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Seite:Die Gartenlaube (1883) 751.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Er nannte verwundert zwei, drei Namen.

„Wer wohnt am nächsten?“

„Hm – Doctor Mossau.“

„Also zu Doctor Mossau, Kutscher.“

Sie wurden sehr bald vorgelassen. Helene stellte sich und ihren Vormund vor. „Zwanzig Jahre bin ich aber bereits alt,“ fügte sie hinzu.

„Womit kann ich dienen, mein Fräulein?“ fragte der Geschäftsmann, dessen gutmüthig kluges Gesicht Vertrauen einflößte. „Ich bitte, Herr Grün, nehmen Sie Platz.“

„Zuerst eine allgemeine Frage,“ begann Helene. „Lachen Sie mich nicht aus, wenn sie recht dumm sein sollte. Also … Wie soll ich’s nur in eine feste Formel bringen? Wenn Jemand ein Testament macht und setzt darin Einen zu seinem Erben ein – muß der auch durchaus sein Erbe sein?“

„Durchaus nicht,“ antwortete der Notar. „Der Eingesetzte hat das Recht, der Erbschaft zu entsagen.“

„Ist das ganz sicher?“

„Ganz sicher, mein Fräulein. Ist Ihnen eine Erbschaft zugefallen, von der Sie sich befreien wollen?“

„Ja – vor zwei Jahren.“

„Ah! vor zwei Jahren schon. Das ist etwas anderes.“

„Also geht’s doch nicht?“ fragte sie betroffen.

„Gewiß – aber nur in bestimmter, kurz bemessener Frist. Sie wäre in diesem Falle längst abgelaufen.“

Der Uhrmacher horchte sehr verwundert zu und wiegte immer wieder den grauen Kopf. Von welcher Erbschaft war denn die Rede?

„Und was man dann einmal hat, muß man durchaus behalten?“ erkundigte sich Helene weiter, den Knopf des Schirmes in das Kinn eindrückend.

„Das steht wieder auf einem anderen Brette,“ meinte der Notar. „Einer Erbschaft entsagen, heißt gar nicht Erbe sein wollen. Ist man’s einmal geworden, so muß man die Folgen auf sich nehmen. Eine Erbschaft ist ein Ganzes. Es können dazu so gut Passiva als Activa gehören, und die ersteren unter Umständen –“

„Ach! von dergleichen ist hier gar nicht die Rede,“ rief sie ein wenig erleichtert. „Es handelt sich, wie die Leute sagen, die es wissen müssen, um eine reiche Erbschaft. Ist’s nun zulässig?“

Der Notar lächelte nicht ohne Verlegenheit, wie er sich zu der wunderlichen Clientin stellen solle. „Zulässig! Wer etwas geerbt hat, kann darüber verfügen – er kann’s verschenken, wenn er freigebig sein will.“

„Aber, Kind,“ fiel der Uhrmacher ein, „ich weiß doch nicht –“

„Gleich, Onkel, gleich,“ begütete das Mädchen. „Ich bin bald mit meinen Fragen zu Ende.“

„Wenn von Ihnen selbst die Rede ist, mein Fräulein,“ bemerkte der Notar, „so würde in solchem Falle allerdings Ihr Herr Vormund, vielleicht auf dem Gericht, ein sehr gewichtiges Wort mitzusprechen haben.“

„O – mein Vormund ist mein lieber, guter Onkel“ entgegnete sie, „der allemal nur mein Bestes will. Und das Gericht – das fragen wir lieber gar nicht. Die es angeht, werden nicht glauben, daß ich über’s Jahr anderen Sinnes sein kann; und ich kann’s ihnen ja dann auch noch ausdrücklich bestätigen.“

Nun trug sie den Fall vor, so weit er den Notar interessirte, und versicherte ihn, überzeugt zu sein, daß sie sich’s ernstlich überlegt habe und unter keinen Umständen davon abgehen werde, und dabei blickte sie auch seitwärts auf Onkel Benjamin, der mit halbgeöffnetem Munde zuhörte, nickte ihm freundlich zu und warf auch für ihn irgend ein bekräftigendes Wörtchen ein.

