Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Weißt Du etwa eine solche?“ fragte lauernd der Obergesell, und die Falte zwischen den dunklen Brauen wurde noch tiefer. „Laß Dich warnen, das Ehekreuz auf den Rücken zu nehmen und in den Wehestand zu treten. Es muß doch etwas an dem Elend sein; denn kein Stand auf der Welt hat so viele jämmerliche Namen bekommen als der heilige Ehestand.“
„Schämt Euch, Vetter!“ sprach Hermann ernst.
Es war dunkel geworden. Die Leute hatten sich versammelt und harrten des Befehls zum Aufbruch. Aber Hermann stand und spähte in die Weite. In Walthersleben huben plötzlich die Hunde ein wüthendes Gebell an. Dann tönte ein lauter Ruf durch die Nacht, wildes Schreien, dumpfe Schläge, wie gegen Thüren und Thore, und plötzlich krachten Schüsse.
„Das ist ein Ueberfall von Raubgesindel in Walthersleben,“ rief Hermann, seine Axt fassend. „Rasch folgt mir, daß wir zu Hülfe kommen.“
Die Holzhauer eilten ihm nach. Der Vetter zog das lange Messer und schloß sich der wehrhaften Schaar an. In großer Geschwinde trabten sie über frisch gepflügte Aecker und Wiesenraine hinüber, wo der Umriß des Kirchthurmes sich schwarz vom Himmel abzeichnete. Aengstliche Glockenschläge sandte er in die Nacht hinaus. Und jetzt stieg eine rothe Flamme mitten im Dorfe auf.
„Sie haben den Bauern den rothen Hahn auf das Dach gesetzt,“ riefen Hermann’s Leute und verdoppelten ihre Schritte.
Wirres Geschrei, Gebrüll, Gewimmer tönte ihnen entgegen, dazwischen das lustige Soldatenlied:
„Laßt uns uns’ren Tag genießen,
Gott weiß, wo wir morgen sein.“
Nun waren sie am Eingang. Die aufsteigende Flamme verbreitete Tageshelle. In der Dorfgasse kämpften die Bauern, mit Dreschflegel, Sense und Mistgabel bewaffnet, gegen das Raubgesindel: wilde bärtige Gesellen, aus deren verwitterter, zersetzter Kleidung die ehemaligen Kriegsknechte zu erkennen waren. Schiebochsen, wie die Pikeniere genannt wurden, rannten mit ihren Spießen an; zerlumpte Musketiere, denen von ihrer Bewaffnung nichts geblieben war als die Gabel, darauf die Muskete beim Feuern gelegt wurde, schlugen mit den metallenen Hörnern derselben drein; Arkebusiere, jetzo stolz zu Fuß, wie sonst hoch zu Roß, feuerten mit ihren Handrohren dazwischen. Die Bauern wehrten sich vereinzelt und mußten weichen.
Da drangen mit lautem Halloh die Erfurter in das Getümmel. Ihre Aexte und Beile fielen in wuchtigen Schlägen auf die verlotterten Martissöhne nieder, daß diese zu weichen begannen. Hermann sammelte mit lautem Zuruf seine Leute und folgte ihnen auf dem Fuße nach.
Unter der Tanzlinde hatte der Hauptmann der Bande sein Quartier aufgeschlagen. Karren und Lastthiere hielten hier, und die Schnapphähne schleppten heran, was sie zusammen geraubt hatten. Es war ein gräulicher Kerl, aus dessen wüstem Gesicht eine rothe Nase, groß wie eine Gurke, leuchtete. Stiefel, weit wie Bottiche, mit ellenlangen Sporen, schlotterten um seine Beine, ein riesiger Schlapphut war über das einzige Auge gedrückt, ein zweihändiges Schwert klirrte an seiner Seite und sein Gurt war mit Dolchen und Radpistolen gespickt. In den Ohren trug er große Silberringe, und um den Hals in vielen Windungen eine goldene Kette.
„Potz Blut! Schlagt Alles entzwei!“ scharmuzierte er. „Töpfe und Pfannen – das Fleisch mundet am besten am Spieß gebraten. Her mit dem Schnapsfäßchen! Gebt dem Schänkwirth dafür den Schwedentrunk! Der ist viel stärker als jeder Wein der Welt. Will der Bauer nicht sagen, wo er sein Geld versteckt hat, so schraubt seine Daumen statt des Steines auf die Pistole. Sperrt und ziert Euch nicht, ihr Dirnen!“ rief er ein paar Mädchen zu, die gebunden herbeigeschleppt wurden. „Ihr werdet brave Soldatenweiber, fahrt auf dem Wagen und eßt Brod, das Ihr nicht gebaut habt. Wenn’s wieder los geht, seid Ihr bald mit obenan. Die mit dem gelben Zopf behalte ich für mich.“
Um diese Bestie in Menschengestalt sammelten sich die Mausköpfe. Aber die mannhafte Erfurter Schaar focht das gar nicht an. Die Bauern hatten sich zu ihnen gesellt, und hauend und stechend drangen sie auf die Räuber ein. Mit wuchtigen Hieben bahnte Hermann sich den Weg zum Hauptmann.
