Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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glühend erhitztem Gesicht einen Schinken getragen, der keine Bekanntschaft mit dem kräftigen Lauch gemacht hatte. Eberhard ließ sich herab, denselben anzuschneiden; aber noch runzelte er finster die schwarzen Brauen.
„Hast Du endlich einen Vers für die neue Glocke zurechtgeschmiedet?“ brummte er seinem Neffen zu. „Die Ohrdruffer wollen durchaus, daß sie wieder wie die alte Glocke Susanne genannt werde.“
Hermann sah auf mit einem tief traurigen Blick. Und doch spielte es wie ein leises Lächeln um seine Lippen, als er sprach:
„Anna Susanne,
In Arnstadt will ich hange.“
Die Tischgesellschaft saß mit offenem Munde, voran die Meisterin. Der Obergesell lachte so schallend, daß es in dem gewölbten Hauserden widerhallte. „Getreu wie eine Glocke. Aber der Reim paßt nicht. Was sollten die Ohrdruffer sagen, wenn ihre Glocke allezeit nach Arnstadt sich sehnte? Ja, die liebe Jugend! Der gehet der Verstand mit dem Herzen durch. Ich habe derweilen vorgesorgt und ein tapferes Verslein gefunden. Merket auf!
Ich heiße Susanna
Und treibe die Teufel von danna.“
Er sah sich martialisch um. „Nun, gesegnete Mahlzeit! Wir sind gesättiget und wollen gehen.“ Er winkte Hermann zu. Beide sprachen leise ihr Tischgebet und gingen. Die runde Wittib ließ die Hände in den Schooß sinken.
Drüben in der Hinterstube langte Eberhard von der Kannerücke eine Büchse mit dem neuen Kraute Tobak und eine Thonpfeife herunter, stopfte dieselbe und brannte sie an. Er als ungeplagter Junggesell konnte es sich gestatten, das schöne Geld in die Luft zu blasen. Hastig paffend schritt er in der Stube auf und ab, an deren niedriger, von Balken durchzogener Decke der grau gesprenkelte Kopf des stattlichen Mannes fast anstieß, und schalt: „Ich will sie lehren Buffbohnen kochen! Ich bin nicht ihr baufälliger Ehegespons, der nimmer daran dachte, daß Manneshand oben bleiben muß. Schaffe Dir auch eine Pfeife an, Hermann! Sieh, ich rauche nur ihretwegen –“ und wieder deutete er mit dem Daumen hinter sich. „Es sieht großmächtig aus und flößt ihr Respect ein, und wenn sie wider mich mutzen will, mache ich eine Rauchwolke; da muß sie pusten und niesen und kann nicht schwatzen.“ Die Wallung seines Geblütes legte sich allgemach bei diesen Betrachtungen. „Wir wollen in die ,Hohe Lilie’ gehen und einen guten Trunk thun,“ ordnete er heiter gestimmt an. „Es sind Fuhrleute angekommen mit mancherlei Waaren. Mein Tobak geht zu Ende, und ich will sehen, ob ich handelseins werden kann. Im Tobakskrämchen auf der Krämerbrücke muß man den gemalten Brasilianer auf dem Schild mit bezahlen. Ich will Dir auch die Stätte in der Herberge zeigen, wo Doctor Luther, glorreichen Gedächtnisses, gesessen hat, als Junker Jörg verkleidet, und Gustavus Adolphus und noch viele Potentaten.“
Es war ein warmer Sommerabend. Die Sonne sank hinter die Severihöhe hinab, daß die Thürme des Domes und die dicken Rundthürme an der erzbischöflichen Residenz, welche das Krummhaus genannt wurde, wie auf Goldgrund sich abhoben, und die Kreuze auf den drei Spitzen der St. Severikirche gleich Flammen loderten. Lautes Getümmel wogte auf dem Platze, dem die berühmte Herberge der Stadt ihren spitzen Giebel zukehrte. Aus den aufgeschobenen Fenstern schauten zechende Gäste. Die mächtige rundbogige Pforte, neben welcher die aus Schmiede-Eisen zierlich gearbeitete Hohe Lilie aufgerichtet stand, war weit geöffnet. Unter dem Tonnengewölbe des Hausflurs und im langen schmalen Hof hatten die Fuhrleute ihre Wagen geborgen. Krämer lasen aufmerksam die Frachtbriefe, in denen ihre Häringstonnen unter Gottes und des Fuhrmanns Geleit gestellt waren, dem Brauche der frommen Zeit gemäß.
