Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Der Führer der Partei Alfonso’s, der bedeutendste Staatsmann des zeitgenössischen Spanien, Canovas del Castillo, hatte in der richtigen Erkenntniß, daß, wenn die Hoffnungen auf den nationalen Thronerben sich einst erfüllen sollten, derselbe vor Allem den Einflüssen seiner Mutter entzogen werden müsse, bei dieser es durchgesetzt, daß der Prinz unter der Obhut eines königstreuen Patrioten, des Rechtsanwaltes, späteren Privatsecretärs, Grafen Morphy, dem kaiserlich königlichen Theresianum in Wien zur Erziehung anvertraut wurde. Mit immer wachsendem Interesse und Verständnisse hing hier der königliche Zögling an Morphy’s Mund, wenn dieser ihm von Spaniens alter Größe oder auch von den Sünden seiner Vorfahren, eines Ferdinand VII., einer Maria Luisa, erzählte.
„Wenn ich,“ sagte er mir einmal bei einem meiner Besuche, „in mein Vaterland zurückberufen werde, so muß es meine Hauptaufgabe sein, die Spanier vergessen zu machen, daß ich ein Bourbon bin.“
In sehr kurzer Zeit hatte er die großen Lücken in seinem Wissen ausgefüllt und konnte er mit gutem Erfolge die Prüfung bestehen. Das Glück, daß er den Prüfenden gerade mehrere Fragen zu beantworten hatte, mit denen er sich unmittelbar zuvor beschäftigt, wollte er als gute Vorbedeutung für seine königliche Laufbahn nehmen. Das Deutsche hatte er, wie er überhaupt ein für einen Spanier ungewöhnliches Sprachentalent besitzt, im Laufe eines Jahres schon so gut gelernt, daß er es fließend, mit leichtem Wiener Accente, sprechen konnte. Sein Lieblingsschriftsteller wurde neben Calderon, dessen „Das Leben ein Traum“ er mehrmals im Burgtheater aufführen sah, unser Schiller, sein Lieblingsheld Marquis Posa. Mit idealistischer Begeisterung sprach der damals siebenzehnjährige Jüngling von seiner Mission, mit den alten Ueberlieferungen seines Hauses die modernen Volkswünsche und Grundsätze zu versöhnen.
Er hatte helle Thränen der Rührung vergossen, als er Zeuge des Jubels der Wiener bei der fünſundzwanzigjährigen Feier der Regierung Franz Joseph’s war. Vorderhand freilich hatte er mehr seine Schulbücher als den Thron im Sinne. Als im Frühjahr 1873 Herzog Vexto kam, um ihn nach Spanien zurückzuführen, wo Alles zu seiner Aufnahme bereit sei, mußte ich auf Ersuchen des Prinzen ein Bild vom Stand der Dinge auf der Halbinsel entwerfen, nach welchem das verfrühte Unternehmen nothwendig hätte scheitern müssen. Alfonso selber wollte ein Mann werden, bevor er sich den Spaniern vorstellte; er wollte namentlich neben seiner militärischen Ausbildung, zu welcher er nach England geschickt wurde, die Rechtswissenschaſt gründlich studiren. Die Ereignisse bereiteten diesem Jünglingstraum ein jähes Ende …
Aber: „Sie werden mich ganz so wieder finden, wie Sie mich in Wien gekannt haben,“ diese Worte waren der Gruß des Königs Alfonso XII., als er mich, am Vorabend seiner Hochzeit mit der Erzherzogin Marie Christine, 1879 im Schlosse seiner Väter wieder empfing. Die großen ernsten und freudigen Ereignisse der Zwischenzeit hatten den Jüngling zum Mann gereift; Entschlossenheit sprach aus seinem von dunklem Backenbart eingerahmten Gesicht. Allein ebenso lebhaft und beweglich wie ehedem war die kleine, schlanke Gestalt des Königs; von der alten, herzgewinnenden, natürlichen Liebenswürdigkeit war sein Wesen, und womöglich noch beredter als vor Jahren flossen ihm die Worte vom Munde.
Er schilderte, wie er durch das Pronunciamiento von Sagunt, das ihn zum König ausrief, überrascht wurde und eigentlich als Ausreißer des englischen Heeres, in welchem er diente, nach Spanien kam; wie er mit einem zuchtlosen Heere die carlistische Empörung niederschlagen, wie er bei Lacar sich durch die Flucht vor den Carlisten retten mußte. Er schilderte das Glück, das in seinem einsamen Heim einkehrte, als seine Mutter endlich darein willigte, mit seiner älteren Schwester, der Prinzessin von Asturien, auch seine beiden jüngeren Schwestern, deren Erziehung er als treuer Bruder überwachen wollte, zu ihm ziehen zu lassen. Er gedachte mit Rührung seiner ersten Gemahlin Mercedes, die er dem anfänglichen Widerspruch seiner politischen Rathgeber und ihres eigenen Vaters, seines Oheims, des Herzogs von Montpensier, abgerungen hatte. Und mit aufrichtiger Dankbarkeit sprach er von dem schönen Wien und von Oesterreich, das ihm die neue Lebensgefährtin gesandt und mit allen Eigenschaften ausgestattet, die einem von den Sorgen und Widerwärtigkeiten seiner Stellung ermüdeten Manne im eigenen Heim Erholung schaffen können.
