Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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vor dem Verhängnisse, daß schon die heutige Generation, obwohl ihr die Namen dieser Männer geläufig von den Lippen klingen, vergessen hat, was Dieser oder Jener von ihnen für Berlins Entwickelung gethan und wodurch er sich unvergeßbare Verdienste um dasselbe erworben hat.
Ihre Leiber sind auf dem alten Dorotheenstädtischen Friedhofe eingesargt und liegen dort im Schatten mehr oder minder prächtiger Denkmale, die ihre Grabstätten zieren.
Der Dorotheenstädtische Friedhof weitet sich, im Norden von Berlin, an der Markscheide, welche die laute, dem Gewinne und Genosse rastlos nachjagende Großstadt von jenem Stadttheile trennt, der das „Arbeiterviertel“ genannt wird.
An seinen Mauern branden die letzten Wogen des ewig schäumenden Weltstadtlebens und in die Sabbathsruhe, die über ihm gebreitet liegt, tönen der Hammerschlag und das Dampfgezische aus den Werkstätten des „Arbeiterviertels“.
Von der Chausseestraße, die heute der belebteste Verkehrsweg im Norden von Berlin ist und mit ihren riesigen Fabrikgebäuden, Hunderten von Arbeiterhäusern und vielhöfigen Casernen eine Stadt für sich bildet, führt eine von dichtbelaubten Lindenbäumen überschattete, enge Gasse links ab – zum stillen Berlin, in die Ruhe des Dorotheenstädtischen Friedhofes.
In der Mitte desselben, der mit seinen hängenden Eichen, breitastigen Linden und dichtlaubigen Flieder- und Epheubüschen einem Hain gleicht, ragt ein riesiger Sarkophag, der, in antikem Stil gebaut, die Gebeine des Steinmetzmeisters Johann Joachim Cantian birgt. Verdienst Cantian’s, das ihn der Erinnerung der Nachwelt werth macht, war die Anlage der ersten großen Steinmetzwerkstätte in Berlin und der Ankauf von riesigen Marmor- und Sandsteinblöcken, die er für Jahre in Magazinen aufstapelte. Als später Schinkel seine genialen Bauten auszuführen begann, fand er in den Steinlagereien des Steinmetz Cantian eine fast unversiegbare Quelle des edlen Materials, dessen er zum Schmuck seiner Schöpfungen bedurfte.
Dicht neben dem Sarkophag, unter dem Cantian ruht, erhebt sich ein Obelisk aus rothem Sandstein, in dessen Mitte das Medaillon, in Reliefform, des aus Cleve stammmenden großen Förderers der Berliner Industrie, Peter Christoph Wilhelm Beuth, eingefügt ist. Das ganze gewerbliche Leben in Berlin dankt ihm seine Entwickelung und heutige Blüthe; Beuth ist der Gründer des Gewerbe-Instituts, der Bauschule und Baugewerkschule in Berlin. Als Director der Abtheilung für Handel und Gewerbe hat er im Staatsdienste Hervorragendes gewirkt.
Von der Mitte des Friedhofes laufen zahllose, dunkelbesandete Wege, wie die Falten eines Riesenfächers, gegen die Grüfte und Gräber aus, die sich gleich grünen Wogen auf dunkler See im Todtenfeld wölben.
Ein breiter Weg führt südwärts zum Grab, in dem Karl Friedrich Schinkel eingesargt liegt. Geboren am 13. März 1781 zu Ruppin in der Mark Brandenburg, verlebte Schinkel den größten Theil seines Lebens in Berlin, das er im wahrsten Sinne des Wortes „umgestaltet“ hat. Als Vertreter der streng classischen Richtung im Baufach schuf er im Museum, mit der prächtigen Façade und imponirenden ionischen Säulenhalle, im königlichen Schauspielhaus, im jetzigen Palast des Kaisers, in der Schloßbrücke etc. Bauten, in denen sich die reine Form der griechischen Architektur wiederspiegelte, und wurde der Gründer einer Schule, die noch heute in Berlin und in ganz Deutschland als mustergültig bewundert ist. Er starb am 9. October 1841.
Ueber dem Grabhügel Schinkels steht auf einer Pyramide aus Porphyr ein Genius, der über dem Reliefbild des großen Todten Lorbeer- und Epheukränze hält. Im Sockel der Pyramide sind die Worte eingegraben:
„Was vom Himmel stammt,
Was uns zum Himmel erhebt,
Ist für den Tod zu groß,
Ist für die Erde zu rein!“
Wenige Schritte vom Grabe Schinkel’s entfernt liegt Christian Rauch aus Arolsen begraben. Seine Künstlerlaufbahn begann derselbe als Lehrling eines Töpfers und als Hoflakai des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen; die Stunden, die ihm von seinem Lakaiendienst frei blieben, verbrachte er im Atelier des Bildhauers Schadow. Wilhelm von Humboldt wurde in Rom sein Protektor und bewog den König, Rauch mit der Anfertigung der Statue der Königin Louise zu beauftragen. Rauch hat durch die Schöpfung dieses Steinbildes, welches im Mausoleum zu Charlottenburg aufgestellt ist, seinen Ruf als Bildhauer begründet. Er erschloß, während er in Italien weilte, die Marmorbrüche von Carrara für die deutschen Künstler und bewog den König zum Bau des Museums in Berlin.
