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Seite:Die Gartenlaube (1883) 845.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

zum Rathsschmause. Doch nein: er blieb stehen. Die Rathmannen gingen grüßend und lächelnd von dannen. Er wandte sich und schritt mit dem andern Glockengießer auf die Papiermühle zu. Sein dankbares Herz führte ihn an die alte Heimstätte, daß sie Zeuge seines Glückes sei. So blieb ihr auch das nicht erspart. Sie mußte ihm Heil und Segen wünschen, dieweil ihr das Herz brach. Sie hatte ja um nichts Anderes gefleht; sie wollte den Leidenskelch austrinken.

Drunten wurden Stimmen laut. Dann ging die Stubenthür. Es kam etwas die Treppe heraufgepoltert. Christel stürzte herein. Athemlos und feierlich zu gleicher Zeit stammelte sie den Befehl der Mutter, in die Stube hinab zu kommen. Zaghaft folgte Johanne.

Drunten waren Alle feierlich an den Wänden aufgestellt. Der Vormund neben dem Vetter Hermann’s hatte eine väterlich würdige Miene aufgesetzt; die Frau Henningin hatte geweint, und die Muhme Schmidtin stand ihr zur Seite mit leiser Rede und ermunterndem Ellenbogenstoße; die jüngeren Geschwister schauten gespannt aus dem Winkel hinter dem Ofen.

Und in der Mitte der Stube stand Hermann. Bei seinem Anblicke stockte Johannens Schritt. Ihre Füße trugen sie nicht weiter. Sie blieb stehen mit gesenkten Wimpern, ergeben gefalteten Händen, und jäh wechselten Röthe und Blässe auf ihrem lieblichen Gesichtchen. Eben hub die neue Glocke ihr Probegeläut an, und begleitet von ihren Klängen begann Hermann mit fester Stimme seine Anrede:

„Liebe Jungfer Johanne Henningin! Es ist Euch unverborgen, welche herzinnige Liebe ich je und allewege zu Euch gehegt; aber nur der liebe Gott weiß, welch schweres Herzeleid ich getragen habe, da ich vermeinte, Euer Herz sei so hart wie die Kieselsteine in der Gera. Diesen Glauben hat am verschienenen Tage Eure liebwerthe Frau Muhme – deren Rede Gott segnen wolle! – gar sehr erschüttert. Als ich nun vorhin zwischen Himmel und Erde hing, hab’ ich wahrgenommen, daß Ihr auf Eure Kniee stürztet in Angst um mich und zu unsrem Vater im Himmel riefet für mich, ob auch die Nachbarinnen und Gefreunde die Köpfe schüttelten und sich anstießen. Diese Anzeichen auf einen Ort gestellt, haben mir kund und zu wissen gethan, daß auch in Eurem Herzen ein Fünklein Liebe für mich verborgen ist, wie das Feuer im Kiesling schläft. Dieweil es mir nun unter Gottes gnädigem Beistand gelungen ist, aus einem armen Hiob ein Meister Glockengießer zu werden, habe ich in Ehren und Züchten, wie sich gebühret, bei Eurer liebwerthen Frau Mutter um Euch geworben, und mit ihrem Verlaub frage ich Euch, ob Ihr sothanen –“

Weiter kam er nicht. Johanne hatte aufgeschaut – einen Blick tauschten Beide – da breitete Hermann die Arme aus, und mit plötzlich gebrochener Stimme rief er: „Ach, liebste Hanne!“

Sie aber flog ihm an die Brust. Fest schlang sie beide Arme um seinen Nacken, und die Augen schließend, legte sie ihr schönes Haupt an sein treues Herz, als ginge sie damit für alle Zeit zur Ruhe. Tiefe Stille waltete in der Stube. Nur die hallende Stimme der Maria Magdalena rief fort und fort über die Stadt hinaus, „daß Gott zu Lob sie klingen kann“.

Endlich besann sich die Muhme Schmidtin auf das Schickliche und löste den Bann der Rührung mit einem wohlgesetzten Glückwunsche auf. Und der stattliche Meister Eberhard erklärte der Henning’schen Sippe, wie Gott noch Alles so wohl gemacht hatte. „Ja,“ schloß er, „da die männliche That meines Vetters das Gesindlein zu Boden warf, der Glücksducaten sich wieder bei ihm einstellte, ebneten sich alle Wege. Er trat als Cumpan in das Geschäft und that mir und der Meisterin eine bewegliche Fürstellung, nach welcher ich dieselbe freite. Nur der Glocken wegen; denn um ihre Kochkunst ist es übel bestellt, und mit Buffbohnen soll sie mir nicht wieder kommen. Die Gießhütte von Möhring’s selig Wittwe aber wollen wir in ihren Ehren wohl erhalten.“

