Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Die Photographie in der alpinen Hochregion.
„Der Photograph im Hochgebirge“, dessen Mühen und Leistungen den Gegenstand meiner heutigen Betrachtung bilden, dürfte den wenigsten Lesern der „Gartenlaube“ bekannt sein, und so halte ich es für meine Pflicht, zunächst seine Stellung in der großartigen Alpenwelt näher zu bezeichnen.
Eine komische, in den „Fliegenden“ und anderen Blättern ständige Figur ist der Photograph unter dem schwarzen Tuch mit den drei hölzernen Füßen vorn und seinen zwei höchst eigenen hinten. Er erinnert an die Vierfüßler in einer Maskerade, die man mittelst zweier Zweifüßler künstlich darzustellen sucht, oder an eines der abenteuerlichen Thiere aus der Apokalypse. Der besagte Fünffüßler ist in der Ebene und auf den Höhen bis etwa 2400 Meter häufig anzutreffen. Zeigt aber das Barometer auf 3000 oder sogar auf 4000 Meter über dem Meeresspiegel, so wird er nur durch wenige Exemplare vertreten.
Gewöhnlich ist er von Mitternacht bis 6 Uhr Abends thätig, denn der alpine Photograph und der Gemsjäger haben das gemein, daß sie beide lange vor Morgengrauen auf dem Weg sein müssen, um bald nach Sonnenaufgang die Jagd beginnen zu können. Ein Repräsentant unserer Species muß sich unter glühendem Sonnenbrand auf Firn und Fels, zwischen Gletscherschründen, neben drohenden Lawinen, bei Sturm, Nebel und Schneegestöber weidlich herumplacken, um Matterhorn, Monte Rosa, Jungfrau, Wetterhorn einfach in’s Schiebkästchen zu stecken und im Bild mit den allerkleinsten Details nach Hause zu bringen. Deswegen ist auch für ihn ein leichter Anflug von künstlerischem oder ästhetischem Instinct unerläßlich.
Vor Allem aber gehört zu diesem Handwerke, welches, beiläufig gesagt, nicht nur keinen goldenen Boden hat, sondern eher einem Danaidenfaß gleicht, eine große Dosis Geduld und Zeit, denn oft begegnen wir dem hochalpinen Photographen nicht nur in komischen, sondern in heroisch-komischen Situationen. Es kann vorkommen, daß der unglückliche Zweifüßler dazu gezwungen wird, unter dem Dreifüßler durchzukriechen, um seine Manipulationen zu einem gedeihlichen Ende zu bringen, weil er zwischen Höhe und Absturz an einer einzigen Stelle hat Posto fassen können.
Ein Unwetter droht. Rasch muß abgeprotzt werden, um den aufsteigenden Nebeln zuvor zu kommen. Ist der Standpunkt nur einigermaßen günstig, so darf man nicht lange wählerisch sein. Vom Führer geht das Commando auf den Photographen über. Manipulationen, welche schon auf normalem Terrain große Vorsicht erheischen, müssen jetzt so schnell und so kaltblütig wie möglich erledigt werden unter Strafe des Mißlingens. Der Schnee ist weich, und es ist zu befürchten, daß der Apparat während der Belichtung einsinkt. Die Führer stampfen denselben daher unter ihren wuchtigen Sohlen zusammen, und um gar keine Vorsichtsmaßregel zu vernachlässigen, wird noch das Stativ unten mit Holzscheiben versehen. Die Horizontale gewahrt und Achtung! Denn der Wind spielt dem Rahmen mit dem schwarzen Tuche etwas zu stark mit.
Die gefährlichste Stelle, an welcher ich jemals den photographischen Apparat aufpflanzte, war die Spitze des Wetterhornes, welches ich kühn genug war, zu meinem allerersten Debut zu wählen. Eine Firnscheide von etwa acht Meter Länge und ein bis eineinhalb Meter Breite, gegen Norden mit kurzer, halbgewölbter Böschung, in’s Innere gegen die große Scheidegg abfallend, südlich die Firnwand von 56°, über welche man sich zur Höhe heraufarbeitet, so war das wonnige Plätzchen beschaffen, auf welchem ich mich mit drei Führern und Zubehör nothgedrungen in einer Front niederließ, um meine ersten Sporen zu verdienen.
Allein ich zog den Kürzeren, denn aller praktischen Erfahrung bar, traf ich keine Vorsichtsmaßregeln gegen das langsame Einsinken des Stativs, welches sich rittlings auf zwei steilen Firnhängen befand. Damals dauerte die Belichtung noch vier bis zehn Minuten.
