Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Hannchen!“ rief Hermann entsetzt über ihre Worte.
Im lang hinhallenden Donner ging der Klang ihr verloren. Mit den ersten Tropfen kamen sie daheim an. Schon von weitem schallte ihnen die zeternde Stimme der Muhme entgegen, welche sogar das Wetterläuten der benachbarten Liebfrauenkirche übertönte. „Daß Gott erbarm! Das Unglück! Er hat Fischer’s Nicolaus in’s Gesicht geschlagen, daß ihm das Feuer aus den Augen sprang. Das läßt Der nicht auf sich sitzen. Der Hermann muß in den Thurm bei Wasser und Brod. Das hochnothpeinliche Halsgericht muß über ihn gehegt werden!“
„Warum lärmt Ihr also?“ verantwortete sich Hermann. „Sind Beulen und blaue Augen so rar in Arnstadt? Hat Fischer nicht selber die Barbara hingeworfen, daß sie blutete?“
„Die war Seinesgleichen,“ schrie die Muhme. „Da kann schon so etwas fürkommen. Aber Du und der Herr Fischer, der sich Edelgeboren schreiben darf!“
„Stellt Ihr Euch doch an, als hätte er einen Heiligenschein wegen des Bieres,“ empörte sich Hermann.
„Einen Heiligenschein hat er just nicht; aber den größten Keller in Arnstadt, was beinahe ebenso viel sagen will,“ trumpfte die Muhme ihn ab.
Jetzt lachte Hermann zornig auf.
„Du wagst noch zu lachen?“ zankte die Schmidtin. „So vergilt das gemeine Volk die Wohlthaten eines großen Bürgerhauses. Der Lump bringt die Tochter in das gemeine Geschrei und lacht sich noch in’s Fäustchen.“
Hermann wurde dunkelroth. „Hütet Euch! Noch giebt es in Arnstadt einen Lästerstein, den böse Zungen tragen müssen,“ sprach er.
Der Muhme stockte die Sprache; es war, als wollten ihre runden Augen sich furchtsam verkriechen. Da sie zu neuem Redeguß tief Athem schöpfte, rollte ein Donnerschlag dazwischen.
Jetzt trat der Papiermüller heran. „Gehet nun nach Haus, Frau Muhme,“ sprach er entschieden, „und füllet fürder unsere Mühle nicht mit Geschrei. Wachet lieber, ob vielleicht der Donner in Euer Kranichhaus schlägt.“
Die Schmidtin kreischte auf. „Wie könnt Ihr den Teufel so an die Wand malen?“ Bald sah man sie in den von Herrn Henning entliehenen Stiefeln mit hoch gehobenen Röcken durch die Gewässer des Himmels, die rauschend die Straße füllten, davon steigen.
Johanne steckte an alle Truhen und Schränke die Schlüssel, wie das bei drohender Gefahr geschah, um leicht ausräumen zu können, und Frau Henningin nahm Benjaminlein aus dem Bettchen. Dann wurde es still. Herr Henning stand am Fenster und folgte dem Zickzackweg des Blitzes; er wurde weiß wie sein feinstes Papier, wenn es grell über die Mühle hinzuckte. Christel und Bastian schmiegten sich an die Mutter, und der Großvater hatte sich hinter sein Gesangbuch verschanzt, mit einem Leseglas bewaffnet, und las das Stoßseufzerlein beim Ungewitter.
Furchtlos und ungeblendet schaute Johanne in die blauen Blitze; ihrem hochgemuthen Sinn war das majestätische Rollen des Donners eine erhabene Musik. Und mit gefalteten Händen lauschte Hermann der Glockenstimme, die ihres Amtes waltete, zu verscheuchen das Schädliche.
Allgemach verhallte der Donner in der Ferne und mit ihm schwieg die Glocke. Nur der Regen plätscherte fort. Jetzt schickte der Papiermüller die Kinder hinaus, schloß die Thür und wandte sich zu Hermann und Johannen. „Ihr habt eine schöne Suppe eingebrockt; nun muß sie auch ausgegessen werden. Schweig, Hermann! Ich weiß, daß Du es gut gemeint hast; aber es war nicht wohl gethan, den Nicolaus Fischer also zu tractiren. Warum mußtest Du zuhauen bei dem Worte, das nicht weit von der Wahrheit weg fiel? Hatte ich doch gedacht, daß Du Dein Brod als Handlanger in der Mühle zeitlebens haben solltest. Und wo Papier gemacht wird, da sind Lumpen nöthig. Der Vogt, der darüber gesetzt ist, hat’s nicht schlecht. Giebt es größere Thorheit, als um leichtfertiger Rede willen eine ehrliche nahrhafte Hantirung sich vergällen zu lassen? Wird nicht der Schneider mit dem Bock und der Schuster mit dem Pech gehänselt, ohne daß es ihrer Meisterwürde Abbruch thut?“
„Ihr würdet es Euch auch verbitten, so man Euch Lumpenmüller nennen wollte,“ entgegnete Hermann leise.