„Das ist eine auserlesen feine Historie!“ rief die Schmidtin. „Die Stadt wird sich baß verwundern, so ich sie ihr verkündige. Aber hiebevor muß ich Dir sagen, Hanne: Du machst Alles nach Deinem Kopf, niemalen wie es Stylum ist. Eine Jungfer muß sich zureden lassen, Bedenkzeit erbitten, nimmermehr einem Manne sich an den Hals werfen.“

„Und,“ stimmte Eberhard ein, „ein Mann darf nicht weichherzig sein. Hermann, woher soll der Respect kommen, wenn Du jede Fürstellung, die Du Deiner Frau machst, damit beschließest, daß Du die Arme ausbreitest und rufest: Liebste Hanne! – Bedenke! Mannshand muß oben bleiben.“

Das junge Paar vernahm nichts. Sie sahen sich in die Augen und flüsterten sich zu. Und Johanne hatte dabei die Hände gefaltet wie Kinder, die Abbitte thun für schweres Vergehen. Da ließen die Andern ab von ihnen. Hatte doch Doctor Luther selbst gesagt: „Man soll Brautleute nicht vexiren, wenn sie auch nimmer müde werden, mit einander heimlich zu reden. Sie haben Briefe über alle Rechte und Gewohnheit.“




Schnee- und Eisflora.

Ein Bericht von Carus Sterne.


Unter dem obigen Titel hat Professor Wittrock in Nordenskjöld’s „Studien und Untersuchungen aus seinen Reisen im höchsten Norden“, die vor Kurzem (Stockholm 1883) erschienen sind, eine eingehende Arbeit über die Pflanzen niederster Art veröffentlicht, die ihren gesammten Lebensgang auf der Oberfläche von Schnee und Eis vollenden und der eintönig weißen oder schmutzig-grauen Oberfläche des ewigen Schnees der Polar- und Alpenregionen zu Zeiten einen warmen, rosen- bis scharlachrothen Schimmer oder lebhaft grüne und braune Tönungen ertheilen, sodaß es aussieht, als ob auch diese erstarrten Zonen dann ihren Frühling und ihre Blüthezeit durchlebten. Im Nachfolgenden wollen wir einen kurzen Abriß der neueren Untersuchungen auf diesem Gebiete geben, uns indessen nicht an den Inhalt des obigen Werkes allein binden, sondern auch die älteren Quellen und die neuesten Berichte Nordenskjöld’s von seiner letzten Reise nach Grönland (Sommer 1883) dabei zu Rathe ziehen.

Die neueren Forschungen haben ergeben, daß die Schnee- und Eisflora bedeutend reicher ist, als man vordem glaubte. Man sprach früher eigentlich nur von dem rothen Schnee, welchem Agardh den poetischen Namen der „Schneeblüthe“ beigelegt hatte, und allenfalls noch von dem „grünen Schnee“, den schon der Botaniker Unger untersucht hatte und von welchem Dr. Kjellmann Proben aus Spitzbergen und Dr. Berlin neuerdings Proben von Grönland mitgebracht hat. Eine genauere Untersuchung hat in dem „grünen Schnee“ ungefähr ein Dutzend verschiedener Pflanzenarten nachgewiesen, und zwar nicht blos solche der niedersten Art, sondern auch Moose, freilich nur in ihrem den grünen Fadenalgen ähnlichen Keimzustande, wobei sie obendrein eine viel dürftigere Entwickelung zeigten, als wenn sie auf wärmerer Unterlage wachsen. Die Flora des lockeren Schnees ist überhaupt reicher als die des starren Eises, denn auf dem ersteren wurden bereits gegen vierzig verschiedene Pflanzenarten beobachtet, und ihre Zahl dürfte sich durch die neueste Expedition noch bedeutend vermehren, während auf der Oberfläche des Eises erst zehn verschiedene Pflanzen beobachtet worden sind.

Unter diesen abgehärteten Sonnenkindern muß man aber die echten Schnee- und Eispflanzen, die in weiter Verbreitung ausschließlich auf Schnee und Eis vorkommen, von solchen Pflanzen unterscheiden, die nur gelegentlich auf dem Schnee keimen, wenn ihre feinen Sporen, die bei diesen niederen Pflanzen die Stelle der Samen vertreten, vom Winde herbeigeführt werden, wobei sie zum Theil auf dem Körper der eigentlichen Urbewohner des Schnees schmarotzen oder doch nur in ihrer Gesellschaft auftreten. Die echten Schnee- und Eispflanzen gehören alle zu jenen einzelligen mikroskopischen Algen der niedersten Art, die sich in ungeschlechtlicher Weise durch Theilung vermehren, gewöhnlich in Colonien vorkommen und sich dadurch auszeichnen, daß sie selten die rein grüne, von Chlorophyll abhängige Farbe der anderen Pflanzen, sondern statt dessen rothe, braune, spahngrüne und andere Farben zeigen, weshalb man sie auch als Farbalgen (Phycochromaceen) bezeichnet hat.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 845. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_845.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)