In verflossener Saison mußte ich bei starkem Winde und wogendem Nebel die Berglihütte, Clubhütte ersten und höchsten Ranges auf der großen Landstraße zwischen Grindelwald (Bern) und Eggischhorn (Wallis), von einer acht Tage zuvor gefallenen kolossalen Eis- und Schneelawine aus in’s Objectiv nehmen. Das Terrain war ebenso unbotmäßig wie das Wetter, und doch brachte ich ein unter diesen Umständen befriedigend ausgefallenes Cliché zu Stande. Bei der Hütte angelangt, hatte ich auf drei Seiten die steilsten Felsabstürze, übrigens nicht unschwer zu begehen, und über mir die Felsklippen des Bergli, Summa summarum kaum drei Schritte Distanz, um die Hütte aufzunehmen. Ich ließ mich an’s Seil binden, das Seil an die Hütte und postirte einen Führer, um mich vor jetztlichem „Fehltritt“ zu bewahren.
Deu Clichés merkt man freilich die drei Schritte Distanz an. Mit Conserven, Suppen, Thee, Eiern, Milch etc. reichlich versehen, brachten wir eine sehr comfortable Nacht in diesem niedlichen, wie ein Adlernest an den Felsen angeklebten Boudoir zu; Schneefall, Nebel, Wetterleuchten und Lawinendonner erinnerten mich über Nacht an die Wolfsschlucht im „Freischütz“.
Die Sectionen des Schweizerischen Alpenclubs im Canton Bern sorgen redlich dafür, daß die unter ihrer Obhut befindlichen Schirmhütten möglichst gut eingerichtet werden. So besitzt die eben erwähnte Berglihütte nicht nur ein hübsches Fremdenbuch, sondern auch, in der nämlichen Blechschachtel verwahrt, gute Schreibfedern und ein mit wirklich flüssiger Tinte garnirtes Tintenfaß. Ich kann es mir nun nicht versagen, die Widmung hier anzuführen, welche der mit unerschöpflicher poetischer Ader begabte Bergpfarrer von Grindelwald, Herr G. Strasser, auf die erste Seite des „Fremdenbuches“ gesetzt hat:
„Herren und Führer und wär’s eine Dame,
Schlüpfet nur unter; ich berge euch gut.
Kochet euch Labung und strecket die Glieder;
Seht, wie behaglich im Strohe man ruht.
Kommt ihr von unten her, kommt ihr von oben,
Ist euch gelungen die Fahrt oder nicht,
Wandergenossen von allen Nationen,
Alle empfange ich herzlich und schlicht.
Wollt ihr der ‚Jungfrau‘, dem ‚Mönche‘ zu Leibe
Oder hinüber nur über den Paß –
Einerlei! Werdet hier rüstig aus müde,
Heiter aus mürrisch und trocken aus naß.
Aber dieweil ihr hier sicher geborgen,
Denket ihr Freunde, wie früher es war:
Keine Clubhütten! Nothdürftig gesichert
Unter den Felsen vor Nacht und Gefahr.
Rechnung! Da braucht ihr mir keine zu zahlen;
Rechnet mit Gott, und ich wünsche euch Glück.
Eines doch muß ich vor Allem verlangen:
Lasset mich hübsch in der Ordnung zurück!“
Ich komme nun zu den wenigen Repräsentanten unserer Species.
Es ist nicht Jedermanns Sache, ein derartiges Steckenpferd zu halten und manchmal Wochen lang warten zu müssen, um es nur während einiger schöner, lang ersehnter Tage tüchtig zu reiten. Deswegen können auch Photographen von Fach, wie in früheren Jahren Bisson in Paris und jetzt noch B. Johannes in Partenkirchen, Braun in Dornach etc., nur ausnahmsweise Erfolge in der Hochregion erringen, haben aber dennoch manche schöne und interessante aufzuweisen.
Auch von französischen Alpenclubbisten wurde und wird der photographische Apparat in den Wildnissen der Dauphiné-Alpen und sogar hoch oben an den berüchtigten Felswänden der Meije aufgepflanzt. Es existiren interessante Privatcollectionen, allein meines Wissens wenigstens sind die Dimensionen dieser Aufnahmen, meistentheils 7 X 11 Centimeter, zu klein, um prägnante Bilder zu geben.
Der Virtuos par excellence, dessen photographische Bergsymphonien ich am besten beurtheilen kann, da ich einen für uns Beide sehr ersprießlichen Tauschhandel mit ihm treibe, ist unbedingt Herr Vittorio Sella in Biella (Piemont). Im kräftigsten Alter stehend, reitet er „unser“ Steckenpferd mit italienischem Feuer, das er mit piemontesischer Zähigkeit und mit einem, ich möchte sagen, schwärmerischen Fanatismus verbindet. Sein gestählter Körper, der es ihm erlaubt, sich sogar im Januar bei 16 bis 20 Grad unter Null den größten Strapazen in der Hochregion ungestraft auszusetzen, sowie nicht unerhebliche finanzielle Mittel, denn er bedient sich der neuesten und kostspieligsten Apparate, haben Resultate zu Stande gebracht, deren Erreichung ich noch vor wenigen Jahren als unmöglich betrachtet hätte. Nicht zufrieden, ein vollständiges Panorama in Blättern von 20 zu
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_852.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)