Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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aufhaltsam. Sie warf von sich, was sie in der Hand hielt, stand rasch auf und legte ihre Arme um seinen Hals. „Verlaß mich nicht, Walter,“ rief sie, „ich kann ja nicht leben ohne Dich.“
Dieses leidenschaftliche Geständniß mußte ihm wohl unerwartet kommen. Er erschrak sichtlich, griff über seine Schultern und suchte ihre Hände zu fassen und zu lösen. „Helene –! was ist das?“ sagte er mit unsicherem Tone. „Du –?“
Sie faltete die Hände über seinem Nacken und hinderte ihre Entfernung. „Eine Liebeserklärung –“ rief sie. „Ja, ja –! Nenn’s nur so. Sie wird mich in Deinen Augen ganz erniedrigen – sie wird mich vernichten. Aber sei’s! ich kann nicht anders. Ich löse meine Schuld gegen Dich ein. Wirf fort, was ich Dir biete – das ist Dein Recht. Aber wissen sollst Du heute, daß Du geliebt warst und geliebt bist – keiner, keiner, als Du!“
Sie drückte einen heißen Kuß auf den sprachlosen Mund, ließ rasch die Hände sinken und wandte sich schluchzend ab. „Nun ist’s geschehen,“ sagte sie, „nun mag alles zu Ende sein. Lebe wohl!“
Er streckte die Arme nach ihr aus und schien doch nicht den Muth zu haben, sie zu erfassen. „Helene,“ sagte er, „so ist es wahr, was mein Vater mir zum Trost …“
Sie hatte ihr Mäntelchen ergriffen und eilig um die Schultern gehängt, setzte den Hut auf, der einen Stapel Bücher krönte, und konnte doch mit den bebenden Fingern keine Schleife ziehen. „Ich gehe schon,“ flüsterte sie, „es dauert keine halbe Minute mehr. Du brauchst mir gar nichts zu antworten. Walter – ich weiß, daß ein Mann darauf keine Antwort hat. Nur glauben sollst Du mir, glauben! Und wenn wir einander wiedersehen – wir müssen doch als Verwandte und weil ich in Deines Vaters Hause bin – handle edel! Erinnere mich an diese entsetzliche Stunde nicht. Spare mir das Erröthen.“
Sie eilte nach der Thür.
„Aber so höre mich doch, Du wunderliches Kind,“ bat er. „Du giebst mir das schwerste Räthsel auf, und ich soll’s lösen in solchem Moment der Verwirrung. Das ist unbillig. Wenn ein Gott Dir zu rechter Zeit die Zunge gelöst hätte … Was hast Du meinem Vater vertraut? Er hat mir ein versiegeltes Couvert übergeben und gesagt, was darin sei, habest Du geschrieben, bevor Du Brendeln’s Brief empfangen. Ich solle abwarten, bis Du mich heißen würdest, das Siegel zu brechen. Helene, was bedeutet das Alles? Gieb mir Gewißheit.“
„Brich das Siegel,“ rief sie. „Ich habe vor Dir kein Geheimniß mehr!“
Sie winkte mit der Hand zurück und verließ das Zimmer, die Thür hinter sich zuziehend.
Kaum aber hatte sie zu Hause Onkel Benjamin, der sich eben zum Fortgehen rüstete, durch ihr verstörtes Aussehen gehörig in Schrecken gejagt, als zu seiner größten Verwunderung Walter mit eiligen Schritten eintrat, ohne ihm auch nur einen guten Abend zu bieten, auf Helene zuging, die sich in das Cabinet flüchten wollte, sie stürmisch umarmte und küßte. – „Aber Kinder –“ sagte er ganz verdutzt und wußte nichts weiter vorzubringen.
„Ja, Deine Kinder,“ rief Walter, das Mädchen zu ihm ziehend. „Helene ist nicht mehr die Braut in Trauer – sie ist meine Braut!“
Die Kannenträger.
