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Seite:Die Gartenlaube (1883) 738.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nochmals die Brille.

Von Dr. J. Herm. Baas (Worms).

Die Welt durch eine gefärbte Brille zu betrachten, galt von jeher als ein gelinder Vorwurf, mag er sich nun darauf bezogen haben, daß man sie zu schwarz, oder darauf, daß man sie zu farbig sehe. Begegnet man aber in unseren Tagen den so zahlreichen Trägern blauer, grauer, selbst gelber Brillen in den Straßen der Städte und selbst schon der Dörfer, so könnte man leicht zu dem Glauben verlockt werden, das alte Sprüchwort habe seine Geltung nahezu verloren und das Farbigsehen der Dinge sei wohl heutzutage gar zum Vorzug geworden.

Sicher ist es zum Theil auch ein solcher, zum anderen Theil aber erwächst den Trägern farbiger Brillen ein verstärkter Vorwurf. Diese letzteren nämlich sind nur dann ein wahres Nutzmittel, wenn sie mit sachverständiger Auswahl in Augenkrankheiten verwendet werden; sehr häufig aber werden sie vom Publicum auf eigenmächtige Selbstverordnung hin in Gebrauch gezogen in Fällen, in denen sie gar nicht nöthig, meist sogar schädlich sind. Der Laie sucht eben stets auch in Heilmitteln, die nur bei einer Auswahl oben bezeichneter Art zuträglich sind, gar zu gern ein Universalmittel, giebt der weitverbreiteten Sucht, das Besondere zu verallgemeinern, nach, und zwar auch dann, wenn strenges Individualisiren allein vom Heile sein kann.

In Bezug auf die farbigen Brillen schließt er demgemäß also: wenn heutzutage die Aerzte dieselben in Krankheiten zur Schonung, ja zur Besserung der Augen verordnen, so können sie doch wohl Gesunden nicht schaden, sondern müssen auch sie schonen, noch mehr aber werden sie das bei „etwas angegriffenen“ Augen thun; da können sie ja blos nützlich sein.

Dieser Schluß jedoch, so häufig er gemacht wird, ist hier, und auch bei anderen Mitteln, ein durchaus falscher. Es darf nämlich vor allen Dingen nicht unberücksichtigt bleiben, daß das eigentliche Sehen durch gefärbte Gläser stets erschwert wird, weil sie ja alle Gegenstände, je nach dem Grade ihrer Färbung, stärker oder schwächer verdunkeln. Beim Arbeiten und Lesen wirken sie daher fast immer schädlich. Und doch werden sie häufig gerade dabei verwendet, sogar in dem Falle, wenn die Augen in Folge von Ueberanstrengung schon schmerzen, in welchem Falle das Uebel lediglich vermehrt wird.

Nur heftige Reizzustände der Augenhäute und viele Krankheiten des inneren Auges, worüber der Laie am wenigsten entscheiden kann, erfordern im Allgemeinen den Gebrauch gefärbter Gläser in Form sogenannter Schutz- oder Muschelbrillen, wie sie ihrer Gestalt wegen genannt werden.

Dabei ist aber auch ferner noch die Unterscheidung zu treffen, ob blaue oder graue Gläser jeweilig am Platze sind, was doch begreiflich auch wieder nur bei genauer Kenntniß und Erkenntniß der Natur vorhandener Leiden möglich ist. Die Wirkung der beiden Farben ist nämlich eine ganz verschiedene: graue Gläser dämpfen das Licht im Ganzen, setzen die ganze Lichtwirkung herab, blaue dagegen bewirken dies besonders in Bezug auf einzelne Theile des Sonnenlichtes, das ja bekanntlich aus den verschiedenen farbigen Strahlengattungen, wie sie der Regenbogen zeigt, zusammengesetzt und in dieser Zusammensetzung farblos ist, und zwar vorzugsweise in Bezug auf die orangefarbenen Strahlen, die freilich das Auge am meisten „reizen“.

Ohne auf weitere Einzelnheiten einzugehen, kann man im Allgemeinen sagen, daß blaue Brillen in heftigen, rasch verlaufenden Entzündungen des äußeren wie des inneren Auges, graue dagegen in schleichend und versteckt einhergehenden Leiden, besonders des Augeninnern, am Platze sind. Gelbe Brillen dagegen nützen nur in den seltensten Fällen, weil sie unter allen Umständen die Netzhaut erregen, und sind deshalb selbst in Form von Jagdbrillen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig und unschädlich.[1]

Weiterhin sind farbige Brillen, entgegengesetzt der fast allgemeinen Meinung des Publicums, baldmöglichst bei Seite zu legen, weil bei zu langem Tragen derselben die Gefahr eintritt, daß das Auge sich des freien Lichtes, selbst bis zu hohem Grade, entwöhnt und dasselbe dann geradezu als Schädlichkeit empfindet.

