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Seite:Die Gartenlaube (1883) 812.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

letzteren nur durch seine Besucher verschiedenes lebhaftes Markttreiben. Alle Erfordernisse des Lebens, wie sie die Leute aus dem Volke brauchen, werden da feil geboten; was jedoch diesen Weihnachtsmarkt als solchen charakterisirt, sind die Verkaufsstellen von Krippen und von Süßigkeiten, die auch von den höheren Schichten der Bevölkerung frequentirt werden und die trotz ihrer großen Masse kaum im Stande sind, dem Bedürfniß der zahllosen Käufer zu genügen. Jedes Kind muß zu Weihnachten seine Krippe haben, wo also solche von Jahr zu Jahr nicht aufgehoben werden, da müssen neue gekauft werden. In reicheren Häusern begnügt man sich aber nicht damit allein, es werden vielmehr außerdem noch plastische Bilder der Gegend von Bethlehem, des Geburtshauses Christi angefertigt. Auf diese Bilder wird oft viel Mühe, Geld und Kunst verwandt, denn wer es vermag, läßt auf dem Fußboden eines Zimmers oder auf einem dazu bestimmten Holzgestell Scenerien von mehreren Quadratfuß Größe herstellen. Der bergige, felsige Boden wird mit kleinen Häusern und Hütten, mit Buschwerk und Bäumen, mit beweglichen Figuren von Engeln, Hirten, Vieh aller Art besetzt und mit lebenden Blumen und grünen Zweigen verziert. Diese Figuren und alle anderen Requisiten für solche Darstellungen der Scenerie Bethlehems und der Krippe sind neben manchen Spielsachen ebenfalls in den Marktbuden zu kaufen. Große Nachfrage ist ferner immer für das Fest nach Trommeln und andern Lärminstrumenten.

Die größten Anziehungspunke für alle Marktbesucher sind aber die Verkaufsstellen von Süßigkeiten, und zwar sind es ganz besondere, dieser Festzeit eigene, die man begehrt, nämlich die sogenannten Torones von Alicante, Jigona und anderen Orten der Provinzen Alicante und Murcia. Diese überaus süßen, nur aus Mandeln, Zucker, Citronat, Rosinen bestehenden Kuchen, die in Form von großen dicken Fladen angefertigt werden, von denen der Verkäufer jede gewünschte Quantität abschneidet, werden echt nur in jenen Provinzen angefertigt und von den Fabrikanten selbst zu Weihnachten in alle Theile Spaniens überführt und verkauft. Freilich werden diese in ihrer Zusammensetzung sehr einfachen Kuchen auch nachgemacht, und man liest daher an den meisten bezüglichen Verkaufsstellen neben der Firma die Versicherung, daß die Fabrikate wirklich echt sind. Die Verkäufer tragen ferner die bei den Bauern jener Gegenden gebräuchliche Kleidung, den niedrigen, konisch zulaufenden, mit breiter, senkrecht stehender Krempe versehenen schwarzen Sammethut, schwarze, offene Sammetjacke über einem mehr oder weniger sauberen Hemde, einen rothen Shawl um den Leib, dunkle, meist sammetne, bis zum Knie reichende Beinkleider, weiße Strümpfe und sandalenartige Schuhe.

Die dem Marzspan entsprechenden und die Stelle der Pfefferkuchen vertretenden Torones sind also zunächst für die Weihnachtsfeier unentbehrlich. Es gehört jedoch noch etwas Substantielleres dazu, nämlich Truthühner. Zu Tausenden werden denn auch diese Thiere nach Madrid – wie nach den anderen Städten – gebracht. Auf jedem Platze sieht man sie in großen Massen und daneben Käufer aller Bevölkerungsclassen. Ein „pavo“, womit man den Truthahn bezeichnet, ist so nothwendig zur Feier der Weihnacht, daß die Armen um jene Zeit um das Geld für einen Pavo betteln! Wer die Summe für einen solchen nicht erschwingen kann, sucht wenigstens ein Huhn oder eine Gans zu kaufen.

Andererseits feiert man auch das Fest im Verzehren eines Hasen, und in Ermangelung eines solchen greift man zu Kaninchen. Auch sollen die Katzen gegen den 24. December in großer Zahl auf unerklärliche Weise verschwinden! Daß zu dem Fleische auch die gehörige Quantität Wein gehört, versteht sich von selbst. Neben den Torones sind auch noch Obst und Nüsse und Mandeln und andere Näschereien beliebt. Damit kommen wir denn aber zu dem eigentlichen Charakter, den die spanischen und im Besonderen die Madrider Weihnachten besitzen. Das Fest ist nämlich zu einem Familienfeste geworden, das in Gastmählern gefeiert wird. Die Glieder der Familien vereinigen sich während der Festtage zu gemeinsamem Verzehren ihrer respectiven Pavos, Torones, die durch Valdepeñas, Manzanilla, Tarragona und andere Weine noch schmackhafter gemacht werden.