„Ich will mich jeder Frage enthalten,“ sagte der Notar, „was der Anlaß zu einer so auffälligen Willenserklärung ist. Wenn ich aber niederschreiben soll, was Sie verlangen, so muß ich vorerst der Zustimmung Ihres Herrn Vormundes versichert sein. Herr Grün scheint selbst so wenig informirt –“

„Onkel –!“ bat Helene mit dem zärtlichsten Ausdruck ihrer weichen Stimme. „Wenn ich Dich versichere, es muß sein …“

„Dann muß es freilich sein,“ antwortete er. „Ich kann mir wohl denken, daß die Frau Consul –“

„Still!“ sagte sie und legte den Finger auf den Mund. „Du erfährst Alles und wirst mir Recht geben. Schreiben Sie also, was zu schreiben ist, Herr Doctor. Aber es kommt mir ganz wesentlich darauf an, die Ausfertigung noch heute zu erhalten.“

„Heute noch? Diese Eile, mein Fräulein –“

„Aber Sie wissen ja nicht, wie sehr es drängt. Heute noch. Am liebsten warte ich darauf.“

Der Notar schüttelte den Kopf. „Ich werde diese wichtige Urkunde jedenfalls nur in die Hand Ihres Herrn Vormunds legen,“ sagte er mit aller Entschiedenheit. „Ich würde sie gar nicht aufnehmen, wenn ich nicht wüßte, daß sie erst durch Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ihre volle Gültigkeit erlangen kann.“

„Gut denn!“ schloß Helene. „Ich darf mich auf Onkel Benjamin verlassen.“

Während Doctor Mossau seinem Schreiber dictirte, nahm sie den Onkel in eine Ecke des Zimmers und sprach leise, aber desto eifriger in ihn hinein. Es genügte eigentlich schon, daß sie bestätigte, man habe ihr diese Erbschaft vorgeworfen, um den alten Herrn auf ihre Seite zu bringen. Er war offenbar gar nicht unzufrieden mit ihrer raschen Handlungsweise, glaubte aber doch als Vormund seine Bedenken äußern zu müssen, ob es sich verantworten lasse, so leichthin ein Vermögen aufzugeben. Sie gebe in Wirklichkeit gar nichts auf, entgegnete sie, als einen Anspruch auf dem Papiere. „Oder vermagst Du Dir vorzustellen,“ fragte sie, „daß ich diese Erbschaft je herausfordern könnte, wenn mein persönliches Verhältniß zur Familie Berghen gelöst wäre? Und es ist gelöst, sobald ich aufhöre, die Braut in Trauer zu sein.“ Das leuchtete ihm ein.

Der Notar las das Schriftstück vor. Helene war mit dem Inhalt ganz einverstanden; sie wünschte nur noch ausdrücklich zugefügt, daß sie sich verpflichte, unaufgefordert nach erlangter Großjährigkeit ihre heutige Erklärung zu wiederholen. Dann unterschrieb sie mit fester Hand, und auch der Uhrmacher gab seine Unterschrift. Nachmittag um sechs Uhr sollte die Ausfertigung abgeholt werden können.

Helene begleitete ihn wieder nach Hause. Sie schien in der heitersten Stimmung zu sein oder sich wenigstens zu bemühen, sie äußerlich zu bethätigen. Dem Onkel entging doch nicht, daß sie häufig die Farbe wechselte, mit ihren Gedanken nicht recht bei dem Nächsten war, wovon sie sprach, und ganz zerstreute Antworten gab. Zu Hause angelangt, sagte sie: „Es wäre mir lieb, Onkel, wenn bei dem, was ich noch mitzutheilen habe, Walter zugegen sein wollte. Möchtest Du ihn nicht bitten, mir eine Minute seiner kostbaren Zeit zu schenken? Oder – wir gehen lieber gleich zu ihm.“

(Fortsetzung folgt.)




Doctor Martin Luther.

Von Emil Zittel.
(Schluß.)

Luther war schon im November 1521 einmal als Edelmann im Wappenrocke und dichtem Vollbart in Wittenberg gewesen, und eilte jetzt im März 1522, von Melanchthon bestürmt, trotz Acht und Bann den Freunden zu Hülfe. Damals schrieb er noch von der Wartburg aus dem Kurfürsten, der ihm in ehrenhaftester Weise allen „möglichen“ Schutz zusagte, das kindlich-stolze Glaubenswort:

„Ich komme in einem gar viel höheren Schutz und habe nicht im Sinn, von Euren Kurfürstlichen Gnaden Schutz zu begehren. Ja, ich halte, ich wollte E. K. F. G. mehr schützen, als sie mich schützen können.“

Luther, dessen Seele jetzt ganz erfüllt war von dem hohen Geist und den idealen Wahrheiten des Neuen Testaments, dessen Uebersetzung er eben vollendet hatte, wagte auch diesen Kampf im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_751.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)