Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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vom Rathhaus herabschritt und alle die Rathmannen mit ihm. Ach, und wie stattlich und schön sah er aus! Ein feines braunes Wams mit so großen blauen Röslein besetzt hatte er an und einen stattlichen aufgeschlagenen Hut in der Hand; denn auf den Kopf brachte er ihn nicht, so viel mußte er grüßen und danken.“
„Hanne, Hanne,“ schrie von weitem athemlos Bastian, „unser Hermann ist da.“
Jetzt theilte sich die Menge, und die Väter der Stadt erschienen, in ihrer Mitte der Glockengießer. Die Hüte flogen ab vor den Rathmannen. Aber nur einen Augenblick wurde es ehrerbietig still; dann stürzte Alt und Jung, Männer und Frauen auf Hermann Zimmermann zu. Um ihn willkommen zu heißen. Johanne wurde gänzlich zurückgedrängt.
Da war er nun, den sie sonst als ihr Eigenthum betrachtet hatte; aber jeder Andere stand ihm näher als sie. Alle die Menschen, die ihn sonst verachtet hatten, drückten ihm nun die Hände, und er schüttelte sie allen. Dann wandte er sich und traf seine Anordnungen für das Abladen der Glocke.
Mit zitternden Knieen ging sie in das Haus. Aus dem Giebelstüblein lugte sie verstohlen hinab. Christel hatte Recht gehabt: er war viel tausendmal schöner geworden. Und würdig und ehrenhaft erschien sein Gebahren. Aber herüber schaute er nicht, und das Herz erstarrte ihr zuletzt zu Stein in der Brust. Und dazu ertönte die Stimme der Frau Henningin: „Hanne, hast Du auch die Hammelkeule schon mit Salbei gespickt, damit wir morgen nicht zu viel zu schaffen haben? Bastian, wo ist das Bier auf? Wenn nur die Bürger ein Einsehen haben und bei der großen Fremdeneinkehr gute Gebräude aufthun und nicht gedenken, die säuerlichen Biere loszuwerden.“
Da nahte ein Mann in langem blauem Mantel, einen mächtigen Hut auf dem Kopfe, trat auf den freien Platz vor der Mühle und schrie nach allen Himmelsrichtungen hin: „Weizenbier ist aufgethan beim Herrn Nicolaus Fischer im großen Christophel.“
„Was, Bierrufer?“ fragte Frau Henningin aus dem Fenster, „der Herr Fischer hat selbst Bier auf?“
„Ja,“ nickte der wichtige Mann, „sein bestes Gebräude hat er aufgethan und gesagt: ,für den morgenden Ehrentag unserer Stadt ist nichts zu gut.’“
Johanne traute ihren Ohren nicht. Auch der Nikel maßte sich an, ihm nahe zu stehen, Freundschaft zu erweisen. Sie allein blieb ausgeschlossen. Und jetzt kam die Muhme Schmidtin athemlos an, wie immer mit Hausschlüssel und Laternchen.
„Daß Gott erbarm! Hat man eine solche Historie je erlebt? Aus dem lumpigen Buben ist ein fürnehmer Glockengießer geworden. Ich sagte es immer: Denkt an mich! aus dem wird noch einmal Etwas! Aber Herr Henning – Gott hab ihn selig! – trug seine spitze Nase zu hoch. Gott verzeih mir die Sünde! Und die Hanne hat ihr Glück verscherzt. Das kommt davon, wenn man immer oben hinaus will.“
„Er wird es uns doch nicht nachtragen?“ klagte Frau Henningin. „Was sollte die Stadt dazu sagen, so er uns nicht beehrte?“
Johanne sah von Einer zur Andern. Und um solchen Geredes willen, dieser armen wandelbaren Menschen wegen hatte sie das brave Herz gekränkt und von sich gestoßen! Die Muhme schlug vor ihrem Blick heimlich ein Kreuz.
Dann fuhr sie fort, auf das Herz der Frau Henningin Sorge zu bürden. „Wenn nur Seine Hochehrwürden morgen nichts versteht bei der Weihe! Sonst bekommt der Teufel Macht über die Glocke und wirft sie beim ersten Läuten zum Thurmfenster hinaus in den nächsten Tümpfel. Dann läutet sie in der Christnacht um zwölf Uhr, und wer sie hört, stirbt in demselben Jahr. Daß Gott erbarm! Wenn sie der Teufel in den Jungfernbrunnen stürzte, und es auch noch hinter Euch spukte, dieweil es schon neben Euch nicht geheuer ist.“
Und so verschien der Tag, und eine sternenhelle Herbstnacht sank herab.
Da kam noch einmal Hermann mit dem älteren Glockengießer, der ihn begleitete, auf den Friedhof und ermahnte die Wachen an der großen Winde und sah nach, ob auch Kirchenpforte und Thurmthür wohl verwahrt seien. Dann sah Hannchen ihn langsam mit dem Anderen von dannen gehen. Nur noch die im Dämmerschein wunderlich wie ein gespenstisches Ungethüm sich gestaltende Winde zeigte sich ihren Augen. Von ihr hing morgen Hermann’s Leben mit ab.
