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Seite:Die Gartenlaube (1883) 766.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Walter also hatte sie diese günstige Wendung zu danken. Er machte ihr Platz, um jedes Hinderniß für – Herrn von Brendeln zu beseitigen. Sie sollte um Himmels willen sich nicht einreden, daß er aus persönlichen Gründen ihrer Verbindung mit diesem Manne abgeneigt sei. Gut, gut! So mag denn das Rad weiter rollen, wo es den Weg geebnet findet.

Und doch zögerte sie noch, gerade ’raus das letzte Wort zu sprechen.

Sie schrieb einige Zeilen an Herrn von Brendeln. Sie enthielten keine Zusage, keine Abweisung. Sie wollte ihn nur in Kenntniß setzen, daß sie beabsichtige, noch an diesem Tage das Berghen’sche Haus zu verlassen und zu ihrem Onkel überzusiedeln. Dort erwartete sie seinen Besuch, um ihm mündlich auf seine Frage Antwort zu geben.

Eben als sie sich anschickte, den Brief selbst zum nächsten Postkasten zu tragen, kam Fräulein Aurelie. Sogleich wanderten ihre lebhaften Augen im Zimmer herum, wo die Pakete mit Kleidungsstücken, Koffer und Schachteln auf den Möbeln lagen und standen. „Aber wollen Sie denn verreisen, mein theuerstes Fräulein?“ fragte sie. „Ich sollte denken, gerade in dieser Zeit …“

„Ich reise nur einige Straßen weit,“ beruhigte Helene. „Nur zu meinem Onkel Benjamin Grün.“

„Ah! Das ist ja eine höchst merkwürdige Neuigkeit.“ Und nun brach ein Sturm von Erkundigungen los. Um ihn zu beschwichtigen, gab Helene ihr den Brief an Brendeln mit der Bitte, ihn an die Adresse zu besorgen. Nun gerieth das Fräulein in noch größere Unruhe. „Was enthält der Brief?“ rief sie, ihn wieder und wieder auf der Hand wägend. „Ich weiß Alles. Mein Bruder hat mich in das Geheimniß seines Herzens eingeweiht. O – nur ein Wörtchen, ein ganz kleines Wörtchen! Ja oder nein? Nein? Sie lächeln. Ja? Sie schütteln den Kopf. Aber doch nicht im Ernst? Unmöglich im Ernst. Sagen Sie aufrichtig: ja oder nein. Ich zittere am ganzen Leibe – sehen Sie nur. Wenn Nein … Sie werden nicht verlangen, daß ich meinem Bruder sein Todesurtheil überbringe. So grausam sind Sie nicht. Und darum –“

„Aber der Brief hat den unschuldigsten Inhalt,“ fiel Helene ein. „Ich zeige dem Herrn Regierungsrath nur an, daß ich – verreise.“

„Damit mein Bruder Sie zu finden weiß – wie? Natürlich. O, er wird sehr glücklich sein. Daß Sie ihm überhaupt schreiben, sagt in diesem Fall Alles. Sie Engelskind!“ Es regnete zärtliche Küsse. Und dann hielt sie sich auch nicht länger auf, als nothwendig schien, ihrem Entzücken Ausdruck zu geben. Die Besorgung des Briefes drängte.

Nun trat Helene den schweren Gang zur Frau Consul an. Sie schärfte sich’s wiederholt ein, ihrerseits jeden Anlaß zu einer aufregenden Scene zu vermeiden. Sie täuschte sich über die Stimmung, in der sie die alte Dame zu finden erwartete, ganz und gar. Auch für sie schien die Sache völlig erledigt. „Von dem Hausmädchen erfuhr ich,“ sagte sie, „daß Du zum Auszuge gerüstet hast. Ich konnte nichts anderes voraussetzen nach der schriftlichen Erklärung von gestern Abend. Du hast den Streit aus dem Hause hinausgetragen in die Amtsstube des Juristen. Dorthin kann ich Dir nicht folgen. Ich spreche nicht von dem Inhalte des Schriftstückes – eine Schenkung von Dir anzunehmen hast Du uns wohl selbst nicht für fähig gehalten –; für mich entscheidet, daß Du eine solche Erklärung abgeben konntest in der Meinung, Dich dadurch von allen Verpflichtungen der Anhänglichkeit und Treue zu lösen. Wer das vermochte, dem kann ich in der That nichts mehr sein. Ich danke Dir, daß Du mich der unliebsamen Pflicht überhebst, Dir selbst sagen zu müssen, daß eine Trennung zur Nothwendigkeit geworden. Werde glücklich, wie Du kannst.“

Helene fühlte einen kühlen Kuß auf ihrer Stirn, einen schwachen Händedruck. Sie bückte sich und küßte die Hand der Frau, gegen die sie jetzt keinen Groll mehr empfand. Ein Paar Thränen fielen darauf. Die Frau Consul zog rasch ihre Hand zurück. Sie wollte nicht gerührt sein.

