Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Als nun der Kronprinz dem bewegten Herrn und Vater die Hand küssen wollte, als der Kaiser den stattlichen Thronfolger an seine Brust zog und ihn küßte - wo ist eine Feder, welche diese Scene würdig und entsprechend schildern wollte?
Und neben dieser Gruppe stand Johannes Schilling, der bescheidene Künstler, dem die Thränen unaufhaltsam in den vollen Bart rannen, der beglückte Meister, der seiner Erregung kaum Herr werden konnte. Brausend erklang die Nationalhymne in das Thal, jubelnd ertönte der Weihegesang: „Lieb’ Vaterland magst ruhig sein“ vom Eichwalde herab, von tausend Kehlen angestimmt, mächtiger wirkend als je zuvor. Da trat der Kaiser an Moltke heran und reichte dem treuen Kampfgenossen die Rechte, ihn mit seinen gewinnenden Augen fest anblickend – in diesem kaiserlichen Gruße den Dank aussprechend allen Jenen, die da mitgeholfen, seien sie noch unter den Lebenden, seien sie dahingerafft im Kampfe um das heiß errungene Ziel. Das waren keine äußerlichen Formen mehr, das waren wahrhafte Ergüsse väterlicher Liebe und unverbrüchlicher Volkestreue. Das hehre Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Stolz auf die jetzige Größe unseres Vaterlandes und unserer Nation, wie gerechtfertigt waren sie heute, waren sie an dieser Stelle - es war ein Fest von unsäglichem Zauber, wie wir in Deutschland noch keines erlebt. –
Und wie die Fahrt zum Berge hinauf, so war auch jene hinunter zur Festesstadt Rüdesheim ein Triumphzug der Liebe und Verehrung für Kaiser und Reich. Da jubelten deutsche Herzen den Führern der Nation entgegen, da verstummte politischer Hader, da fühlten Alle, wie König Albert von Sachsen später in Wiesbaden bedeutungsvoll sagte, „die Erinnerung an eine ernste, aber schöne Zeit“ und gedachten, wie er, „in dankbarer Freude, daß unser Vaterland während zwölf Jahren des äußeren Friedens seine Siege genießen konnte!“
Die kleine Festesstadt Rüdesheim darf stolz sein auf die Veranstaltungen, die sie zum Weihetag getroffen. Natürlich fehlten auch Triumphbogen und Festestrunk nicht, namentlich aber lenkte ein riesiges Faß, für die weingesegnete Stadt charakteristisch genug, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Dasselbe bildete eine kolossale Ehrenpforte und war von dem Architekten Franz Schädel aus Frankfurt am Main ausgeführt worden. Es ist 9,50 Meter lang und 4,80 Meter hoch, ohne den Kuppelbau auf der Mitte des Fasses, der sich auf einem 1,35 Meter hohen Untersatze erhebt und in einem Riesenrömer gipfelt. Beiläufig gesagt, würde das Faß gefüllt 473,000 Flaschen oder gegen 136 Stück Wein fassen, ist also etwa um 70 Stück größer als das berühmte Heidelberger Faß. Als der kaiserliche Zug sich dem mächtigen Faß näherte und die kolossalen Pforten desselben sich erschlossen, um das Gefährt des Kaisers hindurch zu lassen, da nähert sich, bis dahin im Innern des Fasses harrend, der alte Meuer dem Kaiser. Meuer ist Küfer seines Zeichens und Weinbauer, eine originelle Persönlichkeit, wie sie eben dem Rheine nur eigen. Er bietet den Pokal dar, und der Kaiser, ihn wieder erkennend, nimmt dankend auch diesmal den Edeltrank von ihm entgegen. War es doch Meuer, der auch bei der Grundsteinlegung des Denkmals 1877 denselben Ehrenposten inne hatte.
Als damals Kaiser und Kronprinz den ersten Wilkommbecher geleert, bot der biedere Rheingauer den schnell wiedergefüllten Becher zum zweiten Male dar. Der Kaisen lehnte dankend die edle, aber feurige Gabe ab, da aber blickt Meuer treuherzig hinauf zum Kaiser Wilhelm und dann zum Kronprinzen und sagt:
„Majestät, dann lassen Sie ihn noch emol!“
Der Kaiser lächelt und leutselig thut der Kronprinz ein zweites Mal Bescheid.
Heute reicht der Kaiser den Becher dankend zurück, mit einigen Worten der Genugthuung Ausdruck gebend, den biederen Alten wieder am selben Posten zu finden.
„Ja,“ sagt Meuer, „damals war’s scheen, Majestät, heit ist’s aber noch scheener! Heit is was passirt, was noch nit da war, seit die Weltgeschicht’ existirt!“
Auf die fragende Miene des Kaisers setzt Meuer schnell hinzu:
„Nu, Majestät, das war doch noch nit da, daß mer mit vier Pferd’ in ä Faß ’neinfährt unn drinn ä Glas Wein trinkt!“
Herzlich lachten Kaiser und Kronprinz über den treuherzigen „Rhingaer“, der glücklich vor sich hinschmunzelte.
Aber schon naht sich der kaiserliche Zug der Rheinhalle unten am Rheinufer. Jungfrauen von Bingen und Mainz bringen auch hier in poetischer Form den Willkomm dar. Und draußen im Strome salutirt die buntbewimpelte Flotte, da harren die prächtigen Dampfer des Rheins, da jubeln die schmucken Matrosen droben in den Raaen, da ertönt ein tausendfaches Hurrah von Bord zu Bord, da donnern die Geschütze vom andern Ufer und von den Höhen herab über den Strom, und die volle Sonne scheint hernieder auf Berg und Thal, auf Flur und Au, als sei ein Sommertag erschienen, um lichte Strahlen zu gießen auf die fröhliche, glückliche Menge.
Und in dem reichen Kranze der Fürsten, der Heerführer und Staatsmänner die festlich geschmückten rheinischen Mädchen, Jugend und Alter in bunter Gruppe.
Dann zogen sie vorüber, die dreißig Dampfer in ihrem Festesschmucke, die Insassen derselben die nationale Hymne anstimmend, und wenn ein Musikcorps endete, setzte das nächste ein – es war der Freude und des Jubels kein Ende. Wo aber Graf Moltke erschien, da stimmte von Neuem der tausendstimmige Chor sein Hurrah an, waren doch der Kampfgenossen so viele aus allen Gauen hier zusammengeströmt, auch ihn noch einmal zu sehen, der einst die Getreuen zum Siege geführt. Wenn selbst die allerdings nur wenig zahlreich erschienene französische Presse durch einen ihrer Vertreter uns das Lob spendet, „daß dies Fest
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_717.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)