Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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sein Ausbleiben entschuldigen zu wollen bat, da er Leipzig nicht ohne Lebensgefahr verlassen könne, „denn Martinus Luther, der Augustiner, hat die Mächtigen überall so wider mich erregt, daß ich nirgends sicher bin. Deshalb kann ich zu Ew. Ehrwürden, die ich lieber als einen Engel sehen möchte, aus meines Lebens Fahr nicht kommen“.
Da Miltitz bald darnach selbst nach Leipzig kam, ließ er sich den Tetzel vorführen und schrieb dann an den kurfürstlichen Rath Pfeffinger:
„Mir ist Tetzel’s lügenhaftes und schändliches Leben hinlänglich bekannt. Ich habe ihn dessen selbst mit gültigen Zeugnissen überführt und mit den Rechnungen überwiesen, daß er monatlich 130 Gulden (1040 Mark) für seine Mühe gehabt hat, dazu alle Kosten frei, einen Wagen mit drei Pferden und noch 10 Gulden monatlich für seinen Diener, ohne das, was er obendrein gestohlen hat. So hat Tetzel, der überdies auch noch zwei Kinder hat etc., der Kirche gedient! Ich werde Alles nach Rom berichten und ein Urtheil über ihn erwarten.“
Tetzel selbst wollte nach diesem bedrohlichen Zusammentreffen mit Miltitz aus dem Lande fliehen, erkrankte aber und wurde so elend, daß sogar Luther ihm einen freundlichen Trostbrief schrieb, in dem er ihn versichert, daß er nicht wider ihn, sondern gegen einen ganz Anderen kämpfe und daß sich Tetzel vor ihm und seinem Namen nicht fürchten solle.
Bald darauf starb Tetzel, im Juli 1519, als ein sechszigjähriger überlebter, verurtheilter und von Denen schon fast vergessener Mann, die ihn vor wenig Jahren im Triumphzug in ihre Städte eingeführt hatten! Der Streit aber, der sich über sein Treiben entzündet, hatte unterdessen die engen Grenzen der Ablaßfrage längst durchbrochen, viel gewaltigere Verhältnisse angenommen und sich gegen viel wichtigere Fundamentallehren der römischen Kirche gewendet. So war es denn ohne weitere Bedeutung, daß später selbst das Tridentiner Concil in dieser Frage sehr milde und versöhnlich urtheilte.
Diesen ganzen Ablaßstreit hat uns der bekannte Münchener Historienmaler W. Lindenschmitt in seinem an die Schule Kaulbach’s erinnernden Idealbilde mit ergreifender Charakteristik dargestellt und dabei alle historischen Personen in demselben vereinigt, welche an dem Ablaßstreit oder auch an der zum Theil mit dem Ablaß sich beschäftigenden Leipziger Disputation (27. Juni bis 15. Juli 1519) Theil genommen haben.
In einer Kirche, welche hier als Sinnbild der christlichen Kirche überhaupt erscheint, hat Tetzel dem Altar, welchem aber jetzt Alles den Rücken dreht, gegenüber seine erhöhte Verkaufsstätte unter dem Bilde des jüngsten Gerichts aufgebaut, wo uns vor Allem die große Geld- und Ablaßzettelkiste in die Augen fällt. Im rechten Vordergrunde unter dem Volke steht der abgehärmte, unbeugsame und von heiliger Gluth erfüllte Augustinermönch Luther, den damals der Cardinal Cajetan als eine „deutsche Bestie mit tiefliegenden Augen und tiefsinnigen Speculationen im Kopf“ bezeichnet hat, der er nicht mehr begegnen wolle. Auf die Bibel zeigend, erhebt er seine Stimme gegen den Unfug des Ablaßhandels. In seiner Umgebung finden wir die Bilder seines Gönners Staupitz und seiner Freunde Bugenhagen und Carlstadt.
Ueber dieser Gruppe sitzen in dem Chorstuhl der Kurfürst Johann Friedrich und der Herzog Georg von Sachsen mit ihren Begleitern. Vor Luther sehen wir in lebhafter Erregung verschiedene Gestalten: neben einer herrlichen Figur, den „christlichen Adel der deutschen Nation“ repräsentirend, Schüler und Volk, theils zuhörend, theils zum Zerreißen der Ablaßbriefe schreitend. Im Mittelgrunde des Bildes steht Johann Eck und der Dominikanerprior Hoogstraten, die beiden Hauptvertheidiger des Ablaßhandels, gegen das tobende Volk durch Waffengewalt geschützt. Ueber dieser Gruppe sieht man auf hoher Tribüne den Verkauf der Zettel und Tetzel dieselben ausrufend und auf die an der Wand hinter ihm gemalten Schrecken der Hölle weisend. Das heraufdrängende Volk stellt in Charaktergestalten die Ursachen des Ablaßbedürfnisses dar.
Zu oberst die als Rittersmann erscheinende rohe Gewaltthat – vor ihm ein knieender Dieb oder Strolch – zunächst der alte reiche Geizhals mit der jungen schönen Frau, die den Preis des Ablasses mit frecher Stirn der Börse ihres Liebhabers entlehnt, – dann mehr abwärts fanatische Weiber und Bauern, wucherische Bürger und gierige Advocaten, und ganz vorne links eine Gruppe eleganter Ritter und Frauen, die lustig und vergnügt ihren Ablaß einstecken, um – zur Fortsetzung des alten Wandels zu schreiten, begafft von den dreisten Augen der verwahrlosten in Faulheit und in Ehrfurchtslosigkeit aufwachsenden Jugend.
