Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Helene war dieses „Ja – so –“ sehr verständlich. „Nicht wahr, Onkel,“ sagte sie, „es war durchaus nothwendig. Du siehst nun ein, daß ich gar nicht anders handeln konnte, wenn ich nicht –“ sie drehte den Schirm durch die Hand und sah dabei seitwärts zu Walter auf – „wenn ich nicht ohne Weiteres Herrn von Brendeln einen Korb geben wollte.“
Der Doctor ließ diese Seitenbemerkung ganz ohne Erwiderung. Das ärgerte sie augenscheinlich. Sie kehrte ihm mit kurzer Wendung auf dem spitzen Absatze den Rücken zu und reichte dem alten Herrn die Hand. „Ich komme also gegen Abend, die Urkunde abzuholen, Onkel Benjamin,“ sagte sie. „Lebe wohl, so lange.“
Damit ging sie, ohne es für erforderlich zu erachten, Walter einen Gruß zu schenken.
Abends noch vor sieben Uhr kam sie wieder. Der Uhrmacher hatte die Ausfertigung der Urkunde vom Notar abgeholt und machte nun gar keine Umstände weiter, sie ihr auszuhändigen. Wahrscheinlich war zwischen Vater und Sohn verabredet, daß ihr in Allem völlig freie Hand zu lassen sei.
Nun aber hatte sich in diesen Stunden ihre Stimmung sehr verändert: nichts mehr von dem entschlossenen und trotzigen Wesen war zu bemerken. Obgleich der Alte sich jeder Einladung enthielt, blieb sie doch nach Empfang der Urkunde in seinem Arbeitszimmer, zog das Papier mit sichtlicher Verlegenheit durch die Hand und schien nach ihrer ganzen Haltung noch etwas auf dem Herzen zu haben.
„Ich habe mir’s überlegt, Onkel,“ begann sie dann, „es ist damit allein doch nicht gethan.“ Sie deutete auf das Schriftstück in ihrer Hand. „Ich kann im Hause der Frau Consul nicht länger bleiben. Brechen wir mit einander, so brechen wir vollständig.“
„Es kann wohl sein,“ meinte er ohne sonderliche Betheiligung.
„Aber dann muß ich mir ein anderes Unterkommen suchen.“
„Allerdings … das wird geschehen müssen.“
„Ich habe Niemand, der mir in dieser schwierigen Lage Beistand leistet –“
„O! der Herr Regierungsrath von Brendeln wird sich das doch nicht nehmen lassen –“
„Onkel –! Das war nicht hübsch. Du begreifst, daß er der Letzte wäre, von dem ich eine Unterstützung irgend welcher Art annehmen dürfte. Sei mein alter, gütiger Onkel, auch jetzt mein Freund in der Noth!“
„Hm – hm! Wie soll ich …?“
„Meine Zukunft muß ja bald entschieden sein. Wenn ich heirathe …“
„Natürlich, wenn Du heirathest.“
„Bis dahin aber –“
„Ja, bis dahin –“
„Onkel Benjamin, gerade heraus: es wird Dir nichts übrig bleiben, als mich bei Dir aufzunehmen.“
Sie sah ihn bei diesen Worten, die recht herzhaft klingen sollten, aber zitternd genug herauskamen, bittend an, streichelte auch seine Schulter. Erfreulich war ihm aber sicherlich nicht, was er da hörte. Ihr Anliegen schien ihn völlig zu überraschen und im Augenblick aus der Fassung zu bringen. „Wie ist das aber in aller Welt möglich, Kind!“ rief er und riß die Augen weit auf.
„Es muß doch möglich sein, Onkel Benjamin,“ meinte sie; „sage selbst –“
„Ja, muß – muß!“ eiferte er. „Hat sich was zu müssen. Es geht doch nicht.“
„Kannst Du’s wirklich über’s Herz bringen, mich abzuweisen? Das traue ich Dir doch nicht zu.“
„Aber von über’s Herz bringen kann da gar nicht die Rede sein. Ich habe keinen Platz. Wo soll ich Dich lassen? Ich kann doch Deinetwegen meinen leiblichen Sohn nicht austreiben!“
„Walter –“
„Ja, Walter – natürlich Walter.“
„Du meinst, er würde mich hier nicht leiden.“ Sie senkte dabei traurig den Kopf.
„Leiden, leiden –! ich weiß nicht,“ knurrte er ärgerlich. „Aber für Euch beide ist doch kein Raum in meiner engen Wohnung.“
Sie hob den Kopf und senkte ihn wieder. „Es wäre schon, wenn .... Aber was soll nun geschehen?“
„Richte Dich verständig ein, Lenchen,“ rieth er, „trage den Verhältnissen billige Rechnung. Fliege nicht aus, bis Du ein anderes sicheres Nest hast. Was sollen denn auch die Leute davon denken? Freilich – wenn Du Dich verlobst .... angenehm wird der Aufenthalt im Hause der Frau Consul nicht sein. Aber sie ist Dir und Deinem künftigen Bräutigam äußerlich doch Rücksicht schuldig, und wenn Du ihr nun Schwarz auf Weiß beweisen kannst, daß Du von Deinem Erbrecht gar keinen Gebrauch machen willst, daß Du von ihnen nicht das mindeste forderst –“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_764.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2023)