Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Dr. Friedrich Dittes – ein Kämpfer für die Volksschule.
Eine stürmische, gewaltige Zeit rief einst eine Vereinigung in’s Leben, welche für den Hort der deutschen Bildung, für die deutsche Schule, von größter Bedeutung werden sollte. Im Jahre 1848 trat in Eisenach die erste Allgemeine deutsche Lehrerversammlung zusammen. Aus allen Theilen Deutschlands waren Lehrer herbeigekommen, um gegenseitig in lebendiger Rede ihre Gedanken und Meinungen auszutauschen und gemeinschaftlich zu berathen, was der deutschen Schule förderlich und dienlich sei.
Obwohl vielfach geschmäht, theilweise sogar verfolgt, haben diese Versammlungen Großes geleistet, denn ein hoher, idealer Zug belebte dieselben. Mit Recht erklärt daher die „Allgemeine deutsche Lehrerzeitung“, das Organ dieser Vereinigungen, daß der Einfluß der allgemeinen Lehrerversammlungen zwar nicht statistisch nachweisbar sei, daß sie aber unleugbar eine mächtige Wirkung selbst über Deutschlands Grenzen hinaus ausgeübt haben.
„Viel haben sie dazu beigetragen, den Lehrerstand aus dem Dunkel, in das niederdrückende Verhältnisse ihn hüllten, hervorzuziehen, sein Ansehen zu heben und ihm eine achtungswerthe Stellung zu schaffen. Sie haben die Schäden bloßgelegt, an denen die Schule und ihre Lehrer krankten, ohne sich Uebertreibungen und Ausschreitungen, die der unbefangene Beurtheiler hätte mißbilligen müssen, zu Schulden kommen zu lassen. Ihre Forderungen, die sie für die Lehrer und die Schule zu stellen sich verpflichtet fühlten, sind maßvoll gehalten. Sie sind es auch gewesen, die den Riß haben schließen helfen, der die deutschen Volksstämme von einander trennte. Auf diesen Versammlungen reichten sich die Lehrer von Nord und Süd, von Ost und West die Bruderhand.“
Und Vieles von Dem, was die Lehrerversammlungen erstrebten, ist zur That geworden, die neuere Schulgesetzgebung fußt zum großen Theile auf ihren Verhandlungen. Waren es doch auch die besten und tüchtigsten Männer des Lehrerstandes, die hier das Wort ergriffen und aus dem reichen Schatze ihrer Erfahrungen Rath und Belehrung spendeten. Aus der langen Reihe für die deutsche Schule bedeutungsvoller Namen sei hier nur auf Diesterweg und Fröbel, die Hamburger Theodor Hoffmann und Dr. Wichard Lange, Dr. Gräfe aus Kassel, Berthelt aus Dresden, Dr. Schulze aus Gotha, Lüben aus Bremen, Dr. Karl Schmidt aus Köthen, Dr. Friedrich Dittes hingewiesen. Der Letztgenannte, der durch seine Schriften weithin berühmte vormalige Director des Wiener Pädagogiums, war es besonders, der auf der fünfundzwanzigsten Versammlung, welche in der Pfingstwoche dieses Jahres in Bremen tagte, die Aufmerksamkeit aller Theilnehmer im höchsten Grade fesselte. Er verdient es, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden, ist er doch in Oesterreich in den höheren clericalen Regionen einer der bestgehaßten Männer, während er in der Lehrerschaft als einer der ersten Pädagogen der Gegenwart gefeiert wird. Eines seiner Werke, sein Lehrbüch der Psychologie, ist vom Papste verdammt worden und hat doch eine Verbreitung in vielen Tausenden von Exemplaren gefunden. Als es in Wien bekannt wurde, daß Dittes von der Leitung des Lehrerpädagogiums zurücktreten werde, da richteten mehr als tausend Lehrer und Lehrerinnen der Residenz ein Gesuch an den Wiener Gemeinderath, in welchem sie erklärten:
„Nachhaltig sind die Wirkungen, welche Dr. Dittes durch das Pädagogium insbesondere auf die Lehrer Wiens ausübte. Waren seine bahnbrechenden Gedanken auf dem Gebiete des Erziehungs- und Unterrichtswesens durch seine Schriften in die gesammte pädagogische Welt getragen worden, so wirkte sein überzeugungskräftiges Wort um so zündender auf jede Individualität seiner Hörer. Und aus dem Hörsaale pflanzte sich der empfundene Eindruck in das Stillleben der Schulstube fort, segensreich wirkend auf Gemüth und Verstand der Kinder. Die Lehrer fühlten sich erfaßt von jenem Geiste erziehlicher Liebe, es durchglühte sie jene Hoheit der Gesinnung, welche allein den Lehrer zur idealen Auffassung seines Berufes führt.“
Der Lebensgang dieses Mannes, den wir hier auch im Bilde unsern Lesern vorführen, ist der eines Gelehrten, der aus dürftigen Verhältnissen sich mit Anstrengung aller Kräfte emporgearbeitet hat zu wissenschaftlicher Thätigkeit und echter Humanität. Ein solches Leben ist schlicht und einfach; aber es erzieht feste, unbeugsame Charaktere. Schlicht und einfach ist auch Dittes geblieben, von dem aber, was er für gut und recht erkannt, weicht er nicht um die Breite eines Haares ab, und diese Zähigkeit giebt seinem Wesen oft etwas Schroffes und Herbes, was heutzutage um so mehr auffällt, als aalglatte, geschmeidige Charaktere unsere Zeit kennzeichnen. Er sagt in dieser Beziehung: „Wenn man auf sich selbst angewiesen ist, um vorwärts zu kommen, muß man leider oft hartnäckig und widersetzlich sein, weil die Schablonen des Lebens, die Anderen zum Vortheile dienen, dem einsamen Pfadsucher den Weg verlegen. So wird er freilich zur Hartnäckigkeit gezwungen, wenn er vorwärts kommen will, und häufig wird ihm dies als Fehler angerechnet, weil man denkt, er liebe den Kampf um des Kampfes willen. Aber man sollte doch billiger urtheilen. Wer auf seinem Wege Rosen findet, kann leicht mit Jedermann in Frieden leben; wer aber überall durch Dornen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_797.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2024)