Dem gegenüber, auf der Kirchenbank rechts, sehen wir das Bild der inneren Reue und Zerknirschung, welche allein von der Sünde erlöst, und ein schlafendes Kind als Bild der Unschuld. Ueber dem Chorstuhl sieht man oben an der Wand das Bild des Sündenfalles und in dem Altarschrein auf der anderen Seite des Bildes die Geburt Jesu, die That der allen Zeiten und Völkern verheißenen Erlösungsgnade Gottes.
Unter Spitzbuben.
Wenn der geneigte Leser etwa glauben sollte, ich wolle ihm irgend eine der oft erzählten Räubergeschichten in veränderter Form auftragen, z. B. Gefangennahme eines harmlosen Reisenden, Aufenthalt in einer romantischen Felsenhöhle, endlich eintreffendes Lösegeld, als der Räuber Kühnster schon im Begriff war, sein Opfer für immer zum Schweigen zu bringen, so ist er in gewaltigem Irrthum. Meine Geschichte ist zahmerer Art, und ich würde vielleicht gar nicht daran denken, sie zu erzählen, wenn ich nicht das Interesse derer im Auge hätte, die gleich mir – denn ich habe die Ehre in dieser Geschichte eine Hauptrolle zu spielen – von dem südlichen Himmel und wer weiß, wovon noch, angezogen, sich einfallen lassen sollten, allein, als simple Reisende, die eine oder andere Gegend zu durchstreifen, es verschmähend, dem rothen Bädecker zu folgen, der genau vorschreibt, wo man gehen, essen, trinken und schlafen soll; ich würde sie nicht erzählen, wenn ich ferner nicht glaubte, es würde für das deutsche Publicum ergötzlich und lehrreich sein, zu vernehmen, wie es einem ehrbaren deutschen Professor gehen kann, der nach Alterthümern sucht, und welche Achtung man in Italien zuweilen vor deutscher Bildung hat.
Meine Geschichte hat außerdem zwei Vorzüge, die von dem lesenden Publicum in der Regel besonders geschätzt werden: erstens ist sie funkelnagelneu, denn sie passirte im Juli und August dieses Jahres; zweitens ist sie so wahr, wie nur eine Geschichte wahr sein kann, denn alles, was ich erzählen werde, ist in den heiligen Archiven der Polizei und Justiz auf Staatspapier niedergeschrieben – ein Vorzug, den nur wenige Geschichten haben –. Was aber dort nicht niedergeschrieben ist, kann ich durch das Zeugniß ehrlicher italienischer Spitzbuben und anderer vornehmer Gesellschaft, wie Gefangenenaufseher, Gefängnißschreiber, Polizeidiener etc., als wahrheitsgemäß bezeugen lassen, wenn dem skeptischen Leser, der nur deutsche Zustände kennt, etwa Zweifel aufstoßen sollten. Auch ein gewisses deutsches Consulat hat, freilich in anderem Stile geschrieben und mit Weglassung der Randglossen, die Geschichte in seinen Acten, und wird sich darüber mit gewissen italienischen Behörden in sicher ganz freundschaftlicher Weise unterhalten. Für jeden Leser wird es vielleicht auch nicht uninteressant sein, einen Blick in Sphären zu thun, die den meisten Deutschen, die das Land des ewig blauen Himmels anzieht, verschlossen sind, aber doch ein Stück Cultur jenes gesegneten Himmelsstriches ausmachen. Wenn ich die Eigennamen weglasse, so möge der verehrte Leser dies entschuldigen; ich kann sie aus mancherlei Gründen nur der Verschwiegenheit der Redaction der „Gartenlaube“ anvertrauen. Doch nun die Geschichte!
Wie tausend Andere hatte ich die Sommerferien ersehnt, um Leib und Geist zu erfrischen in den höheren Regionen der Alpenwelt, und diesmal hatte ich mir die höchsten zum Umherbummeln ausersehen. Nachdem ich von Genf aus halb zu Wasser und halb zu Lande bis nach Martiginy gelangt war, begab ich mich auf die breite schöne Straße, die einst von Napoleon I. gebaut wurde, um mit seinen barfüßigen, aber kriegsruhmdürstigen Kriegern über den großen St. Bernhard nach Italien die französische Freiheit zu importiren.
Was mich anbetraf, so hatte ich die friedlichsten Absichten. Ich wollte mein Reisetaschenbuch mit Notizen anfüllen über die Gegend, die Geschichte jenes Zuges des großen modernen Welteroberers, die historischen Denkwürdigkeiten in Augenschein nehmen, die sich etwa noch vorfänden etc. Nach dem Besuch des weltberühmten Hospizes vom heiligen Bernhard wollte ich aber in das Thal von Aosta hinuntersteigen, um die verhältnißmäßig noch wenig bekannten Ueberbleibsel römischer Herrschaft kennen zu lernen, bis ich dann das Dampfroß mit dem Schluß der Ferien bereit finden würde, mich nach M. zurückzuführen, wo ich als simpler Professor wiederum über die Syntax verschiedener moderner Sprachen jungen Leuten Vortrag halten sollte.
Ich hatte die Gastfreundschaft der Bernhardiner genossen und war im Thale der brausenden Dora auf manchen Hügel und manchen Berg gestiegen, um die möglichen und unmöglichen Römerbauten, die mir als
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_706.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)