Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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sein. Sie trennte sich von ihm ohne Abschiedsgruß. Es war also nicht die Milde eines zwar spröden, aber im tiefsten Grunde weichen Herzens gewesen, daß sie sich seiner angenommen hatte von Kindesbeinen an, sondern die Herrschsucht eines stolzen Sinnes, der den armen Jungen als sein Eigenthum betrachtete und seine Ehre darein setzte, ihn gegen den Willen der ganzen Sippe zu vertheidigen.
Es wurde ihm heiß. Die Bitterkeit quoll in ihm auf. Er hielt es nicht länger aus. „Ich will gehen. Es ist ja Allen recht, wenn ich fort bin auf Nimmerwiederkehr.“
Er löschte das Lämpchen und stieg vorsichtig die finstere, aber wohlbekannte Stiege hinab. In den Schlafkammern war es still. Die Familie schlief steinfest nach des Tages Stürmen. Leise schlich er vorbei und die zweite Treppe hinunter. Aber sein Fuß stockte. Die Küchenthür stand offen; das Knistern eines Feuers tönte heraus, heller Flammenschein huschte über das roth und weiße Backsteinpflaster des Hausflures. Hermann warf einen Blick hinein. Da stand Hannchen am Herd. An der Kette über dem Feuer hing ein Kessel, in welchem sie eifrig mit einem Kochlöffel rührte, und dem Gefäß entströmte der würzige Duft von Bier, Ingwer und Zimmet. Ihre Augen richteten sich starr auf das Gebräu, und von Zeit zu Zeit rollte eine Thräne über ihre Wangen.
„Hannchen, warum weinst Du?“ fragte er mit einer Stimme, in der Schmerz und Seligkeit bebten.
Sie sah auf und trocknete rasch mit der blauen Küchenschürze die Augen. „Ist es schon Zeit?“ entgegnete sie in gepreßtem Tone. „Der Nachtwächter hat doch erst zwei Uhr gerufen. Eilt es Dir so sehr, von uns fort zu kommen? Aber ich dachte es mir und habe zeitig für Dein Warmbier gesorgt.“
„Ach, Hannchen! Ich schmachte nach anderer Labung, als einem Frühtrunk,“ sagte er, und der ganze zurückgedrängte Jammer seines verwaisten Herzens brach hervor. „Schicke Du mich nicht sonder Trost und Theilnahme in die Welt hinaus. Dann will ich das Unrecht gern tragen, das Deine Sippe mir anthut.“
Wieder kam das unheimliche getheilte Gefühl über sie: das altgewohnte Mitleid, das sie drängte, die flehend ausgestreckten Hände zu ergreifen und ihm ein tröstendes, liebreiches Lebewohl zu sagen, und eine neue Empfindung, die sie davor zurückscheuen ließ. Und wieder sprangen ihre Gefühle in Zorn gegen Den um, der ihr die ganze Widerwart auf die Seele gewälzt hatte.
„Du klagst uns an und hast doch das ganze Unheil angestiftet, das wir ausbaden müssen!“ schluchzte sie zornig. „Meinst Du, es sei ein geringes Ding, daß jetzo in der ganzen Stadt weiter nichts geredet wird, als: um die Hanne Henningin hat der Laufbursche aus der Papiermühle sich an dem Nicolaus Fischer vergriffen?“ Sie quirlte den Trank, daß er hoch aufschäumte.
„Weinst Du deshalb?“ fragte er mit schmerzlich zuckenden Lippen.
„Weshalb sonst?“ fragte sie trotzig und goß das Warmbier in einen Zinnbecher.
In Hermann’s Augen flammte es auf. „Verstehst Du so die Ehrbarkeit, daß Du meinst, es erwüchse Dir eine Schande, wenn Dein Name mit dem meinen genannt würde, der ich nichts gethan habe, als Dich vor Rohheiten gehütet, während es Dir nicht schade, wenn Dich ein Saufbold herumzieht wie eine gemeine Dirne? Hängt denn die Sittsamkeit einer Jungfer davon ab, ob selbige von einem reichen oder armen Manne angetastet wird?“
„Nicht von dem reichen, aber auch nicht von dem armen Manne lasse ich mich antasten,“ fuhr Johanne ihn finster an.
Er sah zürnend auf sie nieder. „Du weißt am besten, daß Dir der arme nie zu nahe getreten ist. Und wenn wir jetzt die Plätze wechselten, Nicolaus Dich in Schutz genommen hätte gegen Frechheiten des Hermann, wie würdet Ihr die Sache ansehen? Er wäre Euch so erhaben wie der große Christophel an seinem Haus, die Muhme Schmidtin posaunte sein Lob lauter aus als der Stadtpfeifer, wenn er das Neue Jahr anbläst, und Du würdest nicht wagen, ihm vorzuwerfen, er habe Dich in das gemeine Geschrei gebracht.“
Ihr kluger Sinn konnte sich der Richtigkeit seiner Vorstellung nicht verschließen; aber ihr jähes Gemüth trug den Sieg über denselben davon.
