Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Schürze um uns herum trippeln, solches nur einsehen und sich friedsam fügen wollten. Dann würde Alles zusammenklingen auf unserer Erdenwallfahrt wie Klöppel und Glocke. Aber statt dessen queruliren sie gegen unsere wohlbedachten Anschläge und Verordnungen. Ich habe sie kennen lernen. So mein guter seliger Meister gerade keinen Pfennig im Säckel hatte, wollte sie“ – er deutete mit dem Daumen hinter sich wie immer, wenn er von der Gießerin sprach, als sei sie allezeit gegenwärtig, aber stets respektvoll nur in seinem Gefolge – „wollte sie in die Fingerlingsgasse gehen und an jeden Finger ein Ringlein sich kaufen. Und wenn er am grünen Montag zum Innungsfest mit Schmieden, Schlössern und Sporern an den Steiger ziehen und auch einmal sich erlustiren wollte, legte sie sich in’s Bett und klagte, sie sei unpaß. Beim Anschauen solchen Ungeschicks habe ich allen Liebes- und Ehegedanken Valet gesagt und mein Herz gänzlich an die Glocken gehangen. Thue also! Sie vermögen wohl eine Frau zu ersetzen. Sie rufen mich zum Morgengebet, zum Mittagsmahl und zur Ruhe. Und was die Schrullen betrifft, sind sie echte Weiberleute. Wenn sie an einen Ort sollen, dahin sie kein Begehren tragen, machen sie sich schwer. Sie stürzen sich lieber in’s Wasser, und sollten sie gleich eine Brücke zerbrechen, als daß sie sich fügen. So ihnen aber ihr Wille geschieht, werden sie federleicht. Wenn sie nicht wollen, thun sie den Mund nicht auf, wird ihnen aber Stillschweigen auferlegt, und sie meinen ein Recht zum Reden zu haben, schlagen sie an, dem Kirchenvorstand und der Geistlichkeit zum Verdruß, wie solches bei unehrlichen Begräbnissen fürgekommen ist. Ja, es ist traurig zu sagen: sie zerplatzen zuweilen vor Widerstandsgeist. Es giebt auch eine Glocke im Lande Arragonia, welche behauptet, Alles vorher zu wissen, und durch ihr Anschlagen die Leute ängstigt. Man sagt, es sei einer der Silberlinge in sie geschmolzen, um die unser Herr und Heiland verkauft ward, und ein Engel ihr Pathe gewesen. Aber glaub’ es nicht: Es ist ihre Weiberart. Rufen selbige nicht allezeit: ich hab’ es voraus gesagt? Und zu Eisenach auf St. Georg haben sie einen Unhold, der nur ein kläglich Geheul von sich giebt. Es geht die Rede, die Glocke sei aus schlechtem Metall, aus bleiernen und eisernen Töpfen und Flaschen gegossen worden, welche die Eisenacher auf ihrem Kriegszug in Meißen erbeuteten, aber ich fürchte: sie ist ein nachtrotzendes Weib, das ihren Eroberern die Widerpart hält.“
„Vielleicht verschmähte der Himmel den Ruf von einer so blutigen Zunge und lieh ihr den unholden Klang,“ bemerkte Hermann.
Aber Eberhard schüttelte überlegen den Kopf. „Da bist Du sehr auf dem Holzwege. Im Himmel ist über nichts so große Freude als über einen bekehrten Sünder. – Die Maria Gloriosa aber auf dem Dom, vor deren Hauch Alles erbebt, ist wie eine große Königin, zum Exempel die Christine von Schweden, die leider Gottes auch die Hosen an hat. Und die Lügenglocke auf der Hochstraße von Gent, die einmal zu früh, einmal zu spät läutet, und die Leute vexirt, ist wie die Muhme Schmidtin in Arnstadt. Die böse Zunge hat einstmals behauptet, ich sei ihr als junger Bursch nachgelaufen und sei doch nur aus Bittstedt gebürtig, wofür ihr von Rechtswegen zudictirt werden müßte, den Lästerstein zu tragen. – Nun sage selbst: Mehr hast Du auch nicht an einer Frau.“
Hermann lächelte trübe. Der Ohm meinte es gut; aber wie war es möglich, das heiß klopfende Herz mit solchen Fürstellungen einzulullen? So sehr er an den Glocken hing – schöner als der röthliche Glanz des heiligen Geräthes waren die rothen Lichter, die über Hannchen’s braunes Haar liefen, und klingender und lieblicher als die hellste Glocke tönte ihre Stimme in seiner Erinnerung, wie sie in früheren Tagen ihre ungerechte Sippe von ihm scheuchte gleich bösen Geistern.
Auch Eberhard’s Gedanken waren nicht gänzlich von den Glocken erfüllt. Er schaute durch die weitgeöffnete Fensterluke hinaus in den Hof. Dort scharwenzelte in kurz geschürztem Rock und aufgestreiften Aermeln die runde Wittib umher und nahm getrocknete Wäsche von den Leinen. Sorgfältig legte sie die Handquehlen und Bettlaken zusammen, indem sie die langen Tücher unter das weiße Doppelkinn klemmte. Eberhard folgte ihrem Blick, der zu Hermann herüberblinzelte.