Ein Sockel aus rothem Marmor ziert das Grab Rauch’s, in die Mitte desselben ist das Portrait des großen Bildners mit den scharf hervortretenden Zügen in Erz gegossen eingefügt. Zu seinen Füßen steht der Spruch:
- „Der Friede Gottes sei mit ihm!“
Neben Rauch’s Grabstätte erhebt sich ein nischenartiger Bau, dessen in dorischem Stil gehaltenes Dach auf zwei mit korinthischen Knäufen gezierten Säulen ruht. In der Nische steht auf einem dunkelfarbigen Sockel die Büste des Architeken Friedrich August Stüler, der, ein Schüler Schinkel’s und mit Vorliebe dem italienischen Renaissancestil zugethan, als Erbauer der Börse in Frankfurt am Main und des neuen Museums zu Berlin hervorragend bekannt ist. Er starb in den ersten Tagen des März 1865.
Ein schmaler Pfad führt zwischen Hänge-Eschen und Taxusbüschen zum Grabmal seines „Collegen mit dem Richtscheit“, des Baumeisters Johann Heinrich Strack. Das Siegesdenkmal und die Nationalgallerie, sowie die St. Petri-Kirche in Berlin, die er im Laufe der letzten Decennien erbaut hat, haben seinen Namen in Berlin verewigt. Ueber die Grenzen des Weichbilds der Großstadt hinaus ist Strack durch die Entdeckung des Dionysos-Theaters an der Akropolis in Athen bekannt geworden.
Dicht an der Grabstätte Rauch’s ragt, auf vier schlanken Säulen ruhend, ein Tempel aus weißem Marmor, in dessen Mitte auf einem Sockel aus Porphyr die Bronzehüste des Industriellen Johann Karl Borsig steht. Ein Breslauer von Geburt, begründete er in Berlin 1837 eine Maschinenbau-Anstalt, in der er besonders Lokomotiven bauen ließ, die ihm und seinen Fabrikaten einen Weltruf erwarben. Borsig starb als Millionär. Wenn man, vor seinem Grabe stehend, die Blicke in die Ferne erhebt, so sieht man über die Friedhofsmauer die hohen Schlote jener Fabrik emporragen, die Borsig vor dem Oranienburger Thor einst erbaut hat.
Abseits vom Weg, zwischen dichten Epheuranken und Fliederbüschen versteckt, liegt die Grabstätte von Eduard Gans. Er war Professor der Jurisprudenz an der Berliner Universität, der dem modernen Recht eine freie Bahn brach, und hierin ein kritischer Gegner Savigny’s, der die historische Schule repräsentirte. Freisinn und mächtige Beredsamkeit zeichneten Eduard Gans besonders aus. Um ihn gruppirte sich die Schule der Jugend, die sich abwendete von den der Reaktion dienenden Lehrern der Universität. Gans hat den Umschwung nicht erlebt, der mit dem Regierungsantritt des Königs Friedrich Wilhelm IV. eintrat, aber er hat denselben in einer Weise vorausgesehen und verkündet, daß manche seiner Sprüche wie prophetische Offenbarungen ihn überlebten.
Nahe dabei ruht der Verfasser der „Makrobiotik“ (Lebensverlängerungskunde), Christoph Wilhelm von Hufeland, der durch seine Schriften heute noch der populärste deutsche Arzt ist.
Ein einfaches, verwittertes Eisengitter umschließt einen Sockel aus grünschillerndem Syenit, auf dem die nur wenige Fuß hohe Bronzestatue des Bildhauers Johann Gottfried Schadow steht. Am Fuße desselben wölbt sich sein Grabhügel. Schadow ist ein Berliner Kind und in der Bildhauerei der Vertreter einer durchaus realistischen Richtung; nachdem er, aus dem Handwerkslehrling zum Künstler sich emporringend, Bildhauer geworden war, brach er mit den Traditionen der Sculptur aus der Zopfzeit, die als Bekeidung der Statuen nur das antike Gewand gelten ließen, und schuf die Portraitplastik, die der Person, welche sie konterfeit, jenes Kleid giebt, das sie im Leben getragen hat. Nach seiner Ansicht „durchdringt der Charakter einer Persönlichkeit auch dessen Kleid“. In dieser Richtung hat Schadow eine reformatorische Rolle als Bildhauer gespielt. Seine bekanntesten Werke sind die Statue des General Zieten in Berlin, das Luther-Bild in Wittenberg und die Quadriga, welche das Brandenburger Thor zu Berlin krönt.
Am Ende der Friedhofmauer, im Süden, ragt weithin sichtbar eine Pyramide aus Eisenguß. Sie steht über dem Grabe des Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Ein Eichenkranz umrankt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_778.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2023)