„Das habe ich von meiner Müdigkeit,“ sprach sie bebend vor Zorn. „Darum bin ich allezeit gut gegen Dich gewesen, darum heut vor Thau und Tage aufgestanden, daß Du mich abcapitelst wie einen Abcschützen. Ich wollte, ich hätte mich niemalen um Dich gekümmert, so sollte ich wohl in guter Ruh jetzo sitzen.“
„Selbige Ruhe wird Dir von nun an ungetrübt zu Theil werden,“ sprach er todtenbleich. „Du wirst mich los. Behalte Dein Warmbier; ich will nichts mehr von Dir.“ Er wandte sich zu gehen.
Da erhaschte sie seine Hand. Stockend, aber sorgenvoll, wie in alter Gewohnheit, kam es über ihre Lippen: „Warum willst Du Dich den Fährlichkeiten einer nächtlichen Wanderung aussetzen? Freireiter und Wegelagerer streifen immer noch durch das Land.“
Er schüttelte sie rauh ab. „Wer fragt darnach,“ lachte er bitter, „ob solch ein armer Hiob hinter der Hecke stirbt? Aber es hat keine Noth. Die Faust des Laufjungen ist stärker als die des reichen Brauherrn. Ich will Niemand rathen mit ihm anzubinden, so wenig im freien Felde als unter den Linden des Maienfestes.“ Und mit raschen Schritten war er an der Hausthür, hob den versperrenden Balken weg, stieß den Riegel auf und eilte durch die noch stillen Straßen dem nahen Pförtlein zu, das der Wächter ihm gegen den Thorpfennig öffnete.
Im matten Dämmerschein der kurzen Sommernacht schritt er auf der schwanken Holzbrücke über den dunklen Wassergraben und durch die lustige Umgebung von Lindengängen und Rosengärten hinaus auf die Erfurter Straße. Im Osten röthete sich der Himmel; in den Feldern, die weithin wie ein silbern glänzendes Meer in der frischen Morgenluft wogten, begannen die Lerchen ihren Sang, von den Thürmen tönte die dritte Stunde. Hermann lauschte, wie eine Uhr nach der andern die drei Schläge erschallen ließ, wie der Hall verschwebte.
„Die Glocken klingen anders, wenn sie Scheidestunden schlagen,“ flüsterte er. Dann wanderte er mit weit ausgreifenden Schritten den staffelförmig über einander aufsteigenden Hügeln zu, die der ferne Steigerwald krönte, hinter welchem die Stadt Erfurt lag.
„Ich sage Dir, die Weibsen sind alle mit einander keinen
Dreiheller Werth; schlage sie Dir aus dem Sinn!“ sprach Vetter
Eberhard zu dem Sohn seiner weiland Muhme Zimmermannin.
Es war ein Mond dahingegangen, seit dieser Einspruch in der Junggesellenwohnung Eberhard’s gehalten hatte und freundvetterlich von ihm empfangen worden war. Hermann mußte sein Losament bei ihm nehmen und wurde dann in die berühmte Glockengießerei von Möhring selig Wittwe eingeführt. Selig war nur Meister Möhring. Seine Wittib aber, eine frische Frau in ihren besten Jahren, gedachte noch einige Zeit zu warten, bevor sie ihm in das bessere Leben nachfolgte. Einstweilen führte sie das Geschäft weiter. Ihre rechte Hand dabei war Eberhard, der, obwohl er nur ein armer Bauernjunge aus Bittstedt bei Arnstadt war, schon unter Meister Möhring zum Obergesellen sich emporgeschwungen hatte.
Jetzunder arbeiteten die beiden Schwarzburger gemeinsam in der kurmainzischen Stadt, und in dem Augenblicke, da der wackere Junggesell seinen scharfen Ausspruch that, standen sie in dem Gießhause und waren beschäftigt, auf einer mächtigen Wage, die von dem verräucherten Gebälk herabhing, Kupfer und Zinn zur Glockenspeise abzuwägen. Am entgegengesetzten Ende der nur von luftigem Dach überwölbten Halle mauerten Gesellen in der Dammgrube aus Ziegelsteinen ein kreisrundes Fundament für die Glockenform; andere kneteten in einem Fasse Lehm und Flachsschäben mit Wasser, daraus die Form gebildet werden sollte.
Es störte die Vettern Niemand; bei harter Pön war den Leuten untersagt, heranzutreten. Die Geheimnisse des Glockengusses wurden streng gewahrt, und der Obergesell, der von dem kränkelnden Meister Möhring in ihnen unterwiesen worden war, gestattete nur seinem jungen Versippten Kenntniß davon zu nehmen.
„Auf hundert Pfund Kupfer müssen wir sechsundzwanzig Pfund Zinn abwiegen,“ belehrte er ihn; „denn es wird eine kleine Glocke. Sollte sie groß werden, brauchten wir ein paar Pfund weniger von dem weichen Metall, wie auch der Mann fester von der Natur gebildet wird denn das Weib. Wenn diese
unvollkommenen Creaturen unseres Herrgottes, die in Haube und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_774.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2024)