Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Ich habe ihm geantwortet,“ sagte die alte Dame, indem sie sich hoch aufrichtete, „daß Du meine Tochter nur bist, so lange Du selbst es sein willst, daß ich darüber hinaus keine Macht habe, Dir etwas zu erlauben oder zu verbieten. Nähmest Du seine Werbung an, so sei damit auch jene Vorsorge entschieden.“
Helene schwieg. Aber ein leichtes Zucken der Stirn und des Mundes bewies, wie sehr ihr Gemüth beunruhigt war.
„Liebst Du diesen Herrn von Brendeln denn?“ fragte Selma pathetisch.
Helene blickte rasch auf. „Lieben –! Ich liebe ihn nicht.“
„Aber Sie heirathen ihn dennoch,“ fuhr Osterfeld brüsk drein.
Helene lächelte spöttisch. „Wenn ich ihn liebte und heirathete ihn nicht – das hätte auch geringe Bedeutung.“
„Was willst Du damit sagen?“ fragte die Mama. „Ich würde die Verirrung Deines Herzens sehr bedauerlich finden, aber der Entschluß, sie durch Entsagung selbst zu berichtigen, müßte mir doch achtbar erscheinen, den andern Fall hätte ich übrigens für unmöglich gehalten, daß Du einen Mann, den Du nicht liebst …“ Sie wendete das Gesicht ab und hüstelte in die Hand.
„Man heirathet heutzutage nicht aus Liebe,“ ergänzte Osterfeld spitz.
Helene hob kaum merklich die linke Schulter, die ihm zugekehrt war. „Wissen Sie das etwa aus Erfahrung?“
„Das war sehr unzart, Helene,“ verwies seine Frau. „Osterfeld ist, hoffe ich, über jeden Verdacht erhaben, aus Interesse geheirathet zu haben.“
„Um so besser für Dich,“ antwortete Helene. „Es ist ja auch gleichgültig, da Du befriedigt bist.“
„Als ob ich so leicht zu befriedigen gewesen wäre!“ ereiferte sich Selma, die nun statt der Empfindsamen die Empfindliche vorkehrte. „Ich finde es mindestens sehr sonderbar, daß Du allerhand Spitzen gegen uns wendest, wo Du allen Grund hättest Dich zu vertheidigen.“
„Zur Sache, zur Sache,“ forderte die Mama mit ungewöhnlicher Energie. „Sie ist mit einem einzigen Worte abgemacht. Was hat Herr von Brendeln zu erwarten?“
Helene stand einen Augenblick tief in sich gekehrt, während Aller Blicke auf sie gerichtet waren. „Jedenfalls die ganze Wahrheit,“ sagte sie dann leise, „und wenn sie ihn nicht abschreckt –“
„Helene!“ riefen die beiden Frauen wie aus einem Munde.
Nun brach Helene in Thränen aus. „Was wollt Ihr noch von mir?“ rief sie. „Was bin ich Euch noch? Auch Ihr sollt die Wahrheit hören, da doch nichts mehr zu verderben ist. Ich lese in Euren Herzen. Nicht weil Ihr mich liebt, fordert Ihr mich ganz für Euch; nicht weil Ihr mich liebt, meint Ihr meine Schritte lenken zu müssen. Ich bin Euch ein Todtenopfer, und so achtet Ihr mich. Aber ich bin Euch solchen Dienst nicht schuldig – keinem, auch dem Todten selbst nicht. Und nun das gesagt ist, – was bleibt noch zu sagen? Ich weiß, daß ich Euch nichts mehr sein kann, außer diesem nichts zu geben habe, das für Euch Werth hat. Jetzt würde ich Wohlthaten empfangen, wenn ich weiter annähme, was ohne Vergeltung bleiben muß. Mein Stolz empört sich dagegen. Und wenn nun ein armes Mädchen allein in der Welt dasteht, und ein achtbarer Mann bietet ihm seine Hand – verdient sein Edelmuth eine kränkende Abweisung?“
Osterfeld lachte laut auf. „Edelmuth! Herr von Brendeln – so, so, so! Edelmuth gegen ein armes Mädchen? Diese Komödie ist zu närrisch.“
„Ich verstehe Sie nicht,“ sagte Helene, peinlich berührt. „Was finden Sie dabei so überaus lächerlich?“
„Der edelmüthige Mann,“ rief er und schnitt dazu eine Grimasse, „der das arme Mädchen heirathet, das ihren reichen Bräutigam beerbt hat!“
Helene fuhr erschreckt zurück und stieß dabei einen Laut aus, der nicht verständlich war, aber die stürmische Erregung des Gemüths kennzeichnete. Gleich darauf deckte sie die Hände auf die Augen und drückte die Finger tief ein.
