Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Eintreibung schon bezahlter Steuern, Andere wegen rückständiger Beträge von wenigen Kreuzern um Haus und Hof gekommen und selbst das von der Regierung an die Verarmten gespendete Aussaatgetreide von den Steuer-Executoren sofort wieder mit Beschlag belegt worden sein.
Uneingeweihten mag es befremdend erscheinen, daß in einem verhältnißmäßig freien, constitutionell regierten Staate Aehnliches auch nur ausnahmsweise vorkommen kann. Abgesehen von dem berüchtigten Tisza-Eszlarer Proceß, welcher die constitutionelle Praxis magyarischer Comitatswirtschaft vor aller Welt bloßlegte, muß man sich vergegenwärtigen, daß, während die nationale Partei für die Erziehung der wohlhabenden Jugend in höheren Bildungsanstalten reichlich sorgte, während beispielsweise in Agram eine Akademie und in neuester Zeit sogar eine kroatische Universität[1] errichtet wurde, das Volksschulwesen nach wie vor vernachlässigt blieb, unter der ländlichen Bevölkerung Lese- und Schreibkundige zu den Ausnahmen gehören, und selbst diese die höhere Schriftsprache nur in den seltensten Fällen verstehen.
Erwägt man weiter, daß in Folge dessen der sogenannte Dorfnotär (Gemeindeschreiber) mit dem Gemeindevorsteher die Intelligenz des Dorfes vertritt, Gesetze erläutert und auslegt, die Gemeindesteuer bemißt etc., daß diese Beiden aber schon im eignen Interesse Hand in Hand mit den aristokratischen Gutsbesitzern und Comitatsbeamten gehen, so können die Klagen über Corruption und Willkür kaum mehr Wunder nehmen.
Das ist es, was dem Landeskundigen den sonst so freundlichen Anblick verleidet, welchen der reiche Wechsel von waldumrauschten oder rebengeschmückten Hügeln und üppig grünen Niederungen, stattlichen Herrengütern und zwischen Pflaumenbäumen hervorlugenden Dörfern für den Reisenden bietet; das ist es, was ihn erleichtert aufathmen läßt, wenn ihn sein Weg in das nicht minder wechselreiche Gebiet der ehemaligen Militärgrenzbezirke führt.
Im Westen mitunter rauhes Bergland, gegen Osten dagegen milde, fruchtbare Tiefebene, zeigt das langgestreckte Gebiet eine Gleichheit des Volkscharakters, wie sie eben nur durch eine nahezu zweihundertjährige militärische Erziehung erreichbar ist. Es ist wahr, daß der Grenzer keine Ahnung von der demokratischen Freiheit eines Schweizer Bürgers hatte, doch wußte er auch nichts von dem Drucke feudaler Adelsherrschaft. Die Militärgesetze waren streng, aber vor diesen waren Alle gleich; ja, der Sohn des gemeinen Soldaten konnte so gut Officier werden – wollte und konnte er lernen – wie der Sohn des Obersten; Lesen, Schreiben und Rechnen mußte aber Jeder lernen, wollte oder wollte er nicht. Endlich forderte man von ihm Gehorsam, nicht Unterwürfigkeit, Offenheit, nicht lügenhafte Demuth.
Dies Alles machte allerdings noch keine Culturnation, höhere Ziele blieben dem Soldatenvolke verschlossen, doch schuf es eine treffliche Basis für die Zukunft, zog ein kräftiges, mannhaftes Geschlecht heran, das trotz Demuth und Arbeitslast den Kopf hoch trägt und keinen Herrn fürchtet; wenn aber ein an Disciplin und strenges Gesetz so sehr gewöhntes Volk dennoch revoltirt, wie dies als Nachspiel des Agramer Wappentumultes thatsächlich geschah, so beweist dies nur, wie schmerzlich es schon jetzt die Segnungen constitutioneller Comitatswirthschaft zu fühlen beginnt, und wie rasch der Sinn für Gesetzlichkeit durch deren Nichtachtung von oben herab erschüttert werden kann. Auch der Umstand, daß sich die Bewegung hier wie im ganzen Lande direct gegen die Magyaren oder deren Anhänger richtete, obschon die ganze Verwaltung in den Händen kroatischer Beamten ruht, läßt sich keineswegs durch den Anlaß der Wappenfrage, sondern nur durch die Nachwehen der vormärzlichen Verhältnisse erklären.
Damals waren die Magyaren thatsächlich die Herren im Lande, und wer immer von den eingeborenen Adeligen die fast königlichen Vorrechte magyarischer Gutsbesitzer mitgenießen wollte, mußte Magyare werden mit Leib und Seele, Weib und Kind. In welchem Grade diese Entnationalisirung stattfand, zeigt das drastische Beispiel von vierzehn Ortschaften in dem zwischen Agram und Sisseg gelegenen Bezirke Toropelye, deren slavische, jedoch geadelte Bewohner 1848 die Sache der Magyaren gegen ihre Landsleute verfochten. Doch die gewaltige Fluth der nationalen Volkserhebung war unbezwinglich und den vereinzelten Edelleuten blieb keine Wahl, als sich derselben so rasch als möglich anzuschließen; sie wurden wieder gute Kroaten und kämpften mit dem Volke, nach wieder hergestellter Ruhe aber spielten sie mit ihren alten Verbündeten in Comitat und Gemeinde die Herren so meisterhaft wie ehedem – und daher der Volkshaß gegen die „Magyaronen“.
Wie man sieht, wirkte die Anbringung des Wappenschildes mit magyarisch-kroatischer Umschrift an dem Finanzgebäude zu Agram nur als Zünder, welcher den lange aufgehäuften Brennstoff im Lande in Flammen setzte.
Die Partei, welche die gewaltsame Entfernung jenes Schildes am 15. August in Scene setzte, mochte zwar vor der Hand nur eine kräftige Demonstration zur Unterstützung der mannigfachen Beschwerden bezüglich des magyarisch-kroatischen Ausgleiches bezwecken, eine andere, minder scrupulöse aber benutzte die Gelegenheit, um den Volkszorn für Pläne auszunützen, deren Ziel der lebhaften Phantasie der Südslaven entspricht. Kroatien und Slavonien zählen circa 1,190,000 Slaven, die ehemalige Militärgrenze etwa 690,000, Dalmatien 430,000; rechnet man die Slaven Ungarns und jene von Bosnien und der Herzegowina mit rund 2,500,000 hinzu, so ergiebt sich auch ohne Serbien eine ganz respectable Basis für ein nationales Zukunftsreich, für dessen Verwirklichung allerdings nebst Anderem die Hauptsache fehlt: „Ein einig Volk von Brüdern!“
Alles in allem genommen hat die kleine Wappenfrage die große Nationalfrage auch im Süden der österreichischen Monarchie aufgerollt, und diese zweite Frage dürfte nicht so leicht aus der Welt zu schaffen sein wie die erste. Möge die Lösung zum Wohle Aller im Geiste nationaler Versöhnlichkeit gelingen!
- ↑ Zur richtigen Würdigung dieser Errungenschaft sei erwähnt, daß die kroatische – nicht serbische – Schriftsprache erst vor etwa 50 Jahren durch den nationalen Gelehrten Gay (1809 geb.) eingeführt und 1835 die erste kroatische Zeitung unter dem Titel „Naradne Novine“ herausgegeben wurde.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_684.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)