Beim künstlichen Lichte gar, das ja fast unter allen Umständen schwächer ist als gewöhnliches Tageslicht (man sehe nur einmal eine Gaslaterne in den Tag hinein brennen!), wirkt das beliebte Aufsetzen farbiger Brillen (und Schirme) nahezu immer, ganz abgesehen von Fällen, wo das Auge wirklich erkrankt ist, augenanstrengend und dadurch schädlich.

Stellen wir nun die Frage: wann darf der Laie unbedenklich und wann soll er farbige Gläser auf eigene Verantwortung wählen? so müßte die Antwort lauten: eigentlich nie! Geschieht es aber doch, was ja nicht zu verhindern ist, so soll es nur geschehen in Fällen, wo das Auge längerer Ueberblendung ausgesetzt ist, sei es durch Tages- oder künstliches Licht, vor Allem bei Feuerarbeitern, die häufig genug sich schwere Netzhautleiden zuziehen, dann bei Gletscherreisen, bei Schneetouren, Fahrten auf glitzernder See, bei gewissen Opernvorstellungen mit grell wechselnden Lichteffecten u. dergl. Hier aber wähle man stets graue Brillen in so dunker Schattirung, als angängig ist, schon deshalb, weil sie die Gegenstände, Ansichten etc. in ihrer natürlichen Färbung belassen, was bei blauen nicht der Fall ist, da sie alles blauroth färben. Freilich sind die grauen Schutzbrillen etwa um ein Dritttheil des Preises theurer als die blauen; das ist zwar häufig ein Grund für die Wahl dieser letzteren, dürfte es aber doch eigentlich bei so wichtiger Sache nicht sein.

Eine andere Art von Schutzbrillen – entweder ungefärbte, aus starkem, farblosem Glase, oder aus Glimmer hergestellt – sollten vor Allem alle Eisenarbeiter, wie Schmiede, Schlosser u. dergl. tragen; denn wie häufig gehen Augen bei diesen zum Theile oder ganz zu Grunde in Folge eindringender Splitter, auffahrender Eisenstücke, Funken u. dergl.! Aber alles Reden und Rathen ist leider in der Regel nutzlos. Erst ganz vor Kurzem verlor hier ein Arbeiter das zweite Auge durch ein abgehauenes Eisenstück, nachdem er vor Jahren das erste in einer Werkstatt Sachsens auf dieselbe Weise eingebüßt hatte: arm und – blind durch Fahrlässigkeit und Leichtsinn, im neunzehnten Jahre!

Auch bei Schutzbrillen sollte man stets regelrecht auf beiden Flächen ganz gleichgeschliffene, nicht gegossene, wählen, da diese häufig in der Masse Fehler, wie Blasen u. dergl., haben und auf beiden Flächen nicht ganz eben und gleich sind, dadurch aber das Licht falsch brechen und durchlassen.

Eigentliche Seh- oder Lesebrillen (also convexe oder concave oder zylindrische Gläser, die wir später besprechen werden) in Farben zu tragen, dazu ist nicht häufig Veranlassung und deshalb die Auswahl solcher stets dem Arzte anheimzugeben. Sie sind ganz bestimmt viel seltener anwendbar, als das Publicum glaubt, das auf eigene Gefahr sie aussucht – zur Schonung der Augen, obwohl bei ihrer Verwendung fast immer das Gegentheil bewirkt wird.

Ist aus dem soeben Gesagten ersichtlich, daß das Publicum sich mit den gefärbten Gläsern bereits allzu vertraut gemacht hat, so herrscht fast noch in allen Kreisen desselben völlige Unbekanntschaft mit einer gar nicht selten verwendeten Art von Gläsern, den eben erwähnten zylindrischen. Sie sind freilich auch in letzter Zeit, erst etwa seit 30 Jahren eingeführt worden. Die Schleifung derselben geschieht, wie ihr Name schon sagt, nach der Wölbung eines Cylinders, nicht nach der Wölbungsfläche einer Kugel, wie dies bei den altgebräuchlichen convexen und concaven der Fall ist, die man deshalb auch als die sphärische bezeichnet. – Es ist aber gerade die Verwendung der cylindrischen Gläser eine der genialsten Errungenschaften der modernen Augenheilkunde!

Fig. 1.

Zur Klarstellung ihres Gebrauchs müssen wir in Kürze vorausschicken, daß feinste Messungen der Oberflächenkrümmung der Hornhaut dargethan haben, daß selbst im regelmäßig gebauten, besten Auge die letztere von oben nach unten (a) stärker gewölbt ist (Fig. 1), als im Durchmesser von rechts nach links (b). Dieser Unterschied in der Wölbung, oder was dasselbe sagt, des Brechvermögens der beiden (Meridian-)Richtungen ist aber für gewöhnlich nicht groß genug, um Störungen


  1. Auch das Sehen durch rothe und grüne Gläser, wie dies seit einigen Jahren von Reisenden, zumal in der Schweiz, öfters zur „Verschönerung“ gewisser Aus- und Fernsichten angewendet wird, ist nicht ohne jedes Bedenken, da beide Farben die Augen gleichfalls reizen und angreifen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_738.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2024)