Der Pfeil hatte getroffen. Die Frau Consul beobachtete einen Moment die Wirkung. Dann sagte sie: „Osterfeld hat Recht. Herr von Brendeln ist nichts als ein kluger Rechner. Sicher hat er von dem Testament Robert’s Mittheilung erhalten. Es versteht sich von selbst, daß wir Dein formelles Recht unangetastet lassen. Wenn Dir aber noch ein Rest von Zartgefühl geblieben ist, findest Du vielleicht selbst die zureichende Schätzung für einen Mann, der bei seiner Bewerbung an dem älteren Verhältniß des Mädchens keinen Anstoß nimmt, für dessen Ausstattung sein großmüthiger Vorgänger gesorgt hat.“
Nun sie ausgesprochen hatte, zog Helene mit einer stoßartigen Bewegung die Hände von den gerötheten Augen fort und schöpfte tief Athem. „Haltet mich für so schlecht als Ihr wollt,“ stöhnte sie heraus, „aber einen so gemeinen Vorwurf verdiene ich nicht. Das Testament – ich erinnere mich jetzt, daß davon die Rede gewesen ist. Einmal und nicht wieder. Ich habe nie ernstlich seine Bedeutung erwogen – ich habe nie über seine Folgen nachgedacht – ich hatte diese Mittheilung gänzlich aus dem Gedächtniß verloren. Und Herr von Brendeln –! Ihr beschuldigt ihn des niedrigsten Eigennutzes. Aber es ist doch noch zu beweisen, daß Eure lieblose Vermuthung zutrifft. Noch bin ich durch kein Versprechen gebunden, aber ich fühle die Verpflichtung, für ihn einzutreten, wenn er ungehört verdammt wird.“
Sie schaute stolz im Kreise um und wendete sich dann der Thür zu. „Halt!“ rief die alte Dame nach. „Ich muß eine bestimmte Erklärung fordern, da sie nun doch einmal Herr von Brendeln von mir erwartet.“
„Laßt mir wenige Stunden Zeit,“ sagte Helene, ohne sich zurückzuwenden. „Ihr werdet dann über meine Gesinnungen wenigstens nicht weiter im Zweifel sein.“ Damit verließ sie das Zimmer.
Und dann, ohne jedes Zögern, kleidete sie sich zum Ausgehen an, bestieg auf dem nächsten Halteplatz eine Droschke und ließ sich zu Uhrmacher Grün fahren. Den Kutscher hieß sie warten.
„Es kann Dir diesmal nichts helfen, Onkel Benjamin,“ sagte sie, bevor der alte Herr sich noch auf seinem Arbeitsplatze nach der Thür zugekehrt hatte. „Lege Schirm und Brille fort, nimm Hut und Stock und begleite mich.“
„Hoho!“ rief er, und ein knurrender Laut zog lang nach. „Ich bin doch nicht nur so zu commandiren.“
„Aber wenn ich recht herzlich bitte, die Arbeit eine kleine Stunde ruhen zu lassen? Es wird ja nicht so lange dauern, und es muß sein, Onkel Benjamin.“ Sie legte die Hand auf die Brust und sah ihn recht ernst und entschieden an. „Ganz gewiß, es muß sein.“
Er schob den Schirm über die kahle Stirn und blickte ihr mit seinen blauen Augen kopfschüttelnd in das erhitzte Gesicht. Dabei schien er sagen zu wollen: So – so! Wollen doch einmal abwarten. Aber er sagte es nicht und sagte eine kleine Weile überhaupt nichts. Die Augenlider fingen an sehr beweglich zu werden, die Stirn krauste und glättete sich abwechselnd. Wie sie so ernst vor ihm stand, mochte wohl in ihrem Wesen etwas sein, das blinden Glauben forderte. Und so äußerte er denn am Ende kleinlaut: „Ja, wenn es sein muß …“ und erhob sich zugleich langsam vom Stuhl. Nun umarmte und küßte sie ihn. Er ließ sich’s ziemlich mürrisch gefallen.
„Aber ich werde doch erfahren können, was es giebt?“ fragte er, indem er schon sein Arbeitszeug fortpackte.
„Alles,“ versicherte sie. „Aber später, mein guter Onkel, später. Es ist sogar durchaus nothwendig … aber später. Erst muß das in’s Reine gebracht sein, und ohne alle Worte – ich möchte sagen, auf alle Fälle. Bis zwei Uhr längstens haben wir Zeit. Der Wagen wartet ja auch –“
„Nun gut, gut!“ brunmmte er, „ich beeile mich ja schon.“ Er streckte den Arm nach dem Hut aus, der zwischen den Wanduhren an einem Nagel hing, und zog ihn wieder zurück. „Kann’s nicht auch Walter sein?“ fragte er halblaut, wie schon der ablehnenden Antwort gewiß.
„Nein, Onkel,“ entgegnete sie denn auch, „Keiner als Du. Ich brauche meinen Vormund.“
„Ah so! den Vormund. Dem hast Du bisher wenig zu thun gegeben. Nun soll’s wohl nachkommen im letzten Jahre?“ Er bürstete den Hut mit dem Rockärmel glatt. „Ich will nur Walter melden, daß ich weggehe,“ sagte er und trat in das Cabinet, das zu den hinteren Wohnräumen führte. Es dauerte ziemlich lange, bis er zurückkam. Wahrscheinlich ward der sonderbare Fall dort noch besprochen. Helene klopfte mehrmals ungeduldig mit dem kleinen Sonnenschirm auf die Hand und musterte die Uhren ringsum, die doch alle fast auf dieselbe Secunde die schon vorgerückte Zeit zeigten.
Als sie dann endlich im Wagen Platz genommen hatten, fragte sie: „Welchen Notar kannst Du empfehlen, Onkel? Er darf aber nicht allzu sehr beschäftigt sein, da wir rasch abgefertigt sein wollen. Es drängt wirklich sehr.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_750.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2023)