„Daß Dich Gottes Element schände!“ kollerte das Scheusal. „Willst Du den Soldaten, der für Euch Stubenhocker sich hat todt schlagen lassen, hindern, sein Brod zu nehmen, das Ihr ihm weigert, so soll Dich der Donner sechs Klaftern tief in die Erde schlagen!“
Er richtete seinen Fäustling auf Hermann. Der Schuß fiel. In demselben Augenblicke aber sauste die Axt herab und zerbrach den Schädel des Hauptmanns, daß Blut und Hirn weit herum spritzte.
Ein Jubelruf der Erfurter antwortete auf Hermann’s That, und sein Häuflein, von den Bauern verstärkt, räumte mit den Räubern auf. Quartier wurde nicht gegeben. Das bis auf’s Blut gequälte Landvolk vertilgte das Ungeziefer. Noch eine kurze blutige Arbeit, dann verhallte der letzte Angstschrei, verstummte das letzte Todesröcheln. Der allergewaltigste Rumormeister Tod hatte die wilden Gesellen zahm gemacht.
Die Gemeinde und ihre nachbarlichen Beschützer eilten der Brandstätte zu. Hermann stand schon wieder auf dem Giebel eines lichterloh brennenden Hauses und schlug das qualmende Gebälk nieder.
Als der Morgen graute, war auch die Feuersgefahr getilgt, und nun berief der Schulze die Gemeinde auf den Platz unter der Linde. Einen Pfarrer gab es im Dörflein dermalen nicht. Der letzte war im Krieg umgekommen, ein neuer noch nicht eingesetzt. Aber der Schulmeister kletterte vom Glockenthurm herab, wo er gestürmt hatte. Die Weiber schlichen aus ihren Verstecken, aus dem Gehege, aus Gruben und Winkeln hervor. Die sieghaften Bauern traten in einen Ring. Es waren im Unglück hart gewordene Gestalten, mit finstern Gesichtern, wie aus bräunlichem Holz geschnitzt, mit Fäusten wie Eichenwurzeln.
Wegen der Leichen wurde nicht viel Federlesen gemacht. Wenn dazumal über jeden Erschlagenen ein Protokoll hätte aufgenommen werden sollen, so hätte die Menschheit in lauter Scribenten sich verwandeln müssen. Der Schulze ließ die Todten auflesen und befahl, sie draußen im Feld einzuscharren. Dann wurde die Beute herzu geschafft: Pferde, Wagen, Kleider, Waffen. Es sah aus wie auf einem Krempelmarkt. Da waren Armbänder aus Elenklauen; das entströmende Blut ihrer Träger zeigte, daß sie ihren Zweck, das Blut zu stillen, nicht zu erfüllen vermocht hatten; Medaillen, die als Amulette gegen Hieb und Schuß getragen worden waren, hatten nicht vor dem Dreschflegel geschützt; der Tod findet immer eine Lücke, auch in der festesten Verschanzung; auch Beutel mit Geld, Säcke, in denen geraubte Hühner, Speck und Würste staken.
Beim Schein der noch brennenden Schutthaufen suchten die geplünderten Leute ihr Eigenthum heraus, berieth der Schulze mit den Aeltesten, wie die Geschädigten zu befriedigen seien. Die Abgebrannten erhielten zusammengehämmerte Silbergeräthe; konnten leicht Abendmahlskelche gewesen sein, man fragte nicht darnach: „Noth kennt kein Gebot.“ Den Leuten aus der Gießhütte wurde mit Geld gelohnt. Auch dem Vetter wurde der gewünschte Antheil: ein großer Beutel voll Tobak. Hatte er doch grimmig um sich gestochen wie eine giftige Hornisse. Ein Ringlein mit dunklem Stein bat er sich noch aus.
„Der Achat schützt vor Liebestrunkenheit, ich will ihn einer vielwerthen Frau schenken,“ flüsterte er dem Schulzen zu, der einwilligend nickte.
Hermann saß auf einem verkohlten Pflug. Er war halb ohnmächtig. Die Kugel des Hauptmanns hatte ihn gestreift und das Blut rieselte an der Wange hernieder. Die gerettete Bauerndirne mit dem gelben Zopf band ihm ihr Tüchlein um die Wunde. Da trat der Schulze mit den Bauern zu ihm heran.
„Nehmt unsren Dank, wackrer Gesell,“ sprach er, „und diese güldne Kette von dem Räuberhauptmann als Beute-Antheil. Ihr habt sie redlich verdient, denn ohne Euer kräftiges Dreinschlagen möchte es itzo übel um uns bestellt sein.“
Hermann wollte sie abwehren, aber der Schulze bestand auf seinem Willen. „Es muß wieder Ordnung werden im deutschen Land und Jeder dazu thun, daß Gerechtigkeit geübt wird. Sie haben es in Erfurt nicht der Mühe werth gehalten, eine halbe Karthaune auf der Cyriaxburg zu lösen, da sie unser Feuerzeichen sahen, und auch aus dem sächsischen Amt unten sind uns auf unser Stürmen die Landreiter nicht zu Hülfe gekommen. Nun, wer nicht mit thatet, auch nicht mit rathet. Ihr aber nehmt den wohlverdienten Lohn, den Euch die ganze Gemeinde zubilligt.“
Hermann schaute schier bestürzt auf das Geschmeide, eine güldne Kette, an der allerhand kostbare Münzen hingen. Aber plötzlich blieb sein Blick starr an einem Goldstück haften. Er hob es zum Auge, seine Hand begann zu zittern.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_840.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)