Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Ich glaube ein christlicher Theologe zu sein und im Reiche der Wahrheit zu leben, deshalb will ich frei sein und mich keiner Autorität, sei es des Kaisers oder der Universitäten oder des Papstes, gefangen geben, um zuversichtlich Alles zu verkündigen, was ich als Wahrheit erkenne, sei es von einem Katholiken oder Ketzer behauptet, sei es von einem Concil angenommen oder verworfen.“
Damals hat ein gewisser Mosellanus den Reformator beschrieben: ein Bild, das ziemlich anders aussieht, als das des späteren wohlbeleibten Mannes, der uns auch in dem Wormser Denkmal entgegentritt. „Martinus“ schreibt dieser Zeitgenosse, „ist von mittlerer Statur; sein Leib ist schmächtig, durch Sorgen und Studien abgemagert, sodaß man fast alle Knochen an ihm zählen kann, seine Stimme tönt hell und scharf. Seine Gelehrsamkeit und sein Verständniß der heiligen Schrift ist unvergleichlich, sodaß er fast alles an den Fingern herzählen kann. Im Leben und Umgang ist er höflich und freundlich. In Gesellschaft führt er ein fröhliches und angenehmes Gespräch, ist lebhaft und heiter, immer munter und fröhlichen Gesichts, sieht immer freundlich aus, wie hart ihm auch seine Widersacher drohen, sodaß man wohl gern glaubt, er gehe nicht ohne Gott mit solchen wichtigen Dingen um.“
Des deutschen Volkes Ehrentag.
„– Lebendig ist geworden,
Was uns’rer Väter Hoffen war.
Vom Fels bis zu des Meeres Borden
Flog unser mächt’ger Kaiseraar.
In Lieb’ und Treue jubelnd weihen
Wir Deutschland ewig Herz und Hand. –
Heil uns’rem Kaiser! Heil dem freien
Und ein’gen deutschen Vaterland!“
E. Rittershaus.
So sind sie denn vorüber, die herrlichen Festesstunden der letzten Septembertage, so ist denn die Weihe geschehen in würdigster Form, durch keinen Mißton gestört, durch keinen Unfall getrübt! Das waren Stunden, wie sie jedem Volk zu wünschen sind – hehr und geheiligt durch eine Stimmung der Andacht und Weihe, wie sie unter dem blauen Dom des Himmels nicht häufig erscheint!
Wenn auch die „Gartenlaube“ darauf verzichten muß, nachträgliche Schilderungen der Feier ihren Lesern zu bieten, wie solche in den Blättern des Tages längst vorgelegen, so gelingt es uns doch vielleicht, noch mancher Einzelheiten gedenken zu können, die der Aufbewahrung für spätere Zeiten würdig sind. Hat die „Gartenlaube“ mit zuerst den Gedanken der Errichtung unseres nationalen Denkmals auf dem Niederwald vertreten, so ist sie auch zu einem Schlußworte berechtigt, ja verpflichtet.
Ohne Ueberhebung dürfen wir sagen, daß edler wohl selten ein Volk das Fest einer Verbrüderung gefeiert, wie an jenem Tage das unsere. Welche Einstimmigkeit trat in diesen Menschenmassen hervor – in diesem Menschengewühl, das mindestens aus hunderttausend Theilnehmer zu berechnen war! Ja, wir sind ein Volk, und einig können wir handeln! Trotz Wein und Festesjubel, ohne Ueberwachung der heiligen Hermandad, würdig von Anfang bis zu Ende verlief der Tag. Nichts erinnerte an jene kriegerischen Zeiten, in denen wir uns zu der jetzigen Bedeutung als Volk hindurchrangen – Alles war vermieden, was auch nur irgendwie Feindseligkeit oder Uebermuth gegenüber dem Nachbarlande kund thun konnte – die deutsche Nation hat ein Beispiel gegeben, wie ein Volk sich selbst ehrt.– –
Schwer lagerten die Wolken drüben über der Grenze nach Frankreich hin, die Vogesenkette nur hier und da durch abwechselnde Aufhellung erleuchtend. Ein frischer, rheinischer Luftzug setzte die Helmbüsche der zahlreichen Generalität in flatternde Bewegung, daß sie erschienen wie friedliche Festesfahnen, die Banner der Krieger- und Sängervereine wehten ihre Grüße über die Festversammlung hin und hinunter in’s Land, als setzte sie eine unsichtbare Hand in diese grüßende Bewegung, und einzelne Sonnenstrahlen leuchteten hier und da über die hehre Gestalt der Germania, als geschähe dies Alles auf höhere Anordnung. Und als nun unser ehrwürdiger Kaiser seinem Wagen entstieg, als die alten Standarten mit den Resten ihrer zerschossenen und verwitterten Flaggentücher den Ehrengruß boten, sich vor dem Monarchen senkend, da ging es – nachdem der brausende Jubel des Willkomms sich endlich gelegt – wie ein geheimnißvolles Rauschen über den grünbelaubten Berg dahin, da erfaßte Rührung Alle, die da harrten des bedeutungsvollen Augenblicks der gemeinsamen Denkmal-Weihe. Vom Strom und vom anderen Ufer herüber tönte das fernschallende Hurrah mächtig wirkend in den Jubel der droben versammelten Festgenossen. Es war ein Gefühl, ein Band, welches das deutsche Volk in diesem unvergeßlichen Augenblicke umschlang. Wohl dem, der diese Stunde mit erlebt! Sie verkündete: Wir sind jetzt ein Volk, wir sind eines Stammes, eines Sinnes.
