Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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sprach gleich nach der Verlobung mit seinem Sohne ein ernstes Wort und brachte diese Angelegenheit „ein für alle Mal“ in Ordnung. Er sagte ihm einfach: „So und so viel habe ich erspart. Die Hälfte davon gehört Dir als Erbe Deiner Mutter, also von Rechtswegen. Ueber die andere Hälfte kannst Du im Voraus verfügen, wenn’s nöthig werden sollte. Wenn nicht, um so besser – für Dich. Es wäre Thorheit, um ein paar tausend Thaler zu sparen, seinen ganzen Lebensplan zu ändern. Also zehre rubig von dem Deinigen, bis Dir die Wissenschaft auch eine milchende Kuh wird, und wenn Du es das meinige nennen willst, wird mich’s wohl auch nicht beschweren dürfen. Das Schulmeistern laß mir hübsch bleiben.“
Sie bewohnen nun in einer stillen Straße die obere Etage eines kleinen Hauses, zu dem auch ein Gärtchen gehört, und sind überzeugt, daß sie allerliebst eingerichtet sind, da in keinem Raume Bücher oder Kunstsachen fehlen. Sie haben einen reizenden Jungen, der nun drei Jahre alt ist. Zu ihrem Glücke fehlt ihnen nichts. Allenfalls noch ein kleines Mädchen. Aber das kann ja noch kommen.
Aus dieser langen Zeit ist sonst nichts zu berichten, und diese Nachschrift wäre überhaupt überflüssig gewesen, wenn sich nicht ganz kürzlich etwas ereignet hätte, das nicht unterschlagen werden darf.
Als nämlich Willy, wie seine Gewohnheit war, wenn er einen Wagen auf dem Steinpflaster heranrollen hörte, auf den Stuhl kletterte, um aus dem Fenster zu gucken, und Frau Helene, wie ebenfalls ihre Gewohnheit war, eiligst zulief, um sich zum zwanzigsten Mal die Ueberzeugung zu verschaffen, daß auch die Fensterhaken geschlossen seien, erkannte sie vor der Kutsche die beiden Braunen der Frau Consul Berghen.
In dieser oberen Stadtgegend sah man sie sonst nicht leicht, außer etwa spät Abends im Winter, wenn Gesellschaften zu besuchen waren. Was aber besonders merkwürdig war: der Wagen hielt vor der Thür des Hauses und der Diener half gleich darauf der Frau Consul beim Aussteigen.
Kein Zweifel weiter: der Frau Professor war ein Besuch zugedacht. Sie eilte vor Freude hinaus und die halbe Treppe hinab der alten Dame entgegen, die langsam und schwer athmend die Stufen aufwärts stieg.
„Gilt der Besuch wirklich mir?“ fragte Helene, ihr die Hände küssend. „O, das ist freundlich, das ist gütig. – Willy, Du bleibst oben, verstehst Du –? Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten? Die Treppen sind nicht bequem wie in Ihrem Hause. Junge, Du rührst Dich nicht von der Stelle! Auch nicht eine Stufe mehr. Willst Du fallen und Dir den Kopf zerschlagen? Da hätte Papa schön zu schelten. – Ach, er ist noch so klein und gehorcht schon gar nicht mehr, und wild ist er –!“ Sie haschte sein Röckchen. „Da hab’ ich ihn. Nun marsch hinauf, und an der Thür einen tiefen Diener für die Frau Consul gemacht. So – das war recht.“
„Ihr Söhnchen, liebe Helene –“ bemerkte die alte Dame, Willy die Hand bietend. „Mit der Mama hat der Kleine wenig Aehnlichkeit.“
„Ganz des Vaters Ebenbild,“ versicherte die Frau Professor „Nicht wahr, Willy, Du bist Papas Sohn?“
„Aber bei Mama ist’s am besten,“ meinte der Junge, sich an sie schmiegend.
Erst als die Frau Consul auf dem Sopha Platz genommen hatte, fiel es Helene auf, wie sehr sie in diesen Jahren gealtert war. Das dünne weiße Haar zog sich straff unter die Haube, nur knapp die Schläfen deckend, die Stirn zeigte sich tief gefurcht und die Unterlippe hing schlaff von den Mundwinkeln ab. Den Augen fehlte jeder Glanz, und das Kleid saß lose wie bei einer Reconvalescentin, die noch nicht Zeit gehabt hat, ihre Garderobe passend verändern zu lassen.