Herr Henning sah ihn mit maßlosem Erstaunen an. „Das kann einem großen Bürger von Arnstadt gar nicht geschehen,“ entgegnete er gelassen. „Der reiche Mann ist wider Kreuz und Leiden besser geschützt als der arme. Aber Du willst Dich uns gleichstellen, und das mußt Du Dir vergehen lassen. Hättest Du daran gedacht, daß Du ein armer Hiob bist und Fischer der reichste Mann allhier, so wärest Du nicht eifersüchtig geworden wie der Storch am Froschteich, sondern hättest Dich darein gefügt, wie Gott es einmal angeordnet hat. Auch Du, Hanne, bist so weit in den Jahren vorgerückt, daß Du Dich wie eine fürsichtige Jungfer aufführen mußt. Wärest Du mit dem Nicolaus zum Tanz gegangen, und hättest Dich mit ihm geschwenkt, so wäre ihm das Bier nicht in die Galle getreten. Statt dessen bist Du wie ein kleines Schulmädchen mit Deinem Spielgefährten zum Maienfest gegangen. Ihr seid keine Kinder mehr, und derohalb muß es ein Ende haben mit dem Kinderspiel.“
„Warum sagst Du das dem jungen Volk?“ unterbrach ihn der Alte. „Brauchen sie zu wissen, warum der Hermann den Nicolaus nicht leiden mag? Sie sind wie Nachtwandler, die man auch nicht anrufen soll; dann kommen sie ungeschädigt selbst vom spitzigen Rieththurm herunter.“
„Nein,“ entschied Herr Henning. „In Arnstadt muß Alles wohl betrachtet, beim wahren Namen genannt, geordnet und geschichtet werden wie das Papier in der Mühle: das feinste zu Gevatterbriefen und Neujahrswünschen oben in das höchste Fach, das graue Löschpapier unten auf den Fußboden. Und so ein Nachtwandler angerufen wird, wenn er den ersten Schritt aus dem Bett thut, wird er niemalen dazu kommen, auf den Rieththurm zu steigen, allwo höchstens Dohlen auszunehmen sind.“
Das junge Pärlein sah wirklich aus, als werde es von einem Traum erweckt. Das Blut stieg Hermann bis in die Schläfen; er biß sich auf die Lippen, und seine Augen flogen scheu, wie auf einer Sünde ertappt, von Einem zum Andern.
Endlich sprach er leise: „Ich bin mir keines Unrechts bewußt, und wenn ich mein Herz vielleicht mehr an Hannchen gehangen habe, als solch einem armen Jungen zukommt, so bin ich ihr doch nie mit einem Wort oder Blick, ja, Gott weiß es! nicht einmal mit einem Gedanken zu nahe getreten.“ Er sah mit einem scheuen Blick nach ihr hinüber. Aber sie stand abgewandt mit glühenden Wangen.
Herr Henning fuhr unbeirrt fort: „Wozu die Zeit verlieren mit ohnnützem Geschwätz, da wir handeln müssen? Fischer wird klagbar werden. Im mindesten Falle wirst Du zur Pön in das Drillerhäuschen gesteckt und von der Schuljugend herumgedreht, bis Dir Hören und Sehen vergeht. Dann bist Du schimpfiret, nicht durch die ehrliche Hantirung mit Lumpen.“
„Ihr braucht ja nur zu sagen,“ erwiderte Hermann in bittendem Tone, „daß ich in der Nothwehr gehandelt habe, um Euer Kind vor Verunglimpfung zu schützen.“
„Soll der Name einer bisher tugendbelobten Jungfer vor den Gerichtsbänken herumgeschleppt werden? Soll ein Mensch wie der Büttel, der nur unter der Dachtraufe gehen darf, über meine reine Schwelle schreiten, Dich vorzuladen?“ fragte der Papiermüller streng.
Frau Henningin drehte empfindlich ihren steifen Haubenkopf hin und her. „Soll ich in den Metzgerläden und Backhäusern Stichelreden hören und beim Kirchgang mich von der Seite anschauen lassen, dieweil ich so wenig Zucht in meinem Hause hielte? Die Muhme Schmidtin meint dasselbige auch.“
Hermann hatte mit steigender Angst die Reden verfolgt. Jetzt wurde er leichenblaß. „Ich soll fort – in’s Elend,“ sagte er tonlos.
Henning nickte. „Ja, fort mußt Du, aber die Zeiten sind vorbei, da die Fremde das Elend hieß. Du kannst nach Gehren gehen, wo am Eisenhammer tüchtige Arbeiter gebraucht werden, oder nach Gotha, wo der fromme Herzog Ernst sein neues Schloß, den Friedenstein, baut. Aber Du mußt wandern, ehe die Leute hier zur Besinnung gekommen sind. Gott sei Dank, daß es regnet wie in der Sündfluth. Da sitzen wir sicher vor Einspruch, Gezänk und Klatsch. In der Nacht schläft die Stadt ihren Rausch aus, und morgen kannst Du über alle Berge sein.“
Es war, als knicke die schlanke Gestalt des jungen Gesellen unter den Worten zusammen. Auch Johanne erschrak. Daß der
Handel so übel für ihn verlaufen werde, hatte sie doch nicht erwartet.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_759.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)