Das Geschlecht der Kannenträger ist eine der wunderbarsten Erscheinungen in der Pflanzenwelt, die der Laie Jahrzehnte hindurch angestaunt, ohne sie deuten zu können, obwohl die Sachverständigen zuweilen die Erklärung versucht haben, daß die mit Wasser gefüllte Kanne, ein der Pflanze eigenthümliches Anhängsel, nichts weiter sei, als das sonderbar geformte Blatt derselben.
Die Gattung der Kannenträger mit ihren verschiedenen Arten und Abarten bildet eine eigene Familie des Pflanzenreichs, die der Repentheen, und stammt aus Ostindien mit den benachbarten Inseln Borneo, Sumatra und anderen, wo diese Halbsträucher in feuchtem, moorigem Boden wachsen und sich mit der den Schläuchen (Kannen) und den Blättern anhaftenden Ranke an andere Pflanzen anklammern; selbst in unseren Gewächshäusern werden sie sieben bis acht Meter hoch. Ihre ersten Blätter unterscheiden sich kaum von denen anderer Pflanzen; sie sind langgestreckt lanzettförmig, und ihr Mittelnerv verlängert sich mehr oder weniger zu einer Ranke, wie unsere in verkleinertem Maßstabe gegebene Abbildung des Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria L.) zeigt. Aber in dem Maße, in welchem das Wachsthum der Pflanze zunimmt, verlängert sich diese Ranke, ihre Spitze verbreitert sich und wird zu einem Gebilde, das mit einem Kruge viel Aehnlichkeit besitzt. Was diese Aehnlichkeit verstärkt, ist die eigentliche Blattscheibe an dem vorher schon blattartig erweiterten Blattstiele, nämlich der Deckel, welcher die mit einem zierlichen Rande umsäumte Oeffnung verschließt und bei fortschreitendem Wachsthume sich endlich öffnet, ohne sich dann weiter zu verändern. Die von Bréon, einem französischen Reisenden, gemachte Beobachtung, daß der Schlauch, die Kanne von Nepenthes madagascariensis Pois auf Madagascar sich während des Tages so fest schließe, daß der Deckel nur mit Gewalt abgetrennt werden könne, wird von späteren Reisenden geleugnet.
Der Boden der Kanne ist mit einem eigenthümlichen drüsigen Gewebe überzogen, das eine fast reine, meist geschmacklose, zuweilen schwach säuerliche Flüssigkeit absondert, welche am Tage verdunstet und sich während der Nacht wieder ansammelt; sie soll bei der Species von Madagascar den Durst der Reisenden sehr oft gelöscht haben – daher der von Linné gegebene Name Nephenthes, ein Wort, welches Homer und nach ihm Plinius benutzte, nicht um damit eine Pflanze zu bezeichnen, welche, in Wein gethan, hellere Stimmung hervorbringe, sondern ein Kummer und Groll verscheuchendes ägyptisches Zaubermittel, den Sorgenbrecher, welchen (vergleiche Homer’s „Odyssee“ 4, 220[1]) Helena, die liebliche Tochter Kronion’s, ersonnen oder in Aegypten kennen gelernt haben soll. Man bereitete ihn hier aus einer Abkochung von Hanfblättern, woraus ja die Orientalen noch heute ihr Haschisch oder „Molak“ herstellen. Nach Anderen ist aber das ägyptische Bilsenkraut (Hyoscyamus dattura Forsk.) die Nepenthes des Homer, nämlich eine bei Kairo in der Wüste wildwachsende giftige Pflanze, welche die ägyptischen Priester bei ihren religiösen Uebungen benutzten, hauptsächlich um Typhon, die feindliche Gottheit, zu besänftigen.
Man kennt von den Kannenträgern zahlreiche Arten und Abarten,
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„Siehe, sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtniß.
Kostet Einer des Weins, mit dieser Würze gemischet,
Dann benetzet den Tag ihm keine Thräne die Wangen,
Wär’ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,
Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auch
Mit dem Schwerte getödtet, daß seine Augen es sähen.
Siehe, so heilsam war die künstlich bereitete Würze,
Welche Helenen einst die Gemahlin Thon’s Polydamma
In Aegyptos geschenkt.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_802.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2024)