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Seite:Die Gartenlaube (1883) 702.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

und Mais unter Zugabe kleiner Mengen von bestem trockenem Weizenbrod (Semmel oder Wecken), besonders dem sogenannten Potsdamer Zwieback, und gelegentlicher Spendung von ein wenig vorzüglichstem Obst versorgen, dagegen die bisher übliche Fütterung mit in Kaffee, Thee oder auch Wasser geweichtem Weißbrod aufgeben; noch unheilvoller als die letztere aber ist für solche kostbaren Vögel die leider stark verbreitete Darreichung aller möglichen menschlichen Nahrungsmittel, Fleisch, Fett, Gemüse, Kuchen u. a. m., denn selbst in kleinen Gaben, nur als Leckerei bringen dieselben ihnen doch ganz regelmäßig über kurz oder lang Verderben, Krankheit und Tod.

In neuerer Zeit werden bei den Vogellotterien auch Weichfutterfresser, das heißt eigentlich nur die allbekannten und allbeliebten Sonnenvögel ausgegeben, und diese müssen das schon erwähnte Mischfutter aus Ameisenpuppen und Gelbrüben, nebst etwas erweichtem Eierbrod, ferner auch einige Mehlwürmer und als Zugabe ein wenig Hirse, Kanarien- und Mohnsamen empfangen.

Während die kostbaren Harzer Kanarienvögel, von denen bei den Ausstellungslotterien mancher Vereine wohl einige oder mindestens einer im Werthe von 75 bis 100 Mark unter den Hauptgewinnen vorhanden sind, mit bestem süßem Sommerrübsamen zu drei Theilen und Kanariensamen zu einem Theil oder auch blos mit dem elfteren allein, immer aber unter Zugabe von ein wenig Eifutter (hartgekochtem Gelbei mit geriebener Semmel zu gleichen Theilen) oder anstatt dessen wenigstens mit etwas Löffelbiscuit versorgt werden, bekommen die Kanarienvögel von gemeiner Landrasse lediglich Rüben, Kanarien- und Hanfsamen, letzteren gequetscht.

Nachdem ich nun im Wesentlichen eine Uebersicht der Fütterung aller jener anspruchslosen Vögel gegeben, welche einerseits als Gewinne bei den Lotterien und andererseits als Hauptgegenstände einer bescheidenen Vogelliebhaberei in der Gegenwart zur Geltung kommen, werden die Leser mir darin zustimmen müssen, daß die Verpflegung derselben im Ganzen außerordentlich einfach, mühe- und kostenlos erscheint.

Ungleich schwieriger und bei weitem kostspieliger ist die Haltung der herrlichsten einheimischen Sänger, der Sprosser, Nachtigallen, Schwarzplättchen und anderer, sowie der verwandten fremdländischen, Spottdrossel, Schama und anderer Sängerköniginnen. Sie werden theils mit bloßen, besten, frischen Ameisenpuppen nebst Frucht, theils mit verschiedenen Weichfuttergemischen und Mehlwürmern und gleichfalls Beeren und anderer Frucht verpflegt; dazu aber bedarf es durchaus der Anleitung entweder von Seiten eines erfahrenen Vogelwirths oder der Belehrung durch ein stichhaltiges Handbuch der Vogelpflege.

In allen Fällen wollen die Vogelliebhaber entschieden daran festhalten, daß es zum Wohlgedeihen ihrer Pfleglinge nothwendig ist, ihnen sämmtliche Futtermittel, beziehentlich Nahrungsstoffe überhaupt, nur im allervortrefflichsten Zustande zu reichen. Ferner mögen sie es nicht außer Acht lassen, daß man jeden neueingetroffenen gefiederten Gast zunächst ganz ebenso verpflegen muß, wie es beim Verkäufer bisher geschehen ist, und daß man ihn erst ganz allmählich an die Nahrung gewöhnen soll, welche als zuträglicher für ihn gilt.

Von größter Wichtigkeit für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Stubenvögel ist sodann die Beschaffenheit ihrer Wohnungen, das heißt also der Käfige. Es würde hier zu weit führen, wollte ich eine vollständige Darstellung aller Käfige, wie sie für die zahlreichen Stubenvögel am besten hergerichtet werden müssen, nebst genauen Einrichtungs-, Größen- und anderen Angaben anfügen; dies ist auch gar nicht nothwendig, denn eine große Anzahl von Käfigfabrikanten, Nadlermeistern und Anderen wetteifern förmlich darin, die Erfahrungen, welche die neuere Vogelpflege gebracht, auch in den Vogel-Wohnungen zu verwerthen. Allerdings sieht man noch immer auf den Ausstellungen die weder schönen, noch praktischen Käfige in Thurm-, Schweizerhaus-, Burg- und anderen Formen, in Holzschnitzerei und Laubsägearbeit, weil sie von einsichtslosen Leuten stets von Neuem verlangt werden – aber im wohlthätigen Gegensätze dazu treten uns doch mehr und mehr die zweckmäßig eingerichteten Käfige entgegen. Die großen Fabriken von A. Stüdemann, H. B. Hähnel, L. Wahn in Berlin, Wenzel Czerveny in Pilsen und Andere liefern für jede Vogelwelt passende Käfige in sachgemäßer Ausführung und zu mäßigen Preisen.

Wer nun also die verhältnißmäßig geringe Mühe nicht scheut, sich über die Bedürfnisse seiner gefiederten Gäste genau zu unterrichten, und wessen Liebe zur gefiederten Welt so groß ist, daß er Freude darin findet, ihr Dasein behaglich zu machen, der darf als Vogelliebhaber im schönsten Sinne des Wortes gelten, und weder die Mitglieder der Thierschutzveleine, noch irgend ein anderer vernünftiger Mensch wird an der Berechtigung rütteln, daß er Stubenvögel halte, hege und pflege.




Der Ablaßstreit im Jahre 1517.

Von Emil Zittel.

Zuweilen treten die tiefgreifendsten Umwälzungen auf dem Gebiete des staatlichen und kirchlichen Lebens scheinbar plötzlich in einem ganz genau zu benennenden Zeitpunkte und in Folge irgend einer jedem Auge auffallenden Thatsache zu Tage, um sich dann bald langsamer, bald schneller in ihren weithin erkennbaren Folgen zu entwickeln. In diesem Sinne hat man den Anfang der deutschen Reformation wegen der 95 Thesen von je her auf den 31. October des Jahres 1517 gesetzt. Dem tiefer Blickenden freilich ist es in diesem Fall, wie in allen ähnlichen Fällen, kein Geheimniß, daß sich alle derartigen tiefergehenden Umwälzungen des herkömmlichen Wesens und Lebens nur allmählich, oft sogar Jahrhunderte lang deutlich vorbereiteten, ehe sie endlich Jedem erkennbar in auffallenden Thatsachen sich offenbaren, ganz so, wie in einer Nacht die langsam entwickelte unscheinbare grüne Knospe zur farbenreichen Blume aufbricht.

Der Beginn der deutschen Reformation erinnert uns speciell an das bekannte Bild von dem letzten Tropfen, der ein Gefäß zum Ueberfließen bringt. Der Tetzel’sche Ablaßhandel war ein solcher Tropfen, der in unserem Vaterlande wie in der Schweiz einer seit Jahrhunderten im Stillen immer mächtiger herangewachsenen Unzufriedenheit mit der römischen Kirchenherrschaft schließlich zum unaufhaltbaren Ausbruch verhalf. Und weil damals Dr. Martin Luther, „die Wittenbergisch Nachtigall, die man jetzt höret überall“ (Hans Sachs), mit ebenso seltenem Muth der Ueberzeugung wie seltener Kraft und Macht der Rede das aussprach, was Hunderttausende, wenn auch zum Theil nur unklar, dachten oder fühlten, wurde er sofort zum bewunderten Führer der damals längst mit Rom zerfallenen Mehrheit der deutschen Nation. So war in der That die Ablaßpredigt Tetzel’s oder vielmehr Luther’s feierlicher Protest gegen dieselbe der Schlag, welcher, um mit des Letzteren eigenem Wort zu reden, „der Pauke ein Loch gemacht hat“.

Wir dürfen das Wesen des Ablasses wohl bei unseren Lesern als bekannt voraussetzen. Der Ablaß, wie ihn Johann Tetzel predigte, war die in’s Frivole gezogene Entartung einer alten kirchlichen Einrichtung. Zu den Kirchenstrafen, welche die Kirche reumüthigen Sündern auferlegte, ehe sie dieselben wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufnahm, gehörten auch Gaben an Andere oder für kirchliche Zwecke; auch wurden körperliche Bußen zu Gunsten eines frommen Zweckes öfters in Geldbußen umgewandelt. Je verschwenderischer sich aber der Hofstaat und je üppiger sich das Leben der Päpste gestaltete, desto rücksichtsloser suchte man diese ergiebige Geldquelle auszubeuten, und zu Luther’s Zeit war es dahin gekommen, daß der Papst aus der Vergebung der Sünden ohne Weiteres ein Geldgeschäft machte.

Der Ablaß tritt uns hier in der Form entgegen, daß die Vergebung der Sünden direct erkauft werden konnte, ja nicht nur die Vergebung der schon begangenen, sondern selbst zukünftiger Sünden. Dieser Mißbrauch der ursprünglichen päpstlichen Schlüsselgewalt war ein so in die Augen springender, daß er einem Manne wie Luther in seiner ganzen grellen Ungerechtigkeit erscheinen und ihm das Herz bewegen mußte vor Zorn gegen die leichtfertigen Ablaßprediger und vor Mitleid mit dem bethörten Volke; denn die Speculation auf die Thorheit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_702.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)