht geben solchen allen Schutz!“

Auf diesen Zuruf trennten sich die Glieder des zumeist aus österreichischen und anderen Ueberläufern und Gefangenen bestehenden Bataillons; der größte Theil der Mannschaften lief weg und versteckte sich hinter den Palissaden, sowie hinter den am Wege aufgestellten Kroaten oder im Graben unter der Brücke; einige liefen auch nach den am Elbufer liegenden Kähnen.

In dieser schwierigen Situation verlor Wolffersdorff keinen Augenblick die Fassung. Sofort war er an das Bataillon herangesprengt und rief mit Donnerstimme:

„In den Zügen geblieben oder ich lasse Euch niederschießen, Galgen und Rad soll die Ausreißer treffen!“ – eine Drohung, die er sofort damit bekäftigte, daß er ein Pistol aus dem Gürtel riß und dem ihm zunächst Austretenden eine Kugel durch den Kopf jagte.

Inzwischen war der Prinz Stolberg herangekommen und sagte zu dem Oberst mit drohender Stimme, er möge das bleiben lassen, widrigenfalls es nicht gut gehen würde. Ohne ihn jedoch im Geringsten zu beachten, ertheilte Wolffersdorff seinem Adjutanten von Bonin Befehl, dem schon vorbeigezogenen Regimente Hessen–Kassel nachzujagen und demselben die Ordre zu bringen, Halt und Kehrt zu machen und sich zum Schlagen fertig zu halten. Er selbst sprengte zurück zu dem Bataillone Hoffmann, welches dem Grolmann’schen folgte, und commandirte: „Das ganze Bataillon Halt! Front! Fertig!“ Der Artillerie aber sandte er durch einen andern Adjutanten den Befehl, abzuprotzen und mit Kartätschen zu laden. Hierauf ritt er zu dem Prinzen zurück, setzte ihm zornglühenden Gesichts das zweiläufige Pistol, dessen einer Lauf noch geladen war, auf die Brust und rief ihm mit starker Stimme zu:

„Durchlaucht haben die Capitulation gebrochen, somit bin auch ich nicht mehr daran gebunden. Sie sind mein Gefangener, oder ich schieße Sie auf dem Flecke nieder und lasse Ihr ganzes Gefolge von diesem Bataillone niederschießen. Ich werde in die Stadt zurückgehen und von Neuem anfangen, mich zu wehren. Reiten Sie in die Schanze, oder ich lasse anschlagen und Feuer geben.“

Diese Entschlossenheit brachte den ganz verdutzt dreinschauenden Prinzen aus aller Fassung, zumal er sah, wie vor seinen Augen und ganz in seiner Nähe verschiedene Ausreißer von preußischen Husaren und Infanteristen niedergeschossen und niedergehauen wurden. Er machte Einwendungen, mußte aber aus dem Munde des erbitterten Obersten so demüthigende Reden vernehmen, wie sie unter anderen Umständen ein Reichsfürst sich nicht hätte bieten lassen.

Jetzt kam der General Luczinsky, der weiter vorn gehalten, herbeigesprengt, um sich nach der Ursache der eingetretenen Stockung des Zuges zu erkundigen. Er war erstaunt, den Prinzen in einer Lage zu finden, wo derselbe nur zwischen Tod und Gefangenschaft zu wählen hatte. Als er jedoch des Näheren vernommen, was vorgefallen, wandte er sich mit ernstem Ton an den Prinzen und sagte:

„Ei, ei, Durchlaucht, der Oberst hat Recht, was capitulirt ist, muß gehalten werden.“

Wohl oder übel mußte jetzt der Prinz sich der Demüthigung unterziehen, die Ueberläufer aufzufordern, wieder in Reih und Glied zu treten. Mehrere derselben trieb General Luczinsky selbst hinter den Reihen seiner Kroaten hervor. An Todten, Verwundeten und solchen, die in Kähnen über die Elbe entkommen waren, kostete dieser Tumult den Preußen 1 Unterofficier und 67 Mann.