„Feilsche um die Fracht darfst Du net!“ sagte der Frankfurter, welcher einen wohlverpackten Ballen Seidenstoff ablud und mit einem kleinen Mann verhandelte, den der breitkrempige spitze Hut und der gelbe Ringkragen als Juden bezeichneten. „Hab einen fährlichen Weg hinter mir. Im Spessart treiben Schnapphähne Räuberei, und danach hat mich noch im Hessischen der vierbeinige Schelm, der Wolf, molestirt, als welcher wieder drauß auf der Landstraß Mensch und Vieh überfällt.“
„Solcher Fährnisse muß Jeglicher sich gewärtigen, den seine Hantierung aus den Mauern der Stadt hinausführt,“ meinte der Frankenhäuser Salzfuhrmann. „Bin auf meinem Weg Landreitern begegnet, so auf einen Haufen Marodebrüder vigilirten, die Bilzingsleben überfallen und geplündert hatten. Sie erzählten von dem Anführer derselben als von einem baumlangen Kerl mit Silberringen in den Ohren, schier so groß als ein Pflugrad, und einer goldnen Kette, die neunmal um den Hals geht. Vor seinem gräulichen Scharmuzieren hegten die Landreiter eine große Furcht, und sie dankten Gott, als die Bande von selbst aus dem Lande verschwand.“
„Ist ein elendes Land, das deutsche Reich itzo,“ meinte der Straßburger, mit dem Eberhard um ein Päckchen Tobak handelte. „Derweilen sitzen sie anderwärts um so geruhiger. Gab ein Kaufherr, der vor wenigen Monden mit einem Schiff von Basel zu uns kam, die ergötzliche Historie zum besten, wie im Lande Helvetia die Käfer und Engerlinge vor Gericht geladen und inquiriret worden seien, aus was Ursach sie die Felder verwüsteten. Und dieweil sie wegen Kleinheit ihrer Gestalt fast unverantwortlich sind, hat ein Rechtskundiger für sie gesprochen und ihnen auch wirklich ein Stück Feld zur Nutzung erstritten. Müssen in selbigem Lande die Richter wenig zu schaffen haben.“
„Nu eben,“ nickte der Fuhrmann aus Leipzig, der Bücherballen an den Buchhalter vom Anger ablieferte. „Da schlägt sich unser guter Professor und Hofrath Carpzovius mit anderen Missethätern herum. Der hat zwanzigtausend Todesurtheile gegen Räuber, Mörder und Hexen gefällt und nach jeglichem das heilige Abendmahl genommen.“
Der Buchhalter öffnete einen Bücherpacken. „Seht,“ sprach er, „dieser Folioband ist sein Inquisitionsproceß. Mit welch schönen Bildern von Galgen, Rad und Scheiterhaufen ist er verziert! Das ist etwas für den Herrn Rathssyndicus. Und da sind Flugschriften mit fürtrefflichen Rathschlägen, wie man sich die Schweden vom Halse schaffen kann, und hier eine Verwarnung für das Volk vor den Schlaraffenkleidern und Affengeberden der Franzosen, als welche sich überall mausig machen.“
Aus dem stillen Berlin.
Wie viel Lobendes ist in den letzten Jahren über Berlin und dessen Entwickelung zur Großstadt geschrieben worden! Und mit Recht; denn Berlin ist nicht allein die Metropole des neuen deutschen Reiches, sondern auch der Ausgangs- und Sammelpunkt des geistigen, socialen und industriellen Lebens von ganz Deutschland.
Nur wenige Jahrzehnte sind nothwendig gewesen, um die Königsstadt an der Spree in eine Weltstadt umzuwandeln. Wie ein Schmetterling seinen grauen Puppensarg, hat sie den Gürtel ihrer morschen Ringmauern, zerfallenden Thore und mit Sumpfwasser gefüllten Gräben, der die Straßen und Plätze eng und verdüsternd umschloß, zersprengt und ist im Laufe von fünfzig Jahren im Schmucke monumentaler Bauten, stilvoller Villen und künstlerisch gelungener Denkmale erschienen. Diese glückliche Metamorphose dankt Berlin nicht allein der goldenen Gunst politischer Verhältnisse und großer Siege, durch die es die Residenz des Kaisers von Deutschland geworden ist, sondern auch einer auserlesenen Schaar von Männern, die, in seinen Mauern lebend, ihr volles Wissen und Können eingesetzt haben, um die im Auslande wegen ihrer Schlichtheit und ihres Mangels an Naturschönheit vielverspottete Spreestadt zu dem umzugestalten, was sie heute ist, zur von Fremden vielbesuchten, bewunderten Weltstadt.
Wie Wenige gedenken heute, inmitten des blitzhastigen Getriebes der Großstadt, deren Signatur das „Schnell vergessen“ ist, dieser Männer, die den Keim zur geistigen, industriellen und baulichen Blüthe von Berlin gesäet haben! Die Meisten derselben stehen zwar in Standbildern und Büsten verewigt auf den Plätzen und Straßen der Stadt; aber diese Ehre schützt sie nicht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_776.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2024)