Dem Brauche gemäß mußte der Glockengießer, auf der Glocke stehend, mit himmelan fahren, als einzige Stütze die schwankende Glocke, als einzigen Halt das Glockenseil, als einzigen Beistand seinen Mannesmuth und ein festes Gottvertrauen. Die Geschicklichkeit und die Kenntniß seines Faches allein machten nicht den Meister; er mußte auch ein Mann sein und der Gefahr kühn in das Auge zu sehen vermögen.
Drunten klingelte die Hausthür und die Muhme wandelte eilig den beiden Glockengießern nach. Sie holte sie noch am Weißebach ein. Die Männer wollten sich wohl verkühlen nach der Plage des Tages. Doch also war es nicht beschlossen im Rathe der Muhme.
„Wünsche einen gesegneten Abend! Wer hätte das gedacht? Welche Ehre erlebt die Stadt an Euch, Meister Hermann!“
Hermann gab ihr stumm die Hand. Der Andere aber schwenkte seinen Hut und sprach: „Wie befindet Sie sich, werthe Frau Schmidtin?“
Diese verstauchte sich tief. „Ist mir doch die neue Titulatur im Leibe hinunter gefahren! Das hätte ich nicht gedacht von einem Manne, der nur aus Bittscht gebürtig ist; aber die Welt stehet auf dem Kopf. Danke der gütigen Nachfrage: wohlauf. Und Gesundheit ist immer das Beste. Aber in der Papiermühle sieht es übler aus. Die Mannsleute sind todt, der Aelteste wirft die andere Brut aus dem Nest und setzt sich hinein, die Kinder sind Rangen, die Frau ist schwach wie ein Lappen aus ihrer Lumpenkammer, und die Hanne wird eine alte Jungfer.“
„Die schöne Hanne eine alte Jungfer?“ fragte Eberhard und schaute den jungen Meister mit langem Blick an. Der aber stand mit abgewandtem Gesicht.
„Was sonst?“ lachte die Muhme höhnisch. „Hat sie gehört, als ich ihr sagte: die Freier schüttelt man nicht von den Bäumen? Was hat Fischer’s Nicolaus sich für Mühe gegeben! Was habe ich mit ihrer Mutter auf sie hineingepredigt! Gott bewahre! Bis zum Herrn Superintendenten ist sie gestürmt, worauf dieser der Frau Henningin in der nächsten Beichtrede den Kopf gewaschen hat. Wie viele Andere sind noch abgezogen. Jeglicher mit seinem wohlgeflochtnen Korb, und ich habe von all meiner Mühsal nur Unmutherei gehabt, weiter nichts. Nun geschieht ihr recht für ihre überzwerche Sprödigkeit, daß sie sitzen bleibt. Euch aber, Meister Zimmermann, wünsche ich Glück und Segen zu dem Ehebund mit der Frau Gießerin.“
Eberhard schlug eine wilde Lache auf, daß die Enten, die am Weißebach schliefen, quakend emporfuhren. Selbst die Muhme erschrak.
„Daß Gott erbarm! Ihr brüllt wie ein Wehrwolf. Daran merkt man doch noch, daß Ihr aus Bittscht gebürtig seid. Wünsche den edelgebornen Meistern wohl zu ruhen.“
Sie verstauchte sich, und die Männer gingen nach ihrer Herberge.
In voller Pracht stieg der andere Tag herauf. Zu allen
Thoren strömten Landleute herein, welche die Feierlichkeit mit genießen
wollten. Auf dem Pfeiferstuhl am Rathhaus blies der
Stadtzinkenist am frühen Morgen einen Choral und dann ein
lustig Stücklein, und mit wichtiger Miene erzählten sich die frisch
gewaschenen und geputzten Kinder, daß zu mehrerer Erlustigung
der Rath das große Uhrwerk angelassen habe und Punkt zwölf
Uhr das Wappenthier der Stadt, der Adler, der über der Rathhausuhr
thronte, sein schwarz-goldenes Gefieder schütteln werde.
Die wackeren Bürgers- und Meistersfrauen aber nahmen ihre
wohlgerathenen Bretzeln und Kuchen im Backhaus in Empfang
und vertrauten dem Ofen dafür den Festbraten an; denn heute
wollte keine zu Hause bleiben, sondern jegliche das Aufziehen der
Glocke mit ansehen und von der Festpredigt sich auferbauen lassen.
Lange bevor zur Kirche geläutet wurde, strömten schon die Andächtigen
hinein. Endlich riefen die ehernen Stimmen zum Hause
des Herrn. Die drei Glocken schlugen fröhlich an. Noch fehlte
eine Mittelstimme. Es klang wie eine Frage: kommst du endlich
wieder, dich zu uns zu gesellen?
Die beiden Glockengießer schieden am Kirchenportal mit einem Händedruck. Eberhard nahm seinen Platz an der großen Winde ein. Hermann schritt durch die Pforte. Die Orgel stimmte den Choral an, der Gottesdienst begann. Die Kirche
war zum Erdrücken gefüllt. In den Frauenstühlen reihten sich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_843.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)