Wegen dieses Zwischenfalles stellte Wolffersdorff neue Zusatzbedingungen zur abgeschlossenen Capitulation, welche ihm den freien Abzug sichern sollten. Auf diese einzugehen, zauderte anfänglich der Prinz von Stolberg. Da indessen Wolffersdorff (der, nebenbei gesagt, auch durch seine riesige Figur imponirte) durch das von ihm mit dem Finger am Drücker dem Prinzen stets vorgehaltene Pistol seinen Worten Nachdruck gab, überdies der Prinz auch wahrnehmen mußte, daß schon mehrere Officiere der Reichsarmee, weil das Hoffmann’sche Bataillon schußfertig stand, die Degen und Säbel losschnallten, um sich gefangen zu geben, so blieb ihm nichts übrig, als alle Punkte der Forderung zu bewilligen. Unbehindert setzte nun Wolffersdorff mit seinen Truppen den Marsch fort und traf am 16. August in Wittenberg ein, wo er nachstehende Cabinetsordre seines Königs vom 14. August 1759 vorfand:

„Mein lieber Obrister v. Wolffersdorff. Da die Russen mich bei Kunersdorff zur Retraite gezwungen, so habt Ihr in Torgau in bestmöglichster Art zu capituliren, doch sorgt dafür, daß Ihr freien Abzug nach Potsdam erhaltet, und meldet Euch, wenn Ihr dorthin gekommen seid. Ich bin Euer wohl affectionirter König

Fürstenwalde, den 14. August 1759. Fr–ch.“     

Unter dem 20. August sandte Wolffersdorff einen eingehenden Bericht über die stattgehabten Ereignisse an den König. Dieser, obwohl in seiner damaligen bedrängten Lage mit Ertheilung von Belobigungen durchaus nicht sehr freigebig, schrieb zurück:

„Mein lieber Obrister v. Wolffersdorff. Ich habe Euer Schreiben vom 20. dieses erhalten, muß Euch Meine ganz besondere Satisfaction über Euren in Torgau während der Belagerung sowohl als auf dem Ausmarsch Eurer unterhabenden Bataillons bezeigten Dienst-Eyffer und Fermeté hierdurch zu erkennen geben. Ihr könnt Euch versichert halten, daß ich Euer unvergessen und auf Eure Avangtage und avancement bedacht sein werde. Ich bin Euer wohl affectionirter König

Fürstenwalde, den 26. August 1759.Frch.“     

Um dieser Meriten willen pardonnirte später der König dem General von Wolffersdorff „die mauvaise Altenaer Geschichte“. Wolffersdorff ist am 6. Mai 1781 als Generallieutenant und Chef eines Infanterieregiments gestorben. Erich Schild.     




Scene aus dem Fuchs- und Hasenleben. (Mit Illustration S. 841) Im Charakter unseres Reineke findet sich vielleicht kein Zug so scharf ausgeprägt, wie Mißtrauen und kaltblütige Vorsicht. Dies zeigt sich auch in seinem anscheinend einseitigen Verhalten bei einer Treibjagd. Während andere kleine Wildarten außer ihrer Schnelligkeit auch noch manche kleine List anwenden und durch Absprünge, Rückwechsel oder seitliches Ausbrechen ihre Verfolger zu täuschen suchen – hält der Fuchs sich mit all diesen kleinlichen Versuchen keine Secunde auf; beim ersten verdächtigen Geräusch ist er unbemerkt auf und davon und sucht vor Allem seinen werthen Balg gänzlich aus dem Bereich seiner Verfolger zu bringen, indem er oft stundenweit entfernt gelegene Zufluchtsstätten auf dem nächsten Wege zu erreichen sucht. Nur in starken Dickungen, in denen die tief gelegenen Baue befindlich, läßt der Fuchs sich wohl eine Zeitlang im Kreise herum jagen, und der anstehende Jäger sieht dann oft mit Verwunderung den Fuchs zuletzt in ruhiger Haltung kaum 20 bis 30 Schritte hinter den laut jagenden Hunden daher kommen. – Seine Flucht ist niemals eine unbedachte, kopflose – ja es ereignet sich gar nicht selten, daß ein flüchtiger Fuchs im Waldtreiben einen in blinder Eile an ihm vorüberstürmenden Hasen mit einem blitzschnellen Satze überrollte und durch einen Biß in’s Genick tödtete. Eine solche der Wirklichkeit abgelauschte Scene bringt unsere Abbildung zur Anschauung. – Reineke ist im Begriff, dem unglücklichen, klagenden Lampe rasch den Garaus zu machen; hinter der Gruppe im Mittelgrund stockt ein zweiter Hase im raschen Lauf und starrt erschrocken nach der Stelle, woher die Klagetöne seines verendenden Cameraden erschallen. – Draußen auf dem freien Felde ist die Jagd noch im vollen Gange – die Schüsse knallen auf allen Seiten, hier und dort stürzen die getroffenen Hasen verendend nieder und zwischen ihnen rennen die noch unverletzten, betäubt durch das Lärmen, hier und dorthin über die schneebedeckte Fläche. – Reineke aber wird nicht lange bei seinem Raube verweilen, sondern schleppt ihn nur wenige Schritt weit abseits, um ihn rasch und oberflächlich in Laub und Schnee zu verscharren und dann über Nacht zu seiner mit Geistesgegenwart und Gewandheit errungenen Beute zurückzukehren.




