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Seite:Die Gartenlaube (1883) 806.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gewordener Flederwisch umher, und Bejaminlein sprach zu ihr: „Garstige Hanne!“ und aß zu ihrer Strafe das Mittagebrod nicht, das sie ihm vorlegte, und es waren doch blau gesottene Dickköpfchen aus der Gera.




Als der Tag sich neigte, wanderte Hermann langsam durch den Steigerwald zurück, den er vor einem Vierteljahr in athemloser Hast herabgekommen war. Die bereiften Zweige der Buchen und Eichen wölbten sich über ihm gleich Kirchenhallen, vom Abendlicht rosig angehaucht. Ueber das abgefallene Laub, das welke Gras des Bodens breitete sich eine glitzernde Decke von feinen Eiskrystallen.

Noch einmal schauten durch eine Lichtung die Schwedenschanze, der enge Mauerring und die hohen Thürme Arnstadts empor, überwallt von Abendnebeln. Aber nicht wie sonst hing Hermanns Auge sehnsüchtig an der Vaterstadt. Nur einen ernsten Scheidegruß warf er hinab auf das allmählich in Grau übergehende Bildlein. Dann setzte er seinen Stab weiter fort über den breiten Bergrücken. Die bemoosten Stämme traten zusammen wie eine feste Wand und schlossen den Rückblick hinter ihm ab.

Endlich lichtete der Wald sich vor ihm. Er stand an der Schlucht, in welcher der Weg hinab gen Erfurt führte. In der Abenddämmerung breitete drunten die große Stadt sich aus. Das Getöse des Menschengewimmels drang wie Meeresbrausen heraus. Es war ein stattliches Bild, das vor ihm lag.

Da dräuten die trutzigen Thürme der Cyriaxburg; der eine trug eine schwedische Kugel in der Mauer, wie ein Held seine Wunde, ohne zu wanken. Hier stieg das steile Dach der Hochschule auf. Waren auch ihre Mauern in den schweren Kriegsläuften schwarz angeräuchert, so leuchtete doch hell der Strahlenkranz, den hochberühmte Männer um sie gewunden hatten. Dort lag auch das graue Augustinerkloster, aus dem der Mann hervorgegangen war, der die Mißbrauche der Kirche ausfegte mit seiner Feder, als sei diese das feurige Schwert eines Cherub, er, der Bettelmönch, der arme Bergmannssohn.

Und in dem weiten Wallringe vertrug sich auch Entgegengesetztes. Neben den evangelischen Kirchen erhob sich der katholische Dom; selbst das Volk Israel hatte da drüben vor der Krämerbrücke ein Heim gefunden.

Die große Landstraße, welche die beiden stolzen Handelsstädte Leipzig und Frankfurt verband, führte durch Erfurt. Vielgereiste, welterfahrene Leute hielten allda Einspruch und Verkehr, und durch die neuen Anschauungen, welche sie mitbrachten, wurden alte Vorurtheile überwunden, hemmende Schranken hinweg geräumt. An solchem Orte vermochte einer tüchtige Kraft sich emporzuarbeiten. Das hatte er schon erfahren, da er das erste Mal dort war, an seinem Vetter und an sich.

Zwischen den stattlichen Bauwerken ragte der hohe Schlot der berühmten Glockengießerei von Möhring’s selig Wittwe auf. Damals, als der kaiserliche General Hatzfeld vor Erfurt lag, hatte eine Karthaunenkugel den Schornstein gestreift und eine Ecke mitgenommen: aber er sandte seine Rauchwölkchen doch eifrig in den abendlichen Himmel, als winke er mit einem weißen Tüchlein. Hermann wußte, daß er mit Freuden wieder aufgenommen wurde, denn wenn auch viele Menschen in der Stadt herumliefen und nach Broderwerb spähten, so mußte das in dreißigjährigem Kriege verlotterte Volk doch erst wieder lernen zu arbeiten. Und das verstand der Arnstädter aus dem Grunde.

Und wie jetzt Stern an Stern am dunkeln Himmel auftauchte, so entzündete sich drunten in der Ebene Licht an Licht. Die kleinen Häuser der Stadtsöldner auf den Wällen erleuchteten sich, einen Funkenring um ein Meer von Feuerpunkten ziehend. Lichtstrahlen schossen darüber aus den Fenstern der Thurmwächter in die Nacht hinaus, und über allem leuchteten die bunten gothischen Fenster des Domes. Da wurde ihm das Herz weit, und mit einem Gefühle, als kehre er in die Heimath zurück, schritt er nach Erfurt hinab.