Wer konnte ungerührt bleiben, als die Vertreterinnen der rheinischen Städte (Marie Hey’l aus Wiesbaden, Helene Rittershaus aus Barmen, Anna und Clara Schilling aus Dresden, Emma vom Bruck aus Crefeld, Elise Götz-Rigaud aus Frankfurt und Louise von Ritter aus Rüdesheim) an den Monarchen herantraten, als die Sprecherin derselben (Marie Hey’l) das warmgefühlte treffliche Poem von Emil Rittershaus in innigster Erregung sprach, als der Heldenkaiser näher herantrat und unverwandten Blickes, selbst in offenbarer Gemüthsbewegung, der Rede lauschte:
„Segen, Heil dem Zollernsohne! – Sei gegrüßt im Land der Reben,
Du, der Deutschlands Kaiserkrone hat dem Reich zurück gegeben!
Dir, der Volkesglück zu schaffen, nimmer, nimmer müd’ geworden,
Friedensfürst und Held in Waffen, Gruß Dir an des Rheines Borden!
In des Rheines Rauschen hören wir das Herz von Deutschland schlagen.
Jauchzend schlägt es Dir entgegen, der durch Gottes gnädig Walten
Uns geführt auf Siegeswegen, der den Rhein uns deutsch erhalten!
Dank Dir, Herr, daß Du erschienen! Dankend blicken wir nach oben –
Treu dem Vaterland zu dienen, ist’s, was jubelnd wir geloben; –
Gott mit Dir! Er sprech’ ein Amen zu den Wünschen, die wir hegen!
In des deutschen Volkes Namen: Unserm, Kaiser Heil und Segen!“
Die Sonne brach einen Augenblick durch das bereits gelichtete Gewölk, so klar, daß sich selbst für die Theilnehmer auf den Schiffen drunten durch das offene Kaiserzelt hindurch ein Bild von mächtiger Wirkung bot. Wann drückte der Heldenkaiser der Sprecherin die Hand und sagte in innig bewegtem Tone:
„Wohl haben Sie Recht gehabt mit Ihren trefflichen Worten – durch Gottes gnädiges Walten ward uns der heutige Tag beschieden, und mit Dank blicke auch ich nach oben, zu Dem, der uns bis dahin geführt!“
Und nicht wohl anders als wahrhaft erschütternd mußte auf alle Theilnehmer nach dieser Rede der feierliche Choral: „Nun danket alle Gott“ wirken, der, von den Edelsten und den erlesenen Abgesandten des Volkes, von der ganzen Versammlung angestimmt, über den Berg weit, weit dahin tönte. Wer den greisen Kaiser beobachten konnte, wie er den Blick zu der im Sonnenlicht hier und da erglänzenden Germania hinaufwarf, während der Festrede des Grafen zu Eulenburg, der mußte unwillkürlich mit fühlen, was die Seele des Heldenfürsten in diesem Augenblick bewegte. Und wenn auch ein Ungefähr den Kanonendonner zu früh ertönen ließ, sodaß dieser sich in die Worte des Herrschers mischte, nicht leicht kann eine Rede einen mächtigeren Nachdruck empfangen, als es hier geschah, da der Kaiser, auf die Vorsehung hinweisend, sagte:
„Millionen Herzen haben ihre Gebete zu Gott erhoben, ihm für seine Gnade ihren demüthigen Dank dargebracht und ihn gepriesen, daß er uns für würdig befand seinen Willen zu vollziehen.“
Und als er endete:
„In diesem Sinne weihe ich dieses Denkmal: den Gefallenen zum Gedächtniß, den Lebenden zur Anerkennung, den kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung,“ da bekräftigte der Donner der Geschütze die königlichen Worte, da gab der Widerhall der mächtigen Salven dem Gesagten ein bedeutsames Geleit. Hoch aufrechtstehend mit dem Blick nach dem Denkmal, das Haupt entblößend, schloß Kaiser Wilhelm mit den feierlichen Worten: „das walte Gott!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_716.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)