Es entging ihr nicht, daß Helene sie mit mitleidigen Blicken betrachtete. „Nicht wahr,“ sagte sie, den welken Mund zu einem Lächeln zwingend, „an mir haben die Jahre eine tiefe Spur gelassen? Und doch tragen sie die geringste Schuld. Aber Kummer schwerster Art.… Von dem nahe bevorstehenden traurigen Ereignisse haben Sie wohl schon sprechen gehört?“
„Mein Gott, nein,“ versicherte die junge Frau, „ich weiß von nichts.“
„Die ganze Stadt ist voll davon. Man muß wahrlich in so glücklicher Zurückgezogenheit leben wie Sie, um von diesen widerwärtigen Dingen unberührt zu bleiben. An der Börse ist die Parole ausgegeben: das Haus Berghen wird fallen! Und damit scheint sein Fall in der That unvermeidlich geworden zu sein.“
Helene begriff nicht sogleich, um was es sich handelte. „Das Haus Berghen –“ wiederholte sie halb fragend. „Das ist kaufmännisch gesprochen … ich verstehe wohl. Aber wie kann ein Gerücht –“
„Osterfeld hat sich überall Feinde gemacht. Sie lauern schon lange auf die Gelegenheit, sich für allerhand Unbill zu rächen, und glauben sie nun gefunden zu haben. Man ergreift begierig den nächsten Anlaß, das drückende Joch abzuwerfen, unter das Osterfeld alle die kleineren Concurrenten zu beugen gewußt hat. Er hielt sich in seinen kaufmännischen Speculationen für unfehlbar. Nun folgen Rückschläge, die er mit dem Aufgebote aller Kräfte kaum noch zu pariren im Stande ist. Der Credit des Hauses war schon auf’s Aeußerste angespannt. Da nun von allen Seiten Kündigungen erfolgen, scheint eine Insolvenzerklärung nicht mehr aufgehalten werden zu können. Sie bedeutet den vollständigen Ruin des Geschäfts.“
Die junge Frau war in großer Verlegenheit, was sie antworten sollte. Sie dachte an das Unglück ihres Vaters, meinte aber seiner am wenigsten erwähnen zu dürfen. Die Frau Consul flößte ihr das tiefste Mitleid ein. „Wie sehr bedaure ich Sie!“ sagte sie mit dem Ausdrucke wärmster Theilnahme, indem sie ihr leise die Hand drückte.
Die alte Dame tupfte mit dem Taschentuche über ihr Gesicht hin. „Zu Osterfeld’s Entschuldigung läßt sich nur sagen,“ fuhr sie fort, „daß er auf so gefahrvolle Wege gelenkt ist, weil er es für seine Pflicht hielt, Verluste auszugleichen, die nicht auf Rechnung seiner Geschäftsführung kommen. Der bodenlose Leichtsinn Gräwenstein’s …“
Diese offene Anklage schien sie selbst zu erschrecken. Sie war einen Moment unschlüssig, ob sie dieselbe fortsetzen sollte. „Er verdient keine Schonung,“ sagte sie dann. „Ich will nicht davon sprechen, daß er mich hintergangen hat, indem er mir’s rechtzeitig mitzutheilen unterließ, wie schwere Verbindlichkeiten auf ihm lasteten, und dann nur zum kleinsten Theile aufrichtig war. Gräwenstein ist ein Verschwender – ein Spieler. Immer wieder sind wir für ihn eingetreten – seiner Frau und Kinder wegen. Alle seine Versprechungen erweisen sich schon nach kürzester Zeit werthlos. Er wußte, daß wir ihn nicht fallen lassen konnten, ohne dem Renommée des Hauses zu schaden, und verpfändete unbedenklich sein Ehrenwort, um uns desto dreister die Wahl zu stellen, Schmach und Schande über die Familie zu bringen oder uns zu neuen Opfern bereit zu erklären.“
„Und Vera –?“ fragte Helene schüchtern.
„Sie ist unglaublich schwach gegen ihren Mann gewesen. Es gefiel ihr, in der Gesellschaft eine Rolle spielen zu können – und sie spielte sie mit viel Geschick. Um geschäftliche Angelegenheiten bekümmerte sie sich nicht. Es war nicht möglich, ihr klar zu machen, daß die Quelle, aus welcher ihr Mann schöpfte, auch einmal versiegen könnte. Erst als sie durch einen Zufall dahinter kam, daß er auch … doch das geht nur die Eheleute selbst an. Kürzlich hat sie sich von ihrem Manne getrennt, ist mit ihren Kindern zu mir gezogen. Der Scheidungsproceß ist im Gange. Wie bald wird sie die letzte Stütze verlieren!“
„Arme Frau!“
Die alte Dame schwieg eine Minute lang, traurig vor sich hinstarrend. „Ich weihe Sie in diese trostlosen Verhältnisse ein, liebe Helene,“ nahm sie dann wieder das Wort, „um Ihnen zu zeigen, daß es auch für Sie die höchste Zeit ist, sich zu sichern.“
„Für mich –?“
„Ich habe es vor fünf Jahren schon – bei Osterfeld durchgesetzt, daß Robert’s väterliches Erbtheil –“
„Aber, Frau Consul …“
„Lassen Sie mich ausreden. Ich habe dafür gesorgt, daß Robert’s väterliches Erbtheil aus dem Geschäftsvermögen ausgesondert und selbstständig verwaltet wurde. Ich habe auch später nicht zugelassen, daß diese Masse sich bei den gewagten Geschäften Osterfeld’s betheiligte, oder auch nur theilweise zur Deckung von Verlusten ihre Mittel hergab. Sie ist auch gegenwärtig noch intact. Das Capital nebst den angewachsenen Zinsen …“ Sie öffnete ein Täschchen und zog ein zusammengefaltetes
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_815.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2023)