Es war Martinsabend. Die große Maria Gloriosa erhob ihre mächtige Stimme dem Bischof Martin zu Ehren, und auf den Graten standen die Currendeschüler und sangen: „Eine feste Burg ist unser Gott“, dem Doctor Luther zum Preise. Die feierlichen Klänge stiegen in schöne Harmonie verschmolzen zum gestirnten Himmel auf, den beiden großen Streitern des Herrn als Opfer dargebracht. Und auch die Menschen vertrugen sich; Papist und Lutheraner verzehrten friedsam ihre Martinsgänse und die mit Mus gefüllten Martinshörner und schauten den Kindern zu, die, Stablichter tragend, durch die Straßen liefen und sangen:

„Martin war ein braver Mann,
Zündet tausend Lichter an,
Daß er droben sehen kann,
Was er drunten hat gethan.“

Die Lutheraner kränkte es nicht, daß der Ursprung des Festes katholisch war – der heilige Martin ist Schutzpatron der Trinker, und sein Namenstag wurde darum nach allem Brauch mit Schmaus und Trunk gefeiert – und die Katholiken ärgerten sich nicht, daß die lutherischen Kinder das Verslein allein auf den Reformator bezogen. Die Menschheit war einmal durch Schaden klug und des dreißigjährigen Krieges überdrüssig geworden.

Auch in der Gießerei machte Eberhard heute frühzeitig Feierabend und begab sich dann hinüber nach dem Wohnhause. Dort roch es schon nach dem sich bräunenden Martinsvogel.

„Habt Ihr die Gans auch ordentlich mit Borsdorfer Aepfeln gefüllt und das Kräutlein Beifuß nicht vergessen?“ fragte er scharf die Köchin.

Da klappte hinter ihm die Stubenthür, und der stahlgraue Rock der Meisterin drückte sich durch die Hauspforte. Aber er hatte seitwärts gelugt, mit ein paar Schritten sie erreicht und führte sie nun an der Hand wie ein unartiges Kind in das Geheimstüblein Herrn Möhring’s selig, wo der Zahltisch stand und ein zwerghaft gebauter dickleibiger Schrank, sowie die mit Eisen beschlagene, mit Schlössern behangene Geldtruhe.

„Ich sage Euch, Meisterin: so kommt Ihr noch in Unehre und Verfall,“ hub er an. „Allezeit habt Ihr ein Gemunkel und Geflüster mit den Mägden, und verschwindet, so es Abend wird, aus Eurem Haus. Ich erachte Euch derowegen für einen Quirlequitsch. Wohin wolltet Ihr soeben, da ich Euch erwischte und wieder anher führte in sicheres Gewahrsam? Redet!“

Sie wand sich hin und her: aber seine scharfen rothbraunen Augen ließen sie nicht los. „Zu Isaak in die Judengasse,“ gestand sie endlich, verlegen an ihrer Schürze zupfend.

„Hattet Ihr schon wieder kein Geld?“ schalt er. „Warum kauftet Ihr Euch dann dieses Messer und die silberne Gürtelkette?“ Er strich prüfend über das Geschmeide, das ihre runde Gestalt umschlang, und hob das schöne verzierte Messer empor. „Ist formirt wie ein Türkensäbel und gänzlich ungeziemend für ein Frauenzimmer. Wollt Ihr die großmächtige Judith fürstellen? Laßt das unterwegen. Hab’ ich Euch nicht hundert Mal gesagt: drei Pfennige muß ein rechtschaffener Mensch haben, einen Zehrpfennig, einen Nothpfennig, einen Sparpfennig? Aber Ihr seid ein verthunliches Weib. Wollet Ihr Bankerott spielen? Gelüstet Euch darnach, daß Eure Sachen obrigkeitlich petschiret werden und die Gießerei im Aufstrich verkauft wird? Dann stellt Euch der Rath leichtsinniger Schuldenmacherei halber auf den Pranger, als welcher bei Euch ein absonderlich Spectakul ist, ein Vogelbäuerlein auf langer Stange.“

Sie faßte ihn erschrocken mit beiden Händen und sah ihn mit ihren großen harmlosen Augen hülflos an.

Er wurde dadurch besänftigt. „Nun, noch einmal will ich Euch von dem Pranger erlösen und mit meinem Sparpfennig aushelfen. Den Nothpfennig habt Ihr schon dahin. Doch müßt Ihr mir darüber eine Handschrift geben; denn von einem Weib kann man sich des Schlimmsten versehen.“ Er holte ein Säcklein aus seiner Truhe und zählte ein rundes Sümmchen aus.

„Es ist auch ein Kaisergüntherthaler dabei,“ rühmte er.

Sie kicherte schon wieder sorglos. „Ihr thut so wichtig, daß man meint, ein Arnstädter Thaler sei mehr, denn ein andrer.“

Er nickte mit vielsagendem Blick.

„Daran ist auch etwas. Zum mindesten hält der Thaler in Arnstadt länger vor, als bei Euch. Macht Eure drei Kreuze unter die Schrift. Weiter bringt Ihr Weibsvolk es doch nicht. So. Und nun gestehet, wohin Ihr gestern Abend gequitscht seid.“

Jetzt wandte sie sich gänzlich ab und begann an ihrem Trauring zu drehen.

Er hielt ihre runden Finger mit seiner thönernen Pfeife nieder. „Denkt nicht mir zu entschlüpfen. Wir Arnstädter wischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_806.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2024)