Gern hörte der König, daß dieses Heim, eines der stattlichsten Schlösser Europas, das dem vom Norden Kommenden mit seinen in den blauen Himmel emporragenden weißen Massen, seinen Terrassen und Gärten am Westabhange Madrids, über dem Manzanares einen majestätischen Anblick bietet, nunmehr in seinen inneren Räumlichkeiten den Charakter kalter Pracht mit demjenigen reicher, warmer Behaglichkeit vertauscht habe. Das Madrider Schloß besitzt nämlich einen Schatz von alten und modernen Gobelins, vielleicht so reich und kostbar wie die Hofburg in Wien. Mit diesem edelsten alles Wandschmucks, den man aus den Vorrathskammern hervorgeholt, konnten z. B. wie durch Zauber etliche vierzig kahle Räume des alten Jagdschlosses Karl’s V., Pardo, zum würdigen Empfang der königlichen Braut und ihres zahlreichen Gefolges hergerichtet werden. Der königliche Obersthofmeister erzählte mir auch, daß er einmal von einem Tag auf den andern nicht weniger als 150 Gemächer des Palacio Real zum Empfange des Prinzen von Wales vorbereitet habe, dessen Gefolge durch einen Fehler des Telegraphen als ein dreimal größeres, denn es wirklich war, angemeldet worden.
Die Gemächer, welche dem deutschen Kronprinzen zum Aufenthalt angewiesen sind, liegen über der großen Treppe, einem der berühmtesten Theile des Schlosses, mit den herrlichsten Stufen aus je einem schwarzen und weißen Marmorblocke. Man erzählt, Napoleon I. habe, als er diese Treppe im December 1808 hinanstieg, die Hand auf einen dort ausgehauenen Marmorlöwen gelegt und gesagt: „Endlich habe ich es, dieses heiß verlangte Spanien!“ und dann, zu seinem Bruder Josef sich wendend, beigefügt: „Bruder, Du wirst besser wohnen als ich in den Tuilerien.“
Um den unwillkommenen französischen Gast los zu werden, haben Spanier und Deutsche seiner Zeit lange Jahre hindurch blutig gerungen, und wenn der hohe Sproß des Hohenzollernstammes jetzt die spanische Gastfreundschaft genießt, so ist er nur von Eindrücken umgeben, die für gegenseitige herzliche Sympathie zeugen.
Am häuslichen Herde des Königs Alfonso XII. wird deutsch wie spanisch gesprochen; Königin Marie Christine besitzt das Geheimniß jener echt österreichischen Gastfreundlichkeit, die dem Sohne des Kronprinzen den Aufenthalt in Wien so angenehm zu machen pflegt; die Schwester des Königs, Donna Paz, die glückliche Gemahlin eines deutschen Fürsten, meldet in ihren Briefen von den großen Fortschritten, die sie im Deutschen mache; im Arbeitszimmer des Königs steht unter den Bildern seiner Gemahlin und Wiens auch dasjenige des Kaisers Wilhelm, und herumliegende deutsche Zeitungen und Zeitschriften zeugen für die anhaltende Theilnahme, mit welcher Alfonso XII. die Angelegenheiten Deutschlands und Oesterreichs verfolgt.
Diesen Herbst, als ich den König in der Hofburg, eine Stunde vor seiner Abreise nach Homburg, wiedersah – er war gerade von den Uebungen im Brucker Lager zurückgekommen und trug noch die Uniform des österreichischen Infanterieregiments, dessen Inhaber er ist, – sprach er von seinem leidenschaftlichen Wunsche, das spanische Heer nach dem Vorbilde des österreichischen und deutschen zu discipliniren und auszubilden. Nicht Republikaner und Socialisten glaubt er fürchten zu sollen, sondern nur jene Verderbniß des Heeres, welcher auch der letzte Aufstandsversuch von Badajoz entsprungen, weil etwa zweitausend Officiere, die früheren Pronunciamientos ihre Grade verdanken, die Ruhe nicht länger ertragen und ihrer Abenteuerlust nicht mehr widerstehen können. Deutsche Strammheit und die herzliche Ergebenheit des Oesterreichers gegen seinen obersten Kriegsheren gilt es im spanischen Heerwesen Wurzel fassen zu lassen. Und wenn der jetzt zur Heeresreorganisation berufene Kriegsminister Lopez Dominguez, der den Aufstand von Cartagena besiegt hat, den deutschen Kronprinzen in Barcelona empfängt und diesem letzteren König Alfonso als Ulanenoberst die Honneurs in Madrid macht, dann mag einem Jeden klar werden, daß an der Wachsamkeit und Entschlossenheit des jungen Königs die Anschläge innerer und äußerer Feinde gegen Spaniens Sicherheit und Ruhe zu Schanden werden müssen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_780.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2024)