Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Die Damen selbst, höchst angenehm und anregend beschäftigt, suchten den Besuch zu verlängern. Mit dem Hut in der Hand mußte er stehend noch eine Weile die lebhafte Conversation fortsetzen. Als er dann endlich entlassen wurde, lud die Frau Consul, der Zustimmung ihrer Töchter gewiß, ihn auf’s Freundlichste zum Wiederkommen ein. „Warten Sie nicht auf die feierliche Einladung,“ sagte sie, „sondern kommen Sie, so oft Sie ein Stündchen frei haben. Sie sollen uns jederzeit willkommen sein.“
Das mußte Helene sehr liebenswürdig finden, und sie bewies auch ihre Dankbarkeit durch die heiterste Stimmung nach seinem Weggange. Vorher hatte sie sich bei dem Gespräch kaum betheiligt, wie denn auch Walter wenig bemüht gewesen war, sie hineinzuziehen. Das hatte sie nicht für eine Zurücksetzung gehalten, sondern eher im Stillen die geschickte Weise gelobt, wie er sich zunächst den fremden Damen bekannt machte und die Frau vom Hause merken ließ, daß er ihretwegen gekommen. Sie war mit dem Vetter außerordentlich zufrieden, wohl sogar ein wenig stolz auf ihn. In die Freude darüber mischte sich wieder die Verwunderung, was der linkische, pedantische Student in den Wanderjahren aus sich gemacht habe. Sein Vater behielt Recht: er war ein ganz anderer Mensch geworden.
„Was für ein hübscher, stattlicher Mann ist Dein Vetter!“ rühmte die Frau Consul.
„Er hat etwas Geistiges im Gesicht, das sehr anzieht,“ meinte Vera.
„Und aus den Augen spricht ein tiefes Gemüth,“ ergänzte Frau Selma Osterfeld.
„Die Haltung ließ nichts zu wünschen,“ nahm die Mama wieder das Wort. „Erinnert er nicht in der Figur ein wenig an Robert? Auch ungefähr dieselbe Größe.“
„Was er spricht, ist eigentlich Alles ganz ernst,“ kritisirte Vera, „und man muß manchmal recht scharf aufpassen, um ihm folgen zu können; aber es fließt ihm so leicht vom Munde, als fänden sich die Worte von selbst zusammen. Ich mußte wiederholt an Herrn von Brendeln denken, mit dem er doch sonst nicht die mindeste Aehnlichkeit hat.“
„Nicht die mindeste,“ bestätigte Helene.
„Der Assessor ist vielleicht noch gewandter,“ sagte Selma lächelnd – sie glaubte, daß Helene für ihn Partei ergriffen habe. „Aber man weiß doch nie, wie weit es ihm Ernst mit der Sache ist. Ich bin da in letzter Zeit sehr vorsichtig geworden und möchte Jedem rathen, meinem Beispiel zu folgen. Herr Doctor Grün hat etwas in seiner ganzen Art, das Vertrauen erweckt. Ich würde ihm ohne Bedenken die Erziehung meines Sohnes anvertrauen. Ob er sich nicht möchte bereit finden lassen, wenigstens einige Stunden zu übernehmen?“
„Wohl schwerlich,“ meinte Helene.
„Weshalb nicht?“
„Ah! Ich kann mir nicht denken, daß er sich dazu verstehen wird, den Hauslehrer zu spielen – am wenigsten in diesem Hause.“
„Warum am wenigsten in diesem Hause?“ fragte Frau Berghen ein wenig gereizt. „Man ist anderswo kaum in der Lage so hohe Honorare zu bewilligen.“
„Gerade des Honorars wegen, Mamachen,“ antwortete Helene. „Doch kann man sich ja bei ihm erkundigen.“
Das geschah bei nächster Gelegenheit, genau mit dem Erfolge, den Helene vorhergesehen hatte. Er lehnte aber so liebenswürdig ab, daß man die Anfrage nicht bereuen durfte. Er gedenke alle seine freie Zeit wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen, sagte er, die seine Habilitation bei der Universität vorbereiten sollten. Doch erbiete er sich gern, den Knaben von Zeit zu Zeit zu prüfen und – ganz freundschaftlich – wegen seiner weiteren Ausbildung Rath zu ertheilen. Er ließ sich auch zugleich die Bücher zeigen und spendete den Arbeiten so freundliches Lob, daß die zärtlichste Mutter hätte beruhigt sein können.
Die elektrische Kraftübertragung.
Ein fröhliches, buntes Leben durchwogt seit Wochen die Kaiserstadt an der Donau. Seit den Tagen der Weltausstellung im Jahre 1873 hat Wien nicht eine solche Zahl von Fremden begrüßt, wie es nun beherbergt, wo zwei hochinteressante Ausstellungen ihre mächtige Anziehungskraft in weite Ferne hinaus, selbst über den Ocean hinüber wirken lassen. In dem neuen Rathhause, diesem wunderbaren Meisterwerke moderner Baukunst, versetzt uns die historische Ausstellung der Stadt Wien in die Erinnerungen an eine vergangene und für immer todte Zeit – und „im Prater draußen“, in der majestätisch imposanten und stolzen Rotunde schauen wir die Wunder einer Naturkraft, welcher die Zukunft gehört.
Es wird wohl kaum ein Menschenalter währen und der elektrische Strom wird in dem ewigen Kampfe der Menschheit um die Wohlfahrt ihres Daseins keine bescheidenere Rolle spielen, als Dampf, Wasser und Gas in unserem heutigen Leben. Wer sollte daran noch heute zweifeln, wenn er offenen Auges und empfindlichen Sinnes die Rotunde durchwandert und ihre Kreuzflügel und Gallerien durchschreitet? Freilich, das Licht, welches die Elekricität uns spendet, ist der gewaltigste Magnet für die Tausende und Tausende, die Abend für Abend durch die von Musik, Sang und Lust durchrauschten Prater-Auen dem Flammenscheine entgegenziehen, welcher die Rotunde umfluthet. Entzückt, überrascht wogt die Menge in die Lichtatmosphäre des Palastes, sie drängt sich durch die reizenden „Interieurs“, die im Glanze ihrer Beleuchtung uns anheimeln wie Bilder aus „Tausend und einer Nacht“; sie jubelt in dem kleinen Theater den Tänzen Beifall, über welche das elektrische Licht den Zauber der Märchenwelt unserer Jugendphantasie ergießt. … Und so wandert die Menge weiter durch all die künstlerisch ausgeschmückten Hallen, in welchen die Völker der civilisirten Welt ihre Errungenschaften auf dem Gebiete der Elektrotechnik ihr vor Augen führen, sie staunt an und bewundert die äußere Pracht, die wohl der zeichnende Stift des Künstlers, wie dies auf unserm nebenstehenden Bilde geschehen ist, wiederzugeben vermag, auf deren Beschreibung jedoch die Feder des Journalisten aus freien Stücken verzichtet. Wenn der Maler die geschmackvollen Pavillons, die Portale und Theater darstellt, so versuchen wir lieber den inneren, geistigen und volkswirthschafllichen Werth der weniger in’s Auge fallenden Maschinen an einem Beispiele zu erörtern, denn nur eine solche Betrachtung wird uns belehren können, wie groß der Werth und die Bedeutung dieses friedlichen Wettstreites für die gesammte Menschheit ist.
Das Licht ist ohne Zweifel die imposanteste Erscheinung, in welcher die Elektricität in dem letzten Jahrzehnte, seit die Telegraphie uns eine alltägliche Anwendung geworden, sich geäußert hat; jedoch wir meinen, es sei ihr noch eine andere Anwendung von höherer Bedeutung, von größerem Werthe für die arbeitende Menschheit in der Zukunft vorbehalten, eine Anwendung, welche die gegenwärtige Ausstellung uns wohl nicht in erschöpfender, aber doch in anregender Weise vorführt.
Zu den schwierigsten Aufgaben der Mechanik zählt es, eine Kraftquelle an einem von ihr weit entfernten Orte Arbeit verrichten zu lassen, eine Kraft auf große Entfernungen hin gleichsam zu übertragen. Die Erfindung der dynamo-elekrischen Maschine, bei welcher durch die Bewegung eines Drahtkreises in der Nähe eines Magnetes elektrische Ströme erzeugt werden, hat diese Aufgabe ihrer Lösung näher geführt.
Wir können mechanische Arbeit in einer solchen Maschine in elektrische Energie verwandeln, wir können diese durch Drähte weiter leiten, um sie schließlich an einem fernen Orte durch eine gleiche Maschine wieder in mechanische Arbeit umzusetzen. Hippolyte Fontaine, ein französischer Ingenieur, bewies auf der Weltausstellung in Wien zum ersten Mal diesen Transport mechanischer Arbeit mittelst des elektrischen Stromes. Seit jener Zeit haben Gelehrte und Praktiker an der Ausbildung, an der Erforschung und Verwertung dieser Erscheinung unermüdlich gearbeitet.
Paris, München und Königsberg haben uns in rascher Folge die Ergebnisse dieser Studien und Versuche vor Augen gestellt, und Tausende haben in Anschauung derselben die Ueberzeugung von der großen Zukunft der elektrischen Kraftübertragung gewonnen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_696.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)