Zwei Fahrstühle und ein Flügel sind uns, auf unsere Bitte in Nr. 29 der „Gartenlaube“, aus dem Kreise unserer Leser zur Verfügung gestellt worden. Von den beiden Fahrstühlen, die wir Herrn C. Trippler zu Jerichow und Herrn Oberpfarrer G. Schmidt zu Dommitzsch bei Torgau verdanken, ist der eine nach Merseburg, der andere nach Polnisch-Wartenberg an zwei Männer überwiesen worden, von denen der eine rückenmarksleidend ist und der andere seit zehn Jahren die Erquickung, einmal in die frische Luft und unter Gottes freien Himmel zu kommen, entbehren mußte, weil die Kosten eines Fahrstuhls für ihn unerschwinglich waren. „Ist ein solch Vehikel auch ein wehmüthig Weihnachtsgeschenk für den, der es gebrauchen muß, so ist’s doch gewiß doppelt willkommen, wenn man es aus Noth entbehren mußte.“ Diese Bemerkung des einen der beiden wohlthätigen Herren möchten wir Denen an’s Herz legen, welche im Stande sind, mit solchen „wehmüthigen Geschenken“ Leidende zu beglücken.

Den Flügel, ein Werk von Wyszniewsky sen., stellte uns Frau Elise Bloem, geborene Glatz, in Schöneberg bei Berlin, mit der Bemerkung zur Verfügung: „Ehe das Instrument durch Verkauf vielleicht um einen Spottpreis in zweifelhafte Hände geräth, will ich es lieber verschenken, wenn ich einem Würdigen damit eine Freude bereite.“ Wir wiesen dieses Christgeschenk einer armen Lehrerwittwe in Berlin zu, deren beide Söhne, die sich dem Berufe ihres Vaters widmen, den würdigsten Gebrauch von dieser Gabe machen werden.



Inhalt: An unsere Leser. S 837. – Glockenstimmen. Von Stephanie Keyser (Schluß). S. 838. – Schnee- und Eisflora. Ein Bericht von Clarus Sterne. S. 845. – In der Dampfwäscherei. Von St. v. J. S. 848. Mit Illustrationen. S. 848 und 849. – Zwingli der Reformator. Von Paul Lang. S. 850. Mit Portrait. S. 844. – Die Photographie in der alpinen Hochregion. Von J. Beck. S. 852. Mit Abbildungen. S. 853. – Blätter und Blüthen: Noch einmal General Wolffersdorff, der Bedränger Altenas. Von Erich Schild. S. 853. – Scene aus dem Fuchs- und Hasenleben. S. 854. Mit Illustration. S. 841. – Zwei Fahrstühle und ein Flügel. S. 854.


Unter Verantwortlichkeit von Dr.Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede. in Leipzig-
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_854.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2024)