„Du verkennst auch jetzt meine Gesinnung,“ sagte Helene. „Die Urkunde, die ich in Deine Hand legte, beweist nichts weiter, als daß ich mich von dem Vorwurfe rein halten will, eigennützig zu handeln – soll nichts weiter beweisen. Ich werde ihren Inhalt niemals widerrufen. Zu schenken habe ich nichts. Mag eine milde Stiftung Robert’s Andenken in fernste Zeiten bewahren und vielen Unglücklichen zum Segen gereichen.“

„Osterfeld hat das Schriftstück vorläufig an sich genommen,“ bemerkte Frau Berghen. „Ich vertraue seiner Geschäftskenntniß, daß er dasselbe richtig zu gebrauchen wissen wird. Sprechen wir nicht weiter davon.“

Von diesem Augenblicke ab behandelte sie Helene wie eine Hausgenossin, die eine längere Reise anzutreten beabsichtigt, auch dem Dienstpersonale gegenüber. Selma wurde durch Unwohlsein entschuldigt. Osterfeld war an der Börse.

Im Wagen der Frau Consul – sie hatte es so gewünscht - fuhr Helene zu Onkel Benjamin.

(Fortsetzung folgt.)




„O Weihnacht, wo kein Kind im Haus! –“

Ein Wort für elternlose Kinder an kinderlose Ehegatten.

Zu den freiwilligen Pflichten, welche die „Gartenlaube“ im Laufe der Jahre auf sich genommen, gehört auch die nach zwei Seiten hin thätige, erstens armen Ganz- oder Halbwaisen zur Aufnahme bei kinderlosen Eheleuten, deren Verhältnisse dies gestatten, zu verhelfen, oder zweitens kinderlosen Ehegatten, die den Wunsch nach einem armen verwaisten Kinde aussprechen, die Erfüllung desselben möglich zu machen. So einfach beide Aufgaben auf den ersten Blick aussehen, so große Verantwortlichkeit ist, bei näherer Betrachtung, mit ihnen verbunden, und da der Verfasser dieser Zeilen seit längerer Zeit in der Ausführung dieser freiwilligen Aufgaben mancherlei Erfahrungen gesammelt hat, hält er es im Interesse der guten Sache für geboten, einmal darzulegen, nach welchen Grundsätzen vorgegangen werden muß, soll das Liebeswerk für Eltern und Kinder ein gedeihliches sein.

Daß die Erfüllung dieser Pflicht bis jetzt eine gesegnete Thätigkeit gewesen ist, beweisen uns die Zuschriften solcher Eltern, die durch Vermittelung der „Gartenlaube“ Kinder erhalten haben. Nicht nur die Waisen, die meist aus Armuth und Noth heraus in das Behagen eines geordneten Hausstandes, an das Herz liebender, für deren körperliches und geistiges Wohl sorgender Eltern, in günstige Ernährungsverhältnisse kommen, pflegen in der Regel aufzublühen in Frische und Gesundheit wie Feldblumen, die aus dürrem Boden in das fette Erdreich des fruchttragenden Gartens kommen, auch die Eltern sind hochbeglückt; sie haben einen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Liebesstrebens gewonnen, einen Gegenstand, dem sie ihre Sorge widmen können, namentlich von dem Augenblicke an, wo sie sehen, wie das angenommene Kindchen die treue Liebe durch Gegenliebe und Anhänglichkeit vergilt, wie es sich geistig und körperlich entwickelt. So schreibt uns ein Herr auf unsere Anfrage, ob ihm das Töchterchen, das wir ihm am Sylvesterabend 1879 in’s Haus brachten, auch Freude bereite: „Ob Röschen uns Freude macht? Wenn nur jene Leute, die vor der Annahme eines Kindes so wählerisch sind, wüßten, wie viel Freuden und welch hohe Genüsse sie sich durch ihr Zögern entziehen, dann wären längst viel mehr Kinder untergebracht. Wir würden Alles leichter vermissen, als unser liebes, liebes Röschen.“ Und ein anderes Ehepaar, das in selbstloser, hingebendster Liebe sich eines zwölfwöchentlichen Kindes erbarmte, schreibt: „Nun, lieber Herr, nehmen Sie die Versicherung, daß uns das unternommene Liebeswerk noch nicht gereut, und der liebe Gott wird helfen, daß wir es auch später nicht bereuen. Wohl macht es Mühe und Sorge und schlaflose Nächte, aber die Liebe, die wir zu der kleinen Martha haben, die wiegt ja Alles auf, ja noch mehr, wir haben sie so lieb, als ob sie unser eigenes Kind wäre.“ Ein dritter Menschenfreund am Rhein, der sich vor Jahren eines Pärchens, Bruder und Schwester, erbarmte, schreibt: „Die Kinder entwickeln sich recht gut; beide nehmen körperlich und geistig zu, sind recht brav und machen viele Freude.“ Und ein vierter Herr schreibt: „Gott sei Dank, wir haben ein Kind gefunden, ein Kind in uns seine Eltern. Und was für Gefühle sind’s, die unser Herz bewegen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_766.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)