Wenn unser Künstler auf beistehendem Bilde also einen Theil der Plaza Mayor dargestellt hat, jenes von breiten Arcaden umgebenen mächtigen Platzes, auf dem einst unter dem Vorsitz der kirchlichen und weltlichen obersten Behörden die Autos da fé „gefeiert“ wurden, und wo sich das Marktleben gerade zu Weihnachten am meisten concentrirt, so hat er damit die Weihnachtsfeier sehr trefflich charakterisirt; sie ist ein kulinarisches Fest, zu dem man alle Erfordernisse auf der Plaza Mayor kaufen kann. Nur noch ein „Pavo“ ist von den vielen vorhanden, die mit ihm zur Stadt getrieben wurden, und das Gedränge unter den Käufern entspricht vollkommen der Bewegung, die bis zum Abend des 24. auf allen Markplätzen besteht. Am 25. verkünden Tausende von Vogelfedern, die auf den Straßen liegen, vom Winde durch die Luft entführt werden, das tragische Geschick der zahllosen Vögel, die in den vorhergehenden Tagen die Plätze und Straßen belebten.

Ob aus Nächstenliebe oder aus Eigennutz – das dürfte schwer zu entscheiden sein – wird Toron und Pavo begehrenden armen Leuten die Erwerbung dieser Hochgenüsse, dieser Erfordernisse zur würdigen Feier der Geburt des Heilandes erleichtert durch Lotterien. Auf manchen Plätzen sind neben den Marktbuden auch Tombolas, Glücksräder aufgestellt, deren Inhaber gegen einen Einsatz, der je nach den Gegenständen verschieden ist, einen Pavo, einen Kapaun, ein Huhn, ein Kaninchen etc., oder einen Toron, Datteln, Feigen, Orangen etc. als Gewinn aussetzen. Diese Spielbuden sind stets von Gewinnsüchtigen belagert und ergeben gewiß ein sehr günstiges Resultat für ihre Besitzer. Die Spielwuth ist aber überhaupt vielleicht bei keinem Volke so ausgebildet wie bei den Spaniern, und das ist sehr natürlich, denn von Natur nicht arbeitsam, ziehen sie es vor, durch Glücksspiele statt durch tüchtige Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dieser Charakterzug ist allen Ständen gemein und kleidet sich nur in andere Hüllen. So ist es denn nicht erstaunlich, daß diese „Rifas“, diese eben geschilderten Lotterien um die Weihnachtszeit auch in allen Cafés, nicht allein in denen des Volkes, sondern in den vornehmsten an der „Puerta del Sol“ stattfinden, wo durch die Kellner gegen verhältnißmäßig hohe Einsätze Billets dazu ausgegeben werden. Vor aller Augen werden in einem eigens dazu gefertigten Apparat die Kugeln und Loose vermischt und die Glücksnummern gezogen. Die Betheiligung an diesen Lotterien ist daher auch eine allgemeine und sehr lebhafte.

Der ungeheuren Spielwuth der Spanier entsprechend ist auch die Zahl der großen Geldlotterien sehr beträchtlich, und aus Rücksicht auf das Weihnachtsfest, aus kluger Berechnung vielleicht auch, ist die Hauptziehung der Nationallotterie auf den 24. December angesetzt. Ist das Treiben auf der Puerta del Sol und in den großen Hauptstraßen immer sehr lebhaft, und besonders an Ziehungstagen, so vollends am 24. December, wo die nach vielen Millionen zählenden Summen zur Verloosung gelangen und wo Tausende und Abertausende auf das Erscheinen der Ziehungslisten warten.

Nun aber müssen wir zu unseren kleinen Musikanten übergehen, denn sie vertreten mit ihrem Lärm einen Gebrauch, der vielleicht heidnischen Ursprungs und Madrid eigen ist. Am Abend des Weihnachtsfestes versehen sich nämlich alle Kinder, ja auch Erwachsene mit Trommel-Instrumenten, gelegentlich auch mit Trompeten, um auf ihnen „Musik zu machen“. Das geschieht nicht etwa auf den Straßen allein, sondern auch an allen Zusammenkunftsorten, also hauptsächlich in den Cafés, die bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Selbst in den großen, viele Hunderte von Besuchern fassenden Cafés der Puerta del Sol hört man auf diesen Instrumenten einen Höllenlärm ausführen, der als Feier der Weihnacht bezeichnet wird! Soll er die Freude über die Geburt des Heilandes bekunden oder die Schaaren der Hölle verscheuchen? Weist er zurück auf die Gebräuche des Sonnencultus und will er die winterlichen nächtigen bösen Geister veranlassen, das Sonnenkind herauszugeben, das sie der Welt vorenthalten? Doch lassen wir die Versuche der Deutung dieser sonderbaren Einweihung des Weihnachtsfestes; die wenigsten Madrider werden sich darüber klar sein oder ahnen, daß dieser Lärm vielleicht irgend eine symbolische Bedeutung haben kann; es genügt ihnen, daß dieser Brauch besteht, und sie belustigen sich daran, ihrer stark ausgebildeten Vergnügungssucht einmal im Jahre in dieser etwas unharmonischen, lauten Weise Ausdruck zu verleihen.

So feiert man in Madrid Weihnachten!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_812.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)