Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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wir wieder seewärts, um Single-Eiland herum auf Hongkong zu, wo wir, nach 5 Tagen und 4 Nächten, wohlbehalten anlangten.
Ich ließ das Boot bei einem deutschen Schiffe und begab mich sofort zum Bericht an Land zum Consul, der uns, mich und den Steuermann, vorläufig in einem Hôtel unterbrachte. – Den nächsten Tag war ich mit Briefen vom Consul bei dem englischen Commodore und dem amerikanischen Admiral und erhielt von dem Ersteren endlich am nächsten Tage Antwort: daß das Kanonenboot ‚Swift‘, augenblicklich in Swatow stationirt, nach Pratas beordert werden sollte. Am 10. Mai ging ich mit dem Dampfer ‚Kwangtung‘, die Ordres für den ‚Swift‘ in der Tasche, nach Swatow, und am 11. Mai Vormittags 10 Uhr ging ich mit dem ‚Swift‘ von Swatow in See. Eben als wir absegeln wollten, traf der Dampfer ‚Ferntower‘ von Saigun ein und berichtete, daß er den ‚Mataram‘ ohne Masten und verlassen 30 Meilen südostwärts von Pedro blanco treiben gesehen habe.
Am 12. Mai langten wir nach zehntägiger Abwesenheit wieder bei Pratas-Eiland an, wo wir die malayische Mannschaft glücklicher Weise noch gesund und wohlauf vorfanden. Sie waren überglücklich und beteten mich fast an, daß ich ihnen Wort gehalten.
Aber der ‚Swift‘ hatte sehr große Eile –! und so wurde uns nur erlaubt, etwa die Hälfte unserer Effecten mitzunehmen, der chinesische Koch (der sich wahrscheinlich verspätet hatte), sowie sämmtliches geraubtes Inventar des ‚Mataram‘, das von den Chinesen alles auf einen Haufen gepeilt war, und unsere anderen Sachen wurden zurückgelassen. Die Boote landeten weit ab vom Lager, sie waren keine Stunde an Land, dann ging’s in größter „hurry“ wieder an Bord und fort in See.
Die Malayen erzählten, daß sie die ganze Zeit von den Chinesen sehr belästigt worden seien, jedoch durch die Vermittelung des chinesischen Kochs zwei Segel zu Zelten und ein Faß Wasser erhalten hätten. Aller Proviant und Wasser seien gerade denselben Morgen, als der ‚Swift‘ ankam, zu Ende gewesen. Außerdem erzählten sie vom Schiffe das schon Erwähnte, daß die Chinesen die Ketten geschlippt hätten und ‚Mataram‘ seewärts getrieben wäre. –
Am 13. Mai, Nachmittags 3 Uhr (Pfingstsonntag) erreichten wir Hongkong und verließen den ‚Swift‘ und am 16., nachdem Verklärung abgelegt und Protest unterzeichnet war, wurden alle Mann vor’m holländischen Consul abgemustert und entlassen. Noch denselben Tag lief die Nachricht von Swatow ein, daß das Dampfboot ‚Tamsui‘ den ‚Mataram‘ in See, unweit Breaker-Point treibend getroffen und in den Hafen von Swatow eingeschleppt habe. Sofort segelte ich in dem Dampfer ‚Killarney‘ ab und langte am folgenden Mittag in Swatow an, wo ich vom holländischen Consul im ‚German home‘ untergebracht wurde, dann fuhr ich an Bord des ‚Mataram‘. Doch das Herz blutete mir, als ich das gute, brave Schiff betrat und es in diesem schrecklich verwüsteten Zustande fand. Ich hatte es überall so schön in Ordnung gehabt, nach so manchem vergossenen Schweißtropfen und angestrengtester Mühe, und nun hatten es ruchlose Piratenhände in wenigen Stunden in ein ödes, trauriges Wrack verwandelt!
Das Schiff wäre fast unbeschädigt gewesen, wenn es die Chinesen nicht in Besitz genommen; es war allerdings auf Grund gewesen, doch das kann sehr leicht passiren, damit ist es noch lange nicht verloren. Die meisten Schiffe, die auf See fahren, haben das schon ein-, viele mehrmals durchgemacht. Wie zum Hohn hatten die Chinesen die weiße hintere Kajütenwand mittels der aufgefundenen Farben mit Dankwörtern an ihre Götter beschmiert; die eine Sudelei bedeutete: ‚Tausend Dank, Gott! schöner Tag, viel Beute, kein Kampf‘ etc.
Schade, daß kein holländisches Kriegsschiff in der Nähe war: so werden die Piraten auf Pratas nach Belieben mit ihrem Raube schalten und walten können und ungestraft davon kommen. Das Benehmen des ‚auf Ordre‘ handelnden ‚Swift‘ kann den Piraten nur zur Ermuthigung dienen; daher würde ich es nicht ungerecht nennen, wenn das nächste Schiff, das dort von den Chinesen geplündert wird, ein englisches wäre.“
Die Braut in Trauer.