„Ich glaube gar! Verdammtes Weibervolk!“ knarbelte er zwischen den Zähnen. „Wenn man denkt, man hat sie am Kopf, hat man sie am Schwanz. Laß mich einmal an’s Fenster, Hermann.“ Er schob seine breiten Schultern vor den jungen Mann und lachte grimmig, als sie, ein Bündel Wäsche in den rosigen, mit Grübchen gezierten Armen, durch die rundbogige Hausthür verschwand. Mißtrauisch lugte er seinen Vetter an. Aber der hatte die Augen niedergeschlagen und summte schwermüthig das Volkslied:
„Ach Scheiden, immer Scheiden!
Und wer hat dich erdacht?
Du hast mein junges Herze
Aus Freud in Trauer bracht.“
Er hatte sich verändert in den vier Wochen. Das heitere Lachen war von den Lippen verschwunden und über den Augenbrauen lag ein düsterer Zug. Eberhard beruhigte sich. Es hatte keine Noth mit dem jungen Vetter und der Wittib.
Da ertönte das Schellen zur Abendmahlzeit und machte dem Sinniren der beiden Männer ein Ende. Die Leute stellten die Arbeit ein. Eberhard verschloß eigenhändig das Gießhaus und Beide begaben sich nach ihrer Wohnung im Hinterhaus, um von dem Werkeltagsstaub sich zu säubern. Stattlich gingen sie aus ihrem Losament hervor, wie ein älterer und jüngerer Bruder zu schauen, in sauberen Tuchröcken, die Besätze und Schlingen von farbigen Botten zeigten, die hohen Stiefeln mit Scharlachtuch ausgeschlagen. Sie schritten über den Hof, in welchem die rußige Gießhütte mit mächtigem Schornstein sich erhob, hinüber nach dem Wohnhaus.
Alles sah verräuchert und verstäubt aus: das Pflaster des Bodens, die Wände des Hauses, sogar die runde Meerzwiebel auf dem Fensterbrett vor der Stube der Meisterin. Nur sie selbst war frisch. Sie stand auf der Schwelle, den Fuß im aufgeklappten Schuh weit vorgesetzt, daß man sehen konnte, der Strumpf saß straff auf wie das Fell einer Trommel. Die gesteifte Haube war mit einem Silberpfeil auf die blonden Haare festgesteckt, und das rothwangige Gesicht ruhte auf der mächtigen gefältelten Halskrause wie ein wohlgerathener Kloß auf zierlicher Schüssel.
Der Obergesell stapfte männlich auf sie zu. Aber sie sah zerstreut an ihm vorüber, seinem Neffen entgegen. Da stieg dem alten Junggesellen das Blut in die Stirn.
„Ihr thätet wohl, ein demüthiges Gebet zu sprechen, auf daß der Guß der Glocke, den wir vorbereiten, wohl gelingen möge, statt daß Ihr Euch hoffährtig aufwichst wie eine Frau Potiphar.“
Wie die Kugel aus einem Arkebusierrohr zischte das Wort zu ihr hin. Sie schrak sichtlich zusammen, trat in den weiten Hauserden zurück, wo die Tafel gedeckt war, und schritt nach ihrem Ehrenstuhl am oberen Ende derselben.
Eberhard folgte ihr und nahm zu ihrer Rechten seinen Platz ein. Im nächsten Augenblick schlug er mit beiden Fäusten auf seine Kniee; sie beliebte eine Aenderung in der Reihenfolge der Tischgenossen zu machen. Zu ihrer Linken winkte sie statt des zweiten Gesellen Hermann heran, indem sie ein duckmäuseriges Gesicht machte und sprach: „Ihr sagt doch selbst, werther Obergesell, daß er lesen und schreiben kann und Euch im Nothfall zu vertreten vermag.“
Die übrigen Leute reihten sich an. Die Mägde trugen die Schüsseln auf. Es gab Buffbohnen mit Speck. Sie begann vorzulegen. Auch hier wurde Hermann’s Schüssel wohl gefüllt. Es zuckte schier spöttisch um seine Lippen: für seinen Magen waren die Frauen redlich besorgt. Auf des Vetters Stirn aber stand ein gräuliches Donnerwetter. Er schürzte verächtlich die Lippen.
Als die Meisterin ihm seine Schüssel reichte, sprach er hochfahrend: „Dieses Gericht wissen wir Arnstädter nicht zu schätzen. Ich will nicht sagen, welche Gottescreatur wir in unserer guten Stadt mit dieser Feldfrucht speisen. Wir ziehen eine vernünftige Wurst vor.“
Sie löste den Schlüsselbund vom Gürtel und ging nach der Speisekammer, von wo sie mit einer großen Wurst zurückkehrte.
Eberhard hob die Nase. „Seit wir Arnstädter Anno Dazumal – es ist dreihundert Jahre her – unter des barmherzigen Gottes Beistand die Juden in Arnstadt gänzlich vertilgt haben, ist für Knoblauch kein Platz mehr in unserer ehrenfesten Stadt.“
Sie lief abermals fort, erstieg abermals die hohe Leiter nach
dem Wursthaken, roch an allen Würsten und brachte endlich mit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_775.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)