Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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als eines der größten mechanischen Kunstwerke hinzustellen, deren sich unsere Cultur erfreut. Hier greifen so ziemlich alle nur möglichen mechanischen Vorrichtungen zusammen zu einem Werke, und dieses eine Werk kann wieder unendlich vielseitig gestaltet werden durch die fast unerschöpfliche Möglichkeit anderer Anordnungen eben dieses proteusartigen Mechanismus.
Die meisten Menschen machen denn auch große Augen vor einem arbeitenden Webstuhl, staunen und gehen wieder fort, ohne sich das Wunder erklären zu können. Und ein Wunder ist’s auch wirklich! Das eilt und schießt hin und her, das neigt und beugt sich, dreht, wendet, hebt und senkt sich; dort starke Schläge, hier die subtilsten Verrichtungen, hier zittert’s kurz und wellenförmig, dort wirkt eine behäbige mechanische Kraft in ruhigen Umgängen, oben rückt’s aus, unten setzt’s ein und an allen Stellen schier wechselt’s in toller, unerklärlicher Laune, dazwischen ertönen Signalwerke und über dem stark bewegten Fadengewirr schwebt wie eine Art heiliger Geist die Jacquard-Maschine und schiebt ihre durchlöcherten Karten in breiten Lagen hastig vorwärts, als fürchte sie, nicht nachzukommen.
Aber es herrscht in dem argen Durcheinander eine strenge Ordnung.
Nach festen Gesetzen sieht man aus den Wirrnissen die herrlichsten Phantasiegebilde von einer ganz ungeheueren
Mannigfaltigkeit aufblühen. Wir kennen
sie ja Alle, diese Hunderttausende von
Webmustern und Webstoffen; hat doch
jeder Mensch seinen eigenen Geschmack,
und der modernen Weberei ist es ein
Leichtes, diesem millionenköpfigen Ungeheuer
zu Willen zu handeln.
Und das sollte kein Wunder sein?
Aber dieses enorme Capital von Menschenwitz und Findigkeit ist nicht auf einmal und am allerwenigsten von Einem allein angesammelt worden. Alle Culturvölker der Erde haben ihre Beiträge hierzu gestellt und unser liebes Deutschland sicher nicht die kleinsten. Wir haben einen Mann in Deutschland, einen schlichten Weberssohn aus Plauen im Voigtlande, dessen Name mit der Geschichte der Weberei verknüpft sein wird für alle Zeiten.
Die Fachleute, die diesen Artikel zu Gesicht bekommen, werden sogleich wissen, daß kein Anderer gemeint sein kann, als der Erfinder und Webstuhlfabrikant Louis Schönherr in Chemnitz. Auch der großen Leserwelt wird der Name schon begegnet sein und wär’s auch nur in einer Annonce, in der etwa eine französische, spanische, russische, italienische oder japanesische Weberei einen Werkmeister sucht, „der mit Schönherr’schen Webstühlen vertraut sein muß“.
Dieser Schönherr’sche Webstuhl ist eine Erscheinung in der Weberbranche von ganz unberechenbarer Bedeutung; doch da ich mich als Nichtfachmann ehrlich declarirte, möge das eine Fach-Autorität bestätigen: Regierungsrath Dr. Hartig, Professor am Dresdener Polytechnicum, schreibt über den Schönherr’schen Stuhl: „Jeden Freund vaterländischer Industrie muß eine solche Erfindung mit Stolz erfüllen, sie trägt durchaus den Charakter voller Originalität und löst die feinsten Probleme, welche die fabrikmäßige Erzeugung der Gewebe an den Constructeur stellt, und dazu kommt ein factischer Erfolg, wie er in der Geschichte der Weberei ohne Gleichen dasteht“ etc.
Ein solcher Mann verdient gewiß durch die „Gartenlaube“ dem deutschen Volke vorgestellt zu werden, um so mehr, als er trotz seiner erstaunlichen Erfolge schlicht und bescheiden geblieben ist und sich nicht in Stolz und Ueberhebung von den Kreisen abwendete, in denen sein Leben doch eigentlich wurzelte. Doch auch der Leser wird mir verbunden bleiben für die Bekanntschaft mit dem Erfinder und seiner Erfindung; selbst der unscheinbarste
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_688.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)