Früh am nächsten Vormittage ereignete sich dann etwas, das Helene nöthigte, ihren Erwägungen eine andere Richtung zu geben. Sie erhielt einen Brief in einem zierlichen Umschlag. Im Kreuzpunkt auf der Rückseite zeigte sich eine kleine Rosenknospe. Unwillkürlich mußte sie an die Knospe denken, die Herr von Brendeln im Knopfloch getragen hatte, und nun erbrach sie den Brief mit zitternden Fingern. Was hatte er ihr zu schreiben?
Während des Lesens überflammte helle Röthe Wangen und Stirn. Sie schwand langsam wieder; ein Lächeln spielte über das Gesicht hin, und unmittelbar darauf wurde die Lippe von den kleinen Zähnen gefaßt und tief eingedrückt. Sie hielt den Brief noch unbeweglich vor sich hin, als die Augen schon darüber weg blickten, und dann faltete sie ihn mit aller Ruhe zusammen und schob ihn in’s Couvert zurück.
Assessor von Brendeln machte ihr mit der Anzeige, daß seine Ernennung zum Regierungsrath gestern Abend eingetroffen sei, einen förmlichen Heirathsantrag. Er betheuerte in einigen poetisch angehauchten Sätzen seine leidenschaftliche Verehrung, wagte auch an ein wenig Gegenneigung ihrerseits glauben zu dürfen – so viel seiner Bescheidenheit vorerst genügen müsse – und versicherte schließlich, er selbst werde mit Frau Consul Berghen in allernächster Zeit sprechen. Es scheine ihm das Richtige, daß sie durch ihn erfahre, was sie voraussichtlich im ersten Augenblick nicht angenehm berühren werde. „Und so, mein theuerstes Fräulein,“ schrieb er, „behalten Sie denn freieste Wahl, mich unbegreiflicher Vermessenheit zu beschuldigen, oder mit einem Wort meine Kühnheit zu rechtfertigen. Ich vertraue meinem guten Stern.“
So war nun also auf ein ganz bestimmtes Ziel in nächster Nähe hingewiesen, das zu ergreifen lediglich von ihrem Willen abhing. Nahm sie den Antrag an, so ergab sich alles Weitere von selbst. Ihre Zukunft war gesichert in der Weise, wie man in ähnlichen Fällen von gesicherter Zukunft eines Mädchens mit mäßigen Ansprüchen an’s Leben zu sprechen pflegt. Die Ansprüche brauchten nicht einmal ganz mäßig zu sein. Der Mann, der sich um ihre Hand bemühte, war von Adel, in einem höheren Staatsamt, als geistvoll und geschäftstüchtig bekannt. Auch sonst sprach nichts gegen ihn. Diese rein praktischen Erwägungen waren jetzt ganz Helenens nüchterner Stimmung gemäß. An eine Versöhnung mit der Familie Berghen war nicht zu denken; sie hätte ihre völlige Unterwerfung zur Voraussetzung gehabt. Nun bot sich ein bequemer Weg zu einer mittleren Höhe, auf der ihr wohl sein konnte, wenn sie nicht idealistischen Träumereien thörichter Weise nachhing. Wozu das auch? Es war ja kein Mensch auf der Welt, der von ihrem Herzen etwas haben wollte, wie sie es in ihrer Brust klopfen fühlte. Was Brendeln von ihr erwartete, schien ihr überhaupt da gar nicht abgewogen werden zu können.
Wenige Stunden später ließ die Frau Consul sie auf ihr Zimmer bitten. Sie fand dort auch Osterfeld und Selma. Alle drei waren augenscheinlich in großer Aufregung. „Das ist also der Schlüssel zu Deinem sonderbaren Benehmen in letzter Zeit,“ begann die Mama. „Nun verstehe ich Deine gestrige Haltung. Wir erleben ja merkwürdige Dinge.“
„Das hätte ich Dir nie zugetraut,“ rief Selma.
„Da ist’s nun zu Tage, welchen Rückhalt man hatte,“ meinte Osterfeld boshaft lächelnd.
„Wovon sprecht Ihr?“ fragte Helene, mit großen, kalten Augen im Kreise umschauend.
„Thue noch unschuldig,“ verwies sie die Frau Consul streng, eine Visitenkarte, die vor ihr auf dem Tisch lag, aufhebend und wieder fortwerfend. „Man wird mir nicht einreden, daß so etwas ohne Mitwissen des andern Theils geschieht. Wenn Du es denn noch ausdrücklich hören willst: Herr von Brendeln ist bei mir gewesen und hat – um Deine Hand angehalten.“
„Und was – hast Du ihm geantwortet?“ fragte Helene beklommen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_748.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)