Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Hilf du heilige Dreifaltigkeit!“ las er mit stockendem Athem, und da, wo die Jahreszahl stehen sollte, war ein Eckchen herausgeschlagen. Der Glücksducaten des armen Häusleins, das man das Sterbekleid benamst hatte, kehrte zu dem armen Sohn desselben zurück, und wie es sich für ihn geziemte, zog er das Glück am güldnen Bande nach und legte es in die brave tapfere Hand.
Sein Vetter stand neben ihm und konnte seine Erschütterung nicht deuten. „Graut Dir vor dem Kleinod des Merodebruders?“ fragte er.
Hermann schüttelte das Haupt. „Wenn wir Alles von uns thun wollten, was mit Thränen getränkt wurde, es bliebe wahrlich wenig übrig. An uns ist’s, den Unsegen in Segen zu verkehren.“
„Welchen Segen Du gewißlich der Gießhütte zu Gute kommen lassen wirst,“ sagte Eberhard und lugte ihn mißtrauisch an. „Nun kannst Du sie leicht in die Hände bekommen, ohne daß Du Dich in ein fremdes Nest setzest.“
Hermann sah auf. „Das soll auch geschehen,“ sprach er.
Der Wind wehte über die Weizenstoppeln, die Hopfengärten
standen verödet, das gelbe Laub der Linden trieb in den Lustgärten
um Arnstadt. Die Schwalben hatten längst ihre Reise angetreten.
Mit flüchtigem Pfeifen strichen schon die Meisen durch
das fallende Laub der Weide und des Grafgünther-Birnbaumes
im Brunnengärtchen.
Auch Johanne war mit Auszug und Abschied beschäftigt; denn die Jungfer Marzibilla war im Anzug und Zacharias ihr entgegen gereist. In den nächsten Tagen wollte die Mutter in die Wasserstube übersiedeln. Johanne schaffte früh und spät, um den Haushalt wohlbeschickt der Schwäherin übergeben zu können. Obgleich der Abend nahte, stand sie noch in der Küche. Ueber dem Herdfeuer schwebte ein blanker Kessel, und der darin wallende Honig verbreitete einen süßen Duft, während sie ihn mit dem Feimlöffel abschäumte. Die kleinen Blumengeister, deren vergängliche Hüllen längst verblüht und verweht waren, hielten in der heißen Fluth eine flüchtige traumhafte Auferstehung, und die Erinnerungen des jungen Mädchens erhoben sich mit ihnen.
„Eitel Lindenblüthe,“ flüsterte sie für sich. „Also duftete es auf dem Maienfest, da ich zum letzten Mal dort tanzte. Die Finken und Grasmücken schmetterten in den Zweigen, der Zinkenist und der Fiedler spielten auf, die Sonne funkelte durch die blühenden Zweige. Jegliche sprang mit ihrem Liebsten auf dem Anger. Nur ich schloß mein Herz fest zu, ließ den armen Hermann einsam unter den finstren Ulmen stehen und achtete seiner traurigen Augen nicht. Nun zünden sie Alle die Flammen des eignen Herdes an, die damals mit mir tanzten. Bärbchen hat sich ihr Herzgespiel durch Geduld und Nachsicht erstritten. Und Hermann ist des Harrens überdrüssig worden, und hat sich eine Gesponsin erkieset. Nur ich bin einsam geblieben, und meine Jugendfreude ist zerstiebt wie die Lindenblüthe, darin der köstliche Honig wuchs.“
Sie ergriff ein Körbchen, das angefüllt war mit kleinen blau bedufteten Schlehen, und während sie dieselben wie Perlen in den siedenden Honig streute, begleitete sie ihr Thun weiter mit leisen Worten: „Ein harter Reif hat die Früchte schon getroffen und wohl vorbereitet; denn nicht die liebe Sonne, sondern der harte Frost vermag sie zu zeitigen. Also ergeht es auch einem herben Gemüth. Nicht die milde Liebe, sondern Trübsal und Leiden vermögen es mürbe zu machen und für ein holderes Dasein zu reifen – zu spät.“
„Hanne, sprich lieber mit uns als mit dem schwarzen Topf,“ ertönte Benjamin’s feine Stimme, und der Kleine kletterte an Christel’s Hand mühsam über die hohe Schwelle in die Küche.
„Wart, Du darfst den Kessel auslecken,“ versprach sie, goß die eingesottnen Früchte in eine Steinbüchse und stellte sie zum Abkühlen auf das Topfbret. Den Kessel aber setzte sie auf die Erde und gab dem Kleinen sein Löffelchen. Während er die Tröpfchen zusammen schabte und sich einen gelben Bart auf die Rosenwänglein malte, hielt Christel einen Korb voll grüner Zweige und bleicher Herbstblumen ihrer Schwester unter die Augen.
„Ich habe zusammen geschnitten, was noch im Garten grünte und blühte. In der Schule wird der Kranz gewunden, den unsre Glocke morgen beim Aufziehen tragen soll. Sieh, auch ein verspätetes Rosenknöspchen ist dabei. Ein Streifchen Roth leuchtet heraus.“
Eine Thräne trat in Johannens Auge. Solch ein Knöspchen hatte er ihr an dem Tage gegeben, der sie für immer trennte, und sie hatte ihn dafür gescholten.
„Ach Hanne,“ plauderte Christel, während sie Buxbaum, Minze und weiße Astern zierlich in dem Korbe ordnete, „wie ich mich auf das Fest morgen freue! So was ist noch nicht dagewesen. Sechs Bürgersöhne sind abgesandt, jeglicher mit zwei Pferden, und sind dazu die schönsten ausgesucht, und das stattlichste Geschirr ist aufgelegt worden. Der Herr Bürgermeister hat schon Nachricht, daß der liebe Gott die derowegen in allen Kirchen gethanen Fürbitten erhört hat, und das Werk wohl gerathen ist. Auch soll die Frau Glockengießerin sich also billig gezeigt haben, daß die Rathsmannen darob sehr zufrieden sind. – Hast Du auch gehört, was der Rathsbrunnenmeister erzählte? Er ist mit den andern Rathsmannen in Erfurt gewesen wegen des Glockengusses. Da die Meisterin ihre drei Kreuze unter die Geschrift gesetzt hat, ist sie sehr lustig gewesen und hat gemeint: ‚Will’s Gott, sind’s die letzten, die ich zeichne. Das nächste Mal unterschreibt eine geschicktere Hand.‘ Und draußen auf dem Hof hat unser Hermann befohlen wie ein Kriegsoberster, aber der Arnstädter Rathsmannen gar nicht geachtet. Mich nimmt es baß Wunder, daß er so stolz geworden ist. Freilich! Er freit die Frau Glockengießerin, wie sie sagen.“
Sie lugte Johannen bedenklich an. Doch diese starrte regungslos in die verglimmenden Kohlen.
„Die Glocke kommt!“ schrie Bastian in die Küche.
„Die Glocke kommt!“ wiederholte Christel und rannte mit ihm davon.
Benjaminlein aber kam herbei, faßte Johannen an Hand und Schürze und zog sie hinaus. Schon sammelten sich die Menschen um die Liebfrauenkirche, und von fernher tönte der Lärm der heranwälzenden Volkswelle, welche die ankommende Glocke begleitete. Die Kirchenpforte wurde aufgethan, die Tragen, Balken und Hebel wurden gebracht, die nöthig waren, um die Glocke in das Innere der Kirche zu schaffen, von wo aus sie am andern Tage in den Thurm empor gezogen werden sollte. Aus allen Häusern eilten die Insassen herbei; der Platz füllte sich an. Die Letzte hinter der Menschenmauer erwartete Johanne den Zug.
Endlich bog das erste Paar der ziehenden Pferde auf den Kirchplatz ein, und die andern folgten langsam nach. Sie waren alle geschmückt mit grünen Zweigen und die Bürgersöhne, welche sie leiteten, in kostbarem Putz. Gemachsam rollte der Wagen mit der wie helles Gold glänzenden Glocke in den Kreis, welchen die Menschenmenge gebildet hatte. Ein lautes: „Ah!“ ertönte, und Alt und Jung drängte herbei, um den neuen Ankömmling recht genau zu beschauen. Da gewahrte man zierliche Schrift auf der Glocke, und von allen Seiten rief es: „Seht da, welch ein Verslein schmückt unsere Glocke? Legt es uns aus, Herr Küster.“
Der Küster als Schriftkundiger trat herzu und las mit lauter Stimme:
„Von altem Metall bin ich,
Gut und recht wohl mich
Gießen that in Erfurt Hermann Zimmermann
Nun Gott zu Lob ich klingen kann.“
„Hermann Zimmermann?“ murmelte es ringsum. „Das ist ein Arnstädter Name.“
Da arbeitete sich der Rathskämmerer durch die Menschen in den Kreis hinein und rief mit vor Bewegung bebender Stimme: „Mitbürger, unsere Stadt hat Freude und Ehre erlebt an ihrem Kinde. Ja, der Hermann Zimmermann ist ein tüchtiger Glockengießer geworden, und das ist sein Meisterstück, so er für seine liebe Vaterstadt gegossen hat. Prüfet selbst, ob solches wohl gerathen ist.“
Eine Stille des Erstaunens hatte bislang auf Allen gelegen. Nun brach der Jubel los. „Hermann Zimmermann hoch! Allezeit Arnstadt hoch!“ brauste es durch die Luft.
Johanne stand starr und still.
Da gleißte die Glocke wie eitel Gold im Abendsonnenschein. Ihr Wort war wahr geworden. Schöner war sie auferstanden, und der Name des armen Hiob stand für alle Zeiten auf der Glocke, die Arnstadt zum Gottesdienst rief. Nun war es eine Ehre, mit diesem Namen zusammen genannt zu werden.
Jetzt kam mit glühenden Wangen Christel geflogen. „Er
ist da, ich habe ihn gesehen, wie er mit dem Herrn Bürgermeister
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_842.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)