Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 43. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Braut in Trauer.
Helene war durch dieses Zusammentreffen auf dem Friedhofe sehr beunruhigt. Je mehr sie darüber nachdachte, um so weniger zweifelhaft wurde es ihr, daß ein bloßer Zufall dabei nicht obgewaltet hatte. Sie meinte anfangs, der Mama davon Mittheilung machen zu sollen, allerdings nur ganz gelegentlich im Gespräch, wie über irgend etwas anderes an sich ziemlich Gleichgültiges. Aber sie gab den Gedanken wieder auf. Warum von solchem Nichts ein Aufheben machen?
Ihr war aber doch recht beklommen zu Muth, als sie das nächste Mal nach dem Kirchhofe fuhr. Sie mußte sich immer wieder die Frage vorlegen, ob der Assessor sich blicken lassen werde. So zerstreut hatte sie noch nie auf dem Bänkchen vor Robert’s Monument gesessen. Sie schalt sich selbst närrisch. Eben stand sie auf, um jeder unliebsamen Eventualität aus dem Wege zu gehen, als wirklich der Assessor hinter den Linden vortrat und sich grüßend an’s Gitter stellte.
Nun ärgerte sie sich über seine Dreistigkeit, hielt es aber doch für ungeschickt, sofort aufzubrechen. Der Assessor wußte von dem Manne, dessen Grab er suchte, eine lange Geschichte zu erzählen, aus der doch nicht recht klug zu werden war. Sie währte so lange, daß sie immer ungeduldiger und unaufmerksamer zuhörte. „Aber das ist ja ein ganzer Roman,“ sagte sie; „erzählen Sie mir den gelegentlich einmal im Salon der Frau Consul zu Ende.“
„Wie Sie befehlen,“ antwortete er geschmeidig.
„Ich möchte Ihnen auch nicht hinderlich sein, Ihre Nachforschungen fortzusetzen,“ nahm sie wieder das Wort. „Es wird Ihnen lieb sein, recht bald zum Ziele zu kommen.“
„O, glauben Sie das nicht!“ rief er. „Jede Minute, die ich in Ihrer Nähe zubringen darf, entschädigt mich reichlich für alle Zeitversäumniß.“
Das ging zu weit. „Dann erlauben Sie, Herr Assessor,“ sagte sie mit abgewendetem Gesicht, „daß ich mich schleunigst entferne. Es kann wohl nicht meine Absicht sein, Ihnen Gelegenheit zu geben, mich hier zu unterhalten.“
Er folgte ihr. „Wenn ich Sie erzürnt haben sollte …“
„Nein, nein! Aber bleiben Sie zurück.“
„Darf ich Sie nicht zum Wagen –“
„Ich bitte, nein.“
Er verbeugte sich.
Helene eilte fort. Es war ihr schon unangenehm, daß die Frau des Todtengräbers in demselben Gange arbeitete und sie beobachten konnte.
Am folgenden Tage fuhr sie eine Stunde früher aus und blieb nun unbehelligt. Am dritten aber nützte diese List schon nichts mehr. Sie hatte die Stelle des Erbbegräbnisses noch nicht erreicht, als der Assessor ihren Weg kreuzte. „Ich wollte Sie nur begrüßen,“ sagte er, „da ich Sie kommen sah. Fürchten Sie nicht, daß ich Ihre Andacht störe.“
Sie war im Augenblick ganz verwirrt. „Aber es ist doch sonderbar,“ stotterte sie, „daß Sie stets gerade zu derselben Zeit …“
„Ja, es trifft sich sonderbar,“ bestätigte er ganz ernst. „Aber für mich sehr glücklich,“ setzte er hinzu. „Uebrigens war mir heute sicher diese Belohnung zu gönnen. Ich habe einige alte Steine von den Brennnesseln gesäubert und mir dabei tüchtig die Hände verbrannt.“
Das war höchst unwahrscheinlich. Seine modefarbenen Handschuhe zeigten keine Spur der Berührung mit irgend welchem Unkraut. Helene achtete denn auch nicht weiter darauf. Sie überlegte, was sie zu thun habe, um Herrn von Brendeln den deutlichsten Beweis zu geben, daß er ihr lästig sei. Schnell entschlossen machte sie Kehrt und ging nach dem Pförtchen zurück. Das hatte er doch nicht erwartet. Noch eine Weile stand er mit abgezogenem Hut und sah der schlanken, sich im Gehen überhastenden Gestalt nach. Dann ließ er die Spitze seines Stöckchens eine Schlangenlinie durch die Luft beschreiben. „Der Kirchhof ist ihr verleidet,“ murmelte er. „das kann auch als ein Erfolg gelten.“
Helene hatte Mühe, die Thränen zurückzuhalten, als sie wieder in den Wagen stieg. Sie lehnte sich in die Kissen zurück und senkte den Sonnenschirm so tief, daß die Vorübergehenden ihr nicht in’s Gesicht sehen konnten. Was beabsichtigte Herr von Brendeln eigentlich? Diese Annäherung war so persönlicher Natur, daß sie kaum noch mißverstanden werden konnte. Welche Tollheit, sie auf dem Kirchhofe aufzusuchen! Wenn Jemand dieses Zusammentreffen bemerkt hatte, davon sprach –! Wie konnte sie den Schein abwehren, im Einverständniß gewesen zu sein? Sie biß die Zähne in die Lippe ein. Eine solche Rücksichtslosigkeit!
Und doch sprach da noch eine andere Empfindung mit. Sie hatte sich in ihrem Innersten oft genug dem Zwange widersetzt, sich gleichsam als eine der Welt abgestorbene Nonne zeigen zu sollen: aber es war ihr bisher noch nie in den Sinn gekommen, daß sie Anderen und sich selbst aufhören könne, die Braut Robert’s zu sein. Einem Anderen noch begehrenswerth zu erscheinen, einem Anderen zu werden, was sie Robert gewesen war